Alle Flüchtlinge, die im Land Bremen ankommen, landen zuerst in Bremen-Nord. Denn hier, im ehemaligen Vulkan-Verwaltungsgebäude an der Lindenstraße in Fähr-Lobbendorf, befindet sich seit November 2016 das Zentrale Ankunftszentrum. Die Bürger im Stadtteil bekommen nur wenig von den Abläufen in dem riesigen Gebäude mit. Dabei haben die geflüchteten Menschen hier an sieben Tage in der Woche rund um die Uhr eine Anlaufstelle. Das ist wichtig, denn einige Flüchtlinge kommen völlig erschöpft mitten in der Nacht an und haben kaum mehr, als die Kleidung, die sie am Körper tragen.
Im Ankunftszentrum werden alle Schritte des Asylverfahrens unter einem Dach gebündelt: von der medizinischen Erstuntersuchung, der Registrierung, der erkennungsdienstlichen Behandlung bis hin zur Asylantragsstellung, dem Bescheid und ersten Angeboten zur Integration. Außerdem leben die Asylbewerber hier in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft.
Die Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt (Awo), die Träger der Erstaufnahmeeinrichtung mit 700 Plätzen ist, sind an sieben Tagen in der Woche von 7 bis 22 Uhr vor Ort. Die Aufnahmeeinrichtung ist für die Versorgung und Unterkunft der Asylsuchenden verantwortlich. Einrichtungsleiter ist seit dem 1. Januar Jürgen Raabe-Schwarz. „Nach 22 Uhr nehmen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes die neu Ankommenden in Empfang“, erläutert Nina Mahmutovic, stellvertretende Fachbereichsleiterin der Awo-Einrichtung. In zwei Flügeln des Gebäudes stehen für die Geflüchteten auf vier Etagen 156 Zimmer zur Verfügung, die mit zwei bis sieben Betten ausgestattet sind. Sanitärräume werden auf den Etagen gemeinschaftlich genutzt.
Wer nachts ankommt, bekommt zunächst einmal Bettwäsche, ein Hygiene-Paket und ein Zimmer zugewiesen. Spätestens am nächsten Werktag müssen die Flüchtlinge sich dann in der Zentralen Aufnahmestelle (Zast) des Landes Bremen melden, die sich ebenfalls im Gebäude befindet. Die Zast ist zuständig für die erste Registrierung. Außerdem wird hier die Entscheidung gefällt, in welchem Bundesland die Flüchtlinge ihr Asylverfahren durchlaufen werden.

Raymond Bohnenkamp, Leiter der Zast
Raymond Bohnenkamp, Leiter der Zast, erläutert: „Die Mitarbeiter nehmen Fingerabdrücke, machen ein Foto, nehmen die Daten auf und überprüfen die Identität, um sicherzustellen, dass nicht schon in einem anderen Bundesland ein Asylantrag gestellt wurde.“ Die Daten, das Foto und die Fingerabdrücke werden zentral gespeichert. Alle Behörden haben Zugriff auf diese Informationen, die auch im Ankunftsnachweis, dem ersten offiziellen deutschen Dokument, das die Flüchtlinge bekommen, festgehalten werden.
Schließlich prüfen die Zast-Mitarbeiter, ob der Flüchtling in Bremen bleiben kann oder ob ein anderes Bundesland zuständig ist. Das hängt unter anderem vom Herkunftsland und den Kapazitäten ab. „Es ist oft nicht leicht, wenn wir den Menschen mitteilen müssen, dass sie woanders hinmüssen. Besonders schwierig ist es, wenn sie in Bremen Angehörige oder Freunde haben“, schildert der Zast-Leiter.
