Der Bremer Taxiverband will sich für einen Kurzstreckentarif einsetzen. Dabei sollen Fahrgäste das Taxi aus dem Verkehr heranwinken und einen kleinen Abschnitt zum fest vereinbarten Preis fahren können.
Mehr als 800 Taxitarife gibt es in Deutschland. Die Zahl des zuständigen Bundesverbands erstaunt. Und bald könnte sie noch mal steigen: Der Bremer Taxiverband will sich bei der nächsten Verhandlung für einen Kurzstreckentarif einsetzen. Dabei winkt der Fahrgast das Taxi aus dem Verkehr heran und fährt einen kleinen Abschnitt zu einem festen Preis.
Das Modell kommt aus Berlin und ist dort als Winketarif bekannt. Wer fünf Euro zahlt, kann bis zu zwei Kilometer mit dem Taxi fahren. Diese Idee wolle man nun auch in Bremen ausprobieren, sagt Fred Buchholz von der Fachvereinigung Personenverkehr, Verband für das Personenverkehrsgewerbe. Anfang 2017 soll ein entsprechender Antrag an das Verkehrsressort gestellt werden zusammen mit der Forderung nach einer leichten Erhöhung der Taxigebühren in Bremen. Turnusgemäß gibt es dann neue Verhandlungen.
Wie teuer die Fahrt sein soll und wie viele Kilometer gefahren werden können, das sei noch zu klären. „Es soll ein günstiger Tarif für ganz kurze Strecken sein – und selbstverständlich vernünftig honoriert werden. Das Heranwinken verhindert, dass das Taxi zwei Stunden wartet.“ Der Preis könne am Ende sogar günstiger als die Straßenbahn sein und den Taxifahrern neue Kunden bringen.
Interessensgemeinschaft der Taxifahrer übt scharfe Kritik
Die Fraktion der FDP setzt sich ebenfalls für den Tarif ein und hat einen Antrag für die nächste Sitzung der Bürgerschaft am 13. Dezember aufgesetzt. Ein Gutachten zum Taxigewerbe 2015 habe gezeigt, dass Bremer im Schnitt nur 4,3 Mal ein Taxi nehmen. Die Taxen seien nicht ausgelastet. „Es gilt also, Anreize zu schaffen, damit die Dienstleistung Taxi verstärkt in Anspruch genommen wird.“ Der Tarif helfe, Leerfahrten zu vermeiden.
Marco Bark von der Interessengemeinschaft (IG) der Bremer Taxifahrer hält allerdings dagegen: „Das ist totaler Blödsinn. Am Ende arbeiten die Taxifahrer für noch weniger Geld.“ Dabei erreiche der große Teil, der meist auf Provisionsbasis arbeite, ohnehin schon heute den Mindestlohn oft nicht. Das habe eine Umfrage der IG unter 130 Teilnehmern gezeigt. Den Antrag der Fraktion hält er für unangebracht: „Die FDP sollte lieber dafür sorgen, dass in der Branche korrekt bezahlt wird. Sie liegt im Argen.“
Die Kritik kann Steffen Breyer, Referatsleiter für Straßen- und Verkehrsrecht des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr, nicht nachvollziehen – schon weil die Unternehmer selbst den Vorstoß wagten: „Warum sollten sie einen Tarif einführen wollen, der keinen Mehrwert für sie hat?“
Ein Drittel zu viel Taxen in Bremen
Die zuständige Behörde wolle den Antrag auf einen Kurzstreckentarif prüfen. „Ergebnisoffen bis positiv“, sagt Breyer. „Wir sind aufgeschlossen gegenüber solchen Veränderungen.“ 27 Prozent der Taxi-Fahrten in Bremen seien Spontanfahrten, etwa acht Prozent der Fahrten gehe ein Heranwinken voraus. Gemeinsam mit den Verbänden müsse man sich genau anschauen, wie die Übergangsphase zwischen Normal- und Kurzstreckentarif geregelt sei. Der Tarif könne am Ende für mehr Fahrten sorgen.
Bark glaubt daran nicht und sieht ganz woanders Baustellen der Branche: Das Gutachten für Bremen, auf das sich die FDP bezieht, habe gezeigt, wie viel Schwarzarbeit es gebe: „Bei 42 Prozent der Unternehmen sind die Umsätze und Löhne nicht plausibel.“ Die Behörde kontrolliere jedoch nicht ausreichend, um diese Taxen vom Markt zu nehmen. Gerade dieses Durchgreifen könnte der Branche helfen. Denn auch das habe das Gutachten gezeigt: 570 Taxen in Bremen seien ein Drittel zu viel.
