In Ihrem ersten gemeinsamen Album mit Dieter Ilg spannen Sie einen weiten Bogen von Britney Spears bis Ornette Coleman. Haben diese Titel in Ihrem Leben eine besondere Rolle gespielt?
Der Bogen reicht sogar bis ins 16. Jahrhundert. Ich tue mich ein bisschen schwer damit, jede CD in Relation zu meinem Leben zu sehen. Jede Platte ist eine Markierung am Wegesrand. Und dieser Weg ist weniger geplant als man denkt.
„Scream & Shout“ war ein Nummer-1-Hit für will.i.am und Britney Spears. Was reizt Sie an solchen Chartstürmern?
Dieter Ilg und ich haben uns gefragt, wie viel Musik aus der Gegenwart wir in unser Projekt einbauen können. Jazz war immer ein Spiegel der Gegenwart. Wenn wir mit einem Choral aus dem 16. Jahrhundert anfangen und dann bei Britney Spears landen, schließt sich ein Kreis. Unsere Version von „Scream & Shout“ ist kein Remix, der in Heavy Rotation laufen soll. Will.i.am hat als Komponist Substanz und eine Nase für Kommerzialität. Uns hat es amüsiert, dass Britney Spears dieses Lied gesungen hat.
„Ach, bleib mit deiner Gnade“ ist ein Kirchenlied von Josua Stegmann und Melchior Vulpius aus dem Jahr 1627. Sind Sie religiös, spirituell oder mystisch veranlagte Menschen?
Die Wirkung dieses Liedes steht über allem. Ich habe mir immer verbeten, Musik mit dem Kopf zu hören. Wie Dieter Ilg habe auch ich einen kirchlichen Background. Meine Eltern stammen aus einem katholischen Umfeld, und ich selber war auf einem katholischen Jungengymnasium. Diese DNA kann man nicht abschütteln. Aber die Frage, wie man solch ein Lied interpretiert, ist entscheidender.
Von den Beatles interpretieren Sie „Eleanor Rigby“. Haben Sie etwas Neues in der Musik der Beatles entdeckt?
Für mich gibt es in der Musik der Beatles immer etwas Neues zu entdecken. Wenn man ihre vermeintliche Leichtigkeit analysiert, stößt man am Ende auf große Komplexität. Bei den Beatles findet man nicht die klassische Struktur eines Broadway-Songs. Sie sind sehr unorthodox vorgegangen.
Medienwissenschaftler meinen, dass es seit den 80ern in der populären Musik nur noch abwärts ginge. Alles würde nur wiederholt, wieder erfunden, wieder verwendet, wieder verarbeitet werden. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Im Bereich Musik haben wir es heutzutage fast mit einer erschlossenen Wissenschaft zu tun. Die Musik war schon mal ein interessanteres Terrain, das man zerstückeln, verwursten und verändern konnte. Die Gesetze wurden alle gebrochen, oft nur, um die Musik anschließend wieder zusammenzusetzen. Es wird immer schwieriger, etwas zu kreieren, das noch nie da gewesen ist. An dessen Stelle ist aber etwas noch viel Wertvolleres getreten: die Wiedererkennbarkeit. Darum geht es doch – jemanden aus der großen Masse herauszuhören. Das ist die heutige Revolution: nicht Wissenschaft, sondern Persönlichkeit.
Heutzutage werden Hits im Studio gebastelt. Ist Ihre Art zu musizieren vielleicht sogar ein Auslaufmodell?
Erfolg lässt sich nicht an den üblichen Kriterien wie Hits oder Bekanntheit festmachen. Ich persönlich verliere schnell das Interesse an Musik, der ich anhöre, dass sie aus kommerziellen Gründen zusammengesetzt wurde. Gebrauchsware reizt auch Konsumenten nur vorübergehend.
Welchen Stellenwert hat das Format Album heutzutage?
Bei der CD handelt es sich heutzutage um eine wahnsinnig gut gemachte Visitenkarte. Für etablierte Künstler ist das noch verkraftbar, trotzdem ist es nicht cool. Für Newcomer hingegen ist es eine Katastrophe, weil nur der Erfolg einer CD oder eines Videos am Ende Konzerte generiert. Bis es an dem Punkt ist, muss man schon viel investiert haben. Das kann nicht jeder.
Wird die CD auf Dauer überleben?
Ich habe manchmal Tagträume von einer Welt mit Billigmusik, die sagt: „Ihr Künstler seid daran selber schuld, ihr habt euch die Rechte an eurer Musik ohne Weiteres abschwatzen lassen!“ Künstler sind nun mal keine Juristen und IT-Fachleute. Bereits in dem Augenblick, als die CD eingeführt wurde, haben die Künstler gepennt. Sie haben die Möglichkeit zur Vervielfältigung nicht als Gefahr empfunden und sich nicht radikal genug organisiert. Dann kamen auch noch die Streamingdienste.
Wie kann man dagegensteuern?
Ich habe so meine Zweifel, dass man Youtube oder Spotify nochmal einen fairen Riegel vorschieben kann. Apple hat soeben angekündigt, seinen Itunes-Store aufzulösen, da er nicht mehr rentabel sei. Die Menschen haben verlernt, dass sie für Musik im Netz bezahlen müssen, und ich spreche nicht von einer Flatrate. Wer soll Musik denn in Zukunft noch professionell herstellen, wenn er nicht reich geerbt hat oder öffentlich subventioniert wird?
Sie sind auch international aktiv. War Ihr Konzert beim „International Jazz Day“ der Unesco im Weißen Haus unter Präsident Obama ein Türöffner?
In Amerika wurde der ganze Abend beim Privatsender ABC übertragen. Das hat es in den USA so noch nicht gegeben. Ich habe in den vergangenen Jahren immer mehr internationale Kontakte knüpfen können und bin darüber sehr glücklich. Unter Jazzmusikern klappt die Verständigung ziemlich gut. Aus Sicht der Amerikaner war die Show im Weißen Haus noch viel aufregender als für uns. Obama war der erste Präsident, der diese uramerikanische Kunstform auf diese Weise adelte.
Sind Sie für mehr Jazz im Bundestag?
Man merkt, dass dort etwas aufgebrochen wird. Früher waren es nur Streichquartette, so hatte man den Eindruck, heute sieht man dort auch andere Künstler. Ich selbst habe auch schon im Abgeordnetenhaus gespielt. Frau Merkel ist Musikfan und die aktuelle Kulturstaatsministerin Monika Grütters setzt sich in Berlin für das Jazzfest ein.
Sie selbst setzen sich für ein „Haus of Jazz“ in Berlin ein. Warum braucht Deutschland ein solches Haus?
Weil Deutschland flächendeckend Jazz für die Jugend fördert, aber im professionellen Bereich keine international erlebbare Repräsentanz vorweisen kann. Ich spreche von einem Dach für den Jazz in und aus Deutschland. Wir brauchen sozusagen eine Philharmonie des Jazz im kulturellen Zentrum Nummer eins.
Das Gespräch führte Olaf Neumann.
Zur Person:
Till Brönner gilt als der erfolgreichste deutsche Jazztrompeter. Der 47-Jährige produzierte Alben für Hildegard Knef und die No Angels, er spielte zusammen mit Dave Brubeck, Natalie Cole, Carla Bruni und Annie Lennox. Sein aktuelles Werk „Nightfall“ hat er mit dem Freiburger Bassisten Dieter Ilg aufgenommmen.