Wenn entschieden wurde, dass sie in Bremen bleiben können, bekommen alle Neuankömmlinge einen Hausausweis, um im Gebäude ein- und ausgehen zu können. Damit sind sie für die Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst als Bewohner erkennbar und können an den Mahlzeiten teilnehmen, so Bohnenkamp. Wenn sie als Flüchtlinge anerkannt sind und damit ihre Wohnverpflichtung in der Erstaufnahmeeinrichtung endet, haben sie erneut mit der Zast zu tun. Mithilfe eines Computerprogramms suchen die Mitarbeiter dann Plätze in Übergangswohnheimen. „Die Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung bekommen im Haus eine Vollverpflegung und Taschengeld. Später haben sie dann Anspruch auf weitere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“, erläutert Bohnenkamp den Ablauf.
Für die medizinische Erstuntersuchung und die Gesundheitsversorgung bietet das Gesundheitsamt vor Ort medizinische Sprechstunden an. „Bei der Aufnahme werden die Flüchtlinge mithilfe eines mehrsprachigen Faltblattes über die ärztliche Versorgung in der Einrichtung informiert“, erläutert Christina Selzer, Sprecherin der Gesundheitsbehörde. 2016 zählte die medizinische Sprechstunde mehr als 11 100 Patientenkontakte beziehungsweise Behandlungen, 2017 mehr als 7600.
Selzer: „In der Regel ist die medizinische Sprechstunde der erste Kontakt der Asylsuchenden mit dem Gesundheitssystem. Sie vermittelt und erleichtert den Zugang zu den Angeboten der Früherkennung, die Versorgung von Kindern und Schwangeren und von Menschen mit besonderem Behandlungs- und Beratungsbedarf.“ Zu den Untersuchungen gehört bei allen Flüchtlingen ab 15 Jahren die Überweisung in die Röntgenabteilung einer städtischen Klinik, um eine Tuberkulose-Infektion auszuschließen. Außerdem bietet das Gesundheitsamt Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Tetanus, Polio und Keuchhusten an.

Referatsleiterin Josefa Schmid
Die nächste Anlaufstelle für die Asylbewerber im Nordbremer Flüchtlingszentrum ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Hier werden die festgestellten Personalien und Fingerabdrücke mit den Datenbanken anderer Behörden abgeglichen. Referatsleiterin Josefa Schmid erläutert: „Die Daten benötigen wir unter anderem für das Dublin-Verfahren, um festzustellen, ob der Asylbewerber schon in einem anderen Mitgliedsstaat registriert wurde.“ Speziell ausgebildete Experten des Bamf prüfen zudem die Ausweispapiere der Flüchtlinge auf Manipulationen. Da 60 Prozent der Asylbewerber keine Pässe oder Ausweise vorlegen, sei es wichtig Hinweise auf die Identität zu erlangen, so Schmid. Dabei werden technische Assistenzsysteme wie Handydatenauslesung und Sprachprobenerkennung eingesetzt.
Beim Bamf stellen die Flüchtlinge auch den Asylantrag. Nach der Antragstellung bekommen sie eine Aufenthaltsgestattung. Der nächste formale Schritt ist die Anhörung. Sogenannte Entscheider befragen den Asylbewerber intensiv zu seinen Fluchtgründen und zu seinem Fluchtweg. Das Interview führt der Entscheider mithilfe eines Dolmetschers. „Unser Ziel ist es, die Anträge möglichst zügig und gleichzeitig mit der nötigen Sorgfalt zu bearbeiten“, sagt Josefa Schmid. Derzeit liege die Bearbeitungszeit bei Neuverfahren durchschnittlich bei gut zwei Monaten. „Es gibt aber viele Aspekte, die eine Entscheidung verzögern können beispielsweise, dass Gutachten angefordert werden müssen oder weitere Recherchen nötig sind.“
In der Zwischenzeit bekommen die Asylbewerber Unterstützung von den Awo-Mitarbeitern und von Ehrenamtlichen, die sich in der Erstaufnahmeeinrichtung engagieren. „Wir koordinieren unter anderem Termine bei verschiedenen Behörden und bei niedergelassenen Ärzten“, beschreibt Nina Mahmutovic eine der Aufgaben.

