Lemwerder. Als einer der "3 Tornados" war Anarcho-Kabarettist Arnulf Rating Ende der 70er-Jahre auf größeren West-Berliner Veranstaltungen der Alternativszene fast unverzichtbar. Wie ein Tornado fegt er derzeit auch mit seinem gleichnamigen Soloprogramm über die Bühnen der Republik, wie am Sonnabend in der Begu Lemwerder. Bei seinem sechsten Auftritt in der Begu weiß das Publikum längst, was es an ihm hat. Sobald Rating den in seinen Programmen obligatorischen Stapel Zeitungen hervorholt, um die Schlagzeilen zu analysieren, steigt die Stimmung. Und je länger er die allseits bekannten Meldungen über Politiker, Wirtschaftsbosse und Abgas-Affäre seziert, desto lauter werden die Lacher.
Dann wäre da noch die Bahn. Die kommt ja scheinbar immer zu spät. So betritt Rating abgehetzt in Hut und Mantel den Saal, die Koffer noch in der Hand. Hätte er nicht schon bei der Abfahrt in Spandau ein paar ältere Herrschaften mit Rollator überrannt, erzählt er, hätte er den Zug wohl verpasst. Am Ende hatte sein ICE so viel Verspätung, dass er auch den nächsten hätte nehmen können. Weil der Speisewagen geschlossen war, verspeist er auf der Bühne erst einmal ein halbes Grillhähnchen vom Imbiss unterwegs. Es ist der Beweis, dass komische Geschichten auch komisch bleiben, wenn sie mit vollem Mund erzählt werden.
Ursache und Wirkung
Ein paar Bissen nur, der Rest kommt in die Tonne. So geht das, wenn sich Rating über das Wegwerfen so vieler Lebensmittel empört. Denn wie immer bei Rating geht es um mehr als die Pointe, sondern auch um Ursachen und Wirkung gesellschaftlicher Missstände. Also, warum werden so viele Lebensmittel weggeworfen? „Weil alle immer die Milchtüte von hinten aus dem Regal nehmen, die noch vier Wochen haltbar ist“, lautet Ratings Antwort.
Der Kabarettist aus Berlin ist offenbar ein guter Beobachter. Unhaltbare Zustände findet er jedenfalls überall und macht sich flugs darüber lustig: beispielsweise über die Diesel-Manipulationen der Autohersteller („VW macht sich mit 14 Milliarden aus dem Feinstaub.“) und über den Berliner Flughafen BER, der einfach nicht fertig werden will, weil die CSU-Verkehrsminister der letzten Jahr ihn nicht gewollt hätten: „Der BER kostet jeden Tag eine Million Euro. Aber den Berlinern kann es egal sein, das zahlt am Ende doch Bayern über den Finanzausgleich.“
Für Politiker interessiert sich Rating kaum, sondern mehr für die Folgen ihres Tuns. "Wir haben alle Koalitionen durch. Das Einzige, was sich ändert, ist: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer." Politiker sei nun mal kein Ausbildungsberuf, sondern eine angelernte Tätigkeit wie die in der Flaschenannahme im Supermarkt, lautet seine Erklärung. Der Ex-Grünen-Vorsitzende und Fast-Außenminister Cem Özdemir sei zum Beispiel Sozialarbeiter. ("Jetzt muss er zurück ins Heim.") An SPD ("Andrea Nahles ist die Stradivari unter den A...geigen.") und Grünen könnte er offenbar fast verzweifeln. Ein ehemaliger Genosse sei gerade vom Fahrrad auf Porsche Cayenne umgestiegen. Schließlich müssten die Arbeitsplätze in der Autoindustrie im einzigen grün regierten Bundesland Baden-Württemberg erhalten bleiben.
Auch anderswo lassen die politischen Entwicklungen nach Auffassung Ratings stark zu wünschen übrig. „Die Österreicher sind durch Wahlen zu Kurz gekommen.“ Das Geschehen in den USA beunruhigt ihn ebenfalls. Obwohl die Bild-Zeitung noch zu Halloween 2016 vor erschreckenden Horrorclowns in den USA gewarnt habe, hätten die Amerikaner nur wenig später einen von ihnen zum Präsidenten gewählt.
Das Publikum ist von Ratings Rundumschlag sichtlich begeistert. Es honoriert den Auftritt mit Lachanfällen und viel Applaus. Manchmal auch nur mit zustimmenden Nicken. Denn wenn Rating sich etwa darüber empört, wie für die Holzkohlegewinnung und immer mehr Ölpalmen-Plantagen ganze Regenwälder abgeholzt werden, ist die Stimmung durchaus nachdenklich im Saal.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht, soll Arnulf Rating mal in einem Interview gesagt haben. Der Gast aus Berlin gilt als einer der wortgewaltigsten, originellsten und schlagfertigsten Politkabarettisten in der Republik und bietet seinen Zuhörern jede Menge Stoff zum Nachdenken und zum Lachen. Wie er mit großem Scharfsinn und Sprachwitz in Hochgeschwindigkeit die Themen der Zeit reflektiert und analysiert, hat Klasse und kommt beim Publikum bestens an.
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