Noch mehr Zuspruch als in den vergangenen Jahren ohnehin schon hat am Montagmittag die 65. Verleihung des Bremer Literaturpreises in der Oberen Rathaushalle erfahren. Schon eine Viertelstunde vor Beginn des Festaktes wurden die Sitzgelegenheiten in den prächtigen Räumlichkeiten derart knapp, dass sich Altbürgermeister Henning Scherf mit einer rückwärtig gelegenen Bank beschied. Die sei zwar ungleich härter als ein Stuhl, beschied der 80-Jährige, dafür sei die Aussicht auf das Kulturgeschehen hervorragend.
Traditionell gesellt sich zu Beginn des Zeremoniells ein Ohrenschmaus zum Ausblick auf Preisträger und Laudatoren: In diesem Jahr sorgte der norwegische Jazzsaxofonist und Opernsänger Håkon Kornstad für die musikalische Untermalung der Feierstunde. Er gehört zu den Künstlern, die am 13. April im Theater am Goetheplatz das Festival jazzahead! eröffnen. Den Hinweis auf diese Veranstaltung etikettierte Barbara Lison, Direktorin der Stadtbibliothek und Geschäftsführerin der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung, launig als „Werbeblock“. Gefolgt von einer historischen Skizze des Literaturpreises und einer Einordnung der ihn vergebenden Stiftung, deren Namensgeber laut Lison „der einzige Bremer war, der jemals auf einer Briefmarke erschienen ist“.
An die beiden Preisträger Arno Geiger und Heinz Helle gewandt, sagte hernach Carsten Sieling, Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion, es sei „großartig, was Sie geleistet haben“. Zwar habe er die beiden ausgezeichneten Bücher bislang „nur kursorisch gelesen“; er plane aber die Lektüre vollumfänglich nachzuholen. Umso mehr, als Literatur, die er traditionell in Buchgestalt besonders schätze, Entspannung biete, neue Welten erschließe und Foren des Austauschs stifte.
Die Laudatio auf den österreichischen Romancier Arno Geiger und dessen belobigten Roman „Unter der Drachenwand“ hielt – in sieben smarten Schritten – die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl. Geigers Hauptfigur, dem verletzten Wehrmachtssoldaten Veit Kolbe, attestierte die Jurorin in ihren Ausführungen eine posttraumatische Belastungsstörung avant la lettre. Überhaupt sei es zuallererst die Angst, die Geigers literarisches Personal verbinde, das im Kriegsjahr 1944 in der österreichischen Provinz unter einem Felsmassiv aufeinandertrifft.
„Poesie des Wirklichen“
Zugleich übe sich Geigers Protagonist, dessen Vorname für das Leben steht, zusehends in der hohen Kunst der Todesverachtung. In Bremen, fügte Strigl hinzu, sei das Bonmot, etwas Besseres als der Tod sei überall zu finden, naturgemäß nicht zitierfähig. Geigers Prosa, die sie als formal risikofreudig bezeichnete, würdigte Daniela Strigl als „Poesie des Wirklichen“ und als „radikal subjektive“ Betrachtungsweise von Geschichte, Verantwortung und Schuld.
In seiner delikaten Dankesrede spannte Arno Geiger einen erzählerischen Bogen von seiner Hauptfigur zu Rudolf Alexander Schröder. Dass der Bremer Dichter die Gefahr des nationalsozialistischen Regimes unterschätzt habe, dass er zu spät aufgewacht sei, könne man ihm vorwerfen; nicht aber, dass sich nicht gewehrt habe. Feigheit vor dem Feind gestehe sich niemand gern ein, sagte Geiger im Blick auf Simon Petrus, Jesu Jünger, der seinen Meister laut Überlieferung gleich mehrfach verleugnete.
Seine literarischen Helden jedenfalls seien zugleich Hasenfüße, fügte Geiger hinzu. Umso mehr hoffe er angesichts des Erstarkens der poulistischen Rechten in Europa auf eine starke und beherzte Zivilgesellschaft. Anschließend bedankte sich der Voralberger für die „hohe Ehrung – und das viele Geld“. Der Bremer Literaturpreis ist mit 25.000 Euro dotiert.
Eine „versehrte Gesellschaft“ konstatierte die Literaturkritikerin Wiebke Porombka für die Figuren in Heinz Helles mit dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis bedachten Roman „Die Überwindung der Schwerkraft“. Die Geschichte um zwei Brüder, deren älterer dem Alkohol, Depressionen und schließlich dem Tod anheimfällt, sei die Geschichte eines „Auseinanderbrechens“. Helle beschreibe auf gleichermaßen dichte und virtuose Weise einen „heillos traurigen Menschen, dem auf Erden kaum zu helfen war“. Und doch trage sein Werk auch Züge eines „Trostbuchs“.
In seiner Erwiderung skizzierte Heinz Helle anhand einiger Wesenszüge seiner literarischen Charaktere und eingedenk jüngerer Erlebnisse ein „Panorama der Arschlochigkeit“. Sein Schreiben erfordere Mut, andere Menschen, die ihn wahrnehmen, und nicht zuletzt Geld. Für die entsprechende Wertschätzung seiner Arbeit bedankte er sich.
Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+!