Stefanie Secrafi ist eine der Ehrenamtlichen, die sich in der Erstaufnahmeeinrichtung der Awo engagieren. Sie gibt Deutschunterricht.
Silke Karsten ist bei der Awo Projektkoordinatorin und Ansprechpartnerin für die Ehrenamtlichen. Diverse Deutschkurse, unter anderem speziell für Frauen, Angebote des Vereins „Leselust“ zur Sprachförderung von Kindern, Bewegungsspiele, Kunstkurse, ein Spieletreff, eine Näh- und eine Fahrradwerkstatt und die Kleiderkammer werden von den freiwilligen Helfern angeboten und mit betreut. In Kooperation mit dem Schulzentrum Bördestraße ist ein Projekt geplant, bei dem Oberstufenschüler Kinder und Jugendliche in einem Jugendraum der Einrichtung betreuen. Dort stehen unter anderem Billardtische, Tischtennisplatten und Tischkicker zur Verfügung. Auch die Stadtteilschule ist im Auftrag der Bildungsbehörde regelmäßig im Haus und bietet Schulunterricht für die Kinder.
Darüber hinaus gibt es Kooperationen mit diversen Institutionen. Silke Karsten organisiert Ausflüge in die Stadtbibliothek, zu Stadtteilfesten und koordiniert Kontakte zu Vereinen. „Wir suchen weitere Menschen, die sich engagieren möchten“, betont Silke Karsten. Auch Kleiderspenden werden benötigt. Erreichbar ist die Projektkoordinatorin unter der Telefonnummer 04 21 / 36 12 30 04. „Wir freuen uns, wenn jemand eigene Ideen für neue Angebote mitbringt.“ Das könnten Ausflüge sein oder die Begleitung bei alltäglichen Dingen wie Busfahren und Einkaufen. Ziel sei es, so Silke Karsten weiter, den Flüchtlingen das Ankommen im fremden Land zu erleichtern.
Zur Sache: Das Zentrum für Flüchtlinge in Bremen-Nord
Im Zentralen Ankunftszentrum an der Lindenstraße in Bremen-Nord haben sich im vergangenen Jahr 3444 Menschen gemeldet. Allerdings sind einige nach dem Quotensystem EASY (Erstverteilung von Asylbegehrenden), das sich nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel richtet, gleich in andere Bundesländer umverteilt worden. Nach dem Königsteiner Schlüssel nimmt Bremen derzeit 0,95 Prozent der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge auf. Im vergangenen Jahr hat das Land Bremen insgesamt 1565 Menschen über das Erstaufnahmesystem aufgenommen, darüber hinaus 1026 Familienangehörige und 47 unbegleitete Minderjährige.
Die Zuweisung in eine bestimmte Aufnahmeeinrichtung entscheidet sich nach den aktuellen Kapazitäten. Darüber hinaus spielt eine Rolle, in welchem Ankunftszentrum das jeweilige Herkunftsland der Asylsuchenden bearbeitet wird. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Bremen ist für 28 Herkunftsländer zuständig. Je nach Herkunftsland können Asylsuchende bis zu sechs Monate oder bis zur Entscheidung ihres Antrags in der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht werden. Unter bestimmten Umständen, beispielsweise zur Familienzusammenführung, können sie innerhalb dieser Zeit aber auch einer anderen Einrichtung zugewiesen werden.
Das gesamte Asylverfahren – von der medizinischen Erstuntersuchung über die Aufnahme der persönlichen Daten, Identitätsprüfung, Antragstellung und Anhörung bis zur Entscheidung über den Asylantrag – findet in Bremen-Nord unter einem Dach statt. Und auch die Erstaufnahmeeinrichtung mit 700 Plätzen befindet sich hier. Aktuell (Stand 28. Februar 2018) sind 632 Geflüchtete in der von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) betriebenen Unterkunft untergebracht. Die Zahl ändert sich täglich.