Breyer widerspricht: Der Bremer Zoll kontrolliere das Gewerbe regelmäßig, es gebe Schwerpunktprüfungen. „Schwarzarbeit ist bundesweit ein Problem der Branche.“
Winketarif verhindert Leerfahrten
„Ohne Ende Schwarzarbeit“ gebe es auch unter den 8300 Taxifahrern in Berlin, sagt Leszek Nadolski von der Innung des Berliner Taxigewerbes. Doch das sei kein Argument gegen den Winketarif. Der sei ein Erfolg. „Für den Kunden rechnet es sich und ich muss einfach nur anhalten. Ich verdiene nebenbei etwas und habe keine Leerfahrt.“
Kurz bevor die Strecke rum sei, mache sich das Taxameter bemerkbar. Manchmal verlängerten die Kunden ihre Fahrt auch und zahlten dann den normalen Tarif. „Das Modell könnte für Bremen ein Erfolg sein. Wir müssen etwas für die Kunden tun“, sagt Nadolski. Wenn es nicht funktioniere, könne man den Tarif einfach wieder abschaffen.
Der Berliner Tarif sei mittlerweile international bekannt. „Japaner riefen mir schon entgegen: Kurzstrecke!“ Die Kritik kann er nicht nachvollziehen und meint: „Taxifahrer sind eben immer unzufrieden.“ Doch selbst in seiner Innung gibt es andere Stimmen.
Einige nutzen den Tarif aus
Rolf Feja ist seit 38 Jahren Taxifahrer in Berlin und der zweite Vorsitzende der Innung. Ob ihm der Tarif zusage? Feja sagt entschieden: „Jein.“ Früher hätte man lange gewartet und dann nur eine kurze Strecke bekommen. Der Winketarif, der nicht für ein bestelltes oder stehendes Taxi gelte, sondern für eines, das unterwegs ist, sei in dieser Hinsicht gut und bringe Geld: „Den Fünfer nehm ick mit.“
Doch oft nutzten den Tarif anstrengende Fahrgäste: Jugendliche auf dem Weg zur Party. „Sie teilen sich zu viert das Taxi, wollen an der Tanke halten und ich muss erklären, dass der Tarif nur ohne Stopp gilt. Dann wird diskutiert. Das ist absolut stressig.“ Leicht gebe es auch Auseinandersetzungen um entscheidende Feinheiten: „Haben die Fahrgäste vorab ,Kurzstrecke‘ oder ,kurze Strecke‘ gesagt?“
Einige nutzten den Tarif zudem aus. Nach Feja warteten sie bewusst in der Nähe der Halteplätze auf ein heranfahrendes Taxi. Wenn sie ihm ihren Wunsch „Kurzstrecke“ zuriefen, sage er nur: „Wes ick schon.“ Doch der Tarif lohnt sich für die Kunden: Für zwei Kilometer zahlen sie in Berlin eigentlich 7,90 Euro, also fast drei Euro mehr.
Voraussetzungen müssen stimmen
Frederik Wilhelmsmeyer, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbands, weiß um die unterschiedlichen Meinungen. Er findet jedoch, dass das Gewerbe insgesamt mutiger sein müsse, neue Ideen zu entwickeln, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. „Als Schnupperangebot des Gewerbes ist der Tarif positiv.“ Doch der Widerstand der Fahrer sei teils groß.
Die Preise in Berlin hält Wilhelmsmeyer angesichts des Mindestlohns jedoch für anpassungsbedürftig. Am Ende müsse ein Taxiunternehmen heute im Schnitt mindestens 30 Euro Umsatz die Stunde machen. „Liegt der Umsatz darunter, fährt der Betrieb in die Pleite.“
Richard Leipold von der Berliner Taxivereinigung findet den Tarif ebenfalls sinnvoll. Er habe sich bewährt und die Kunden seien zufrieden. „Im Schnitt warten wir in Berlin sonst zehn Minuten auf einen Fahrgast. Das entfällt beim Winketarif.“ Die Geschwindigkeit der Taxen müsse allerdings hoch genug sein, damit sich der Tarif lohne.
Marco Bark lehnt den Winketarif nicht insgesamt ab. Unter den derzeitigen Voraussetzungen der Branche sei er aber nicht machbar. „Es wird darauf hinauslaufen, dass wir die Leidtragenden sind.“