Sie betreuen ein Verfahren zum Thema Arbeitsassistenz für einen Schwerbehinderten vor dem Bundesverwaltungsgericht. Wann erwarten Sie das Urteil?
Michael Richter: Die Entscheidung soll noch im Januar ergehen.
Um was genau geht es in dem Fall?
Mein Mandant ist blind. Er hat früher in der Nähe von Trier – also in Rheinland-Pfalz – gewohnt und als Beamter in Luxemburg gearbeitet. Dann hat er sein Beamtenverhältnis auf eine halbe Stelle reduziert, weil er sich nebenher eine selbständige Tätigkeit aufgebaut hat. Für diese Selbstständigkeit wurde ihm in Rheinland-Pfalz eine Arbeitsassistenz finanziert. Aus familiären Gründen ist er später nach Schleswig-Holstein umgezogen und hat sein Beamtenverhältnis in Luxemburg ruhen lassen. Das zuständige Integrationsamt in Schleswig-Holstein hat ihm aber von Anfang an die Arbeitsassistenz für seine selbständige Tätigkeit verweigert.
Mit welchem Argument?
Mit der Begründung, er habe leichtfertig seine Tätigkeit als Beamter aufgegeben, die in Deutschland keine Kosten verursacht hat. Deshalb sei die Arbeitsassistenz für ihn nicht notwendig.
Die zuständigen Gerichte in Schleswig-Holstein haben das bestätigt?
Leider ja. Deshalb ist der Fall beim Bundesverwaltungsgericht gelandet.
Was erhoffen Sie sich von der Entscheidung der Leipziger Richter?
Entscheidend ist, dass grundsätzlich geklärt wird, ob ein schwerbehinderter Berufstätiger einen echten Rechtsanspruch auf die für ihn notwendige Arbeitsassistenz hat, oder ob es sich dabei um eine Leistung handelt, die im Ermessen der Integrationsämter steht.
Warum ist das so wichtig?
Gibt es kein Ermessen, dann kann das Integrationsamt den Umfang der Arbeitsassistenz nicht nach eigenen Maßstäben festlegen. Stattdessen muss es die im Einzelfall notwendige Unterstützung finanzieren. Dann stellt sich also nur noch die Frage, was notwendig ist, damit der Betroffene die ihm übertragenen Aufgaben an seinem Arbeitsplatz bewältigen kann.
Rechnen Sie sich Chancen aus, dass das Bundesverwaltungsgericht in Ihrem Sinne entscheiden wird?
Es gibt auf jeden Fall gute Gründe, die gegen die Position des Integrationsamts in Schleswig-Holstein sprechen.
Welche Gründe sind das?
In erster Linie der Wortlaut des Gesetzes. Denn darin heißt es, dass schwerbehinderte Berufstätige Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz haben. Dazu kommt das Recht der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Das Integrationsamt in Schleswig-Holstein schreibt meinem Mandanten faktisch vor, dass er in Luxemburg arbeiten muss. Das ist das Gegenteil von Freizügigkeit. Nach meiner Auffassung verstößt das gegen EU-Recht. Darüber hinaus garantiert das Grundgesetz, dass jeder Deutsche selbst entscheiden kann, welchen Beruf er wo ausübt. Das gilt natürlich nicht ohne jede Einschränkung. Aber der Staat darf nicht so weit gehen, dass er einem Bürger faktisch vorschreibt, ausschließlich als Beamter in Luxemburg arbeiten zu können. Und schließlich führt die Haltung des Integrationsamts zu einer Benachteiligung meines Mandanten, die spezifisch auf seiner Behinderung beruht. Auch das ist mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren.
Welche Auswirkungen hätte es, wenn das Bundesverwaltungsgericht in Ihrem Sinne urteilen würde?
Das Bundesverwaltungsgericht ist in dieser Frage die oberste Instanz in Deutschland. Daher würden sich die Gerichte der Bundesländer an dieser Rechtsprechung orientieren, wenn um die Finanzierung von Arbeitsassistenzen gestritten wird. Auch die Betroffenen könnten sich in einem eventuellen Konflikt mit der Verwaltung darauf berufen. Außerdem wäre dann klar, dass die internen Richtlinien, nach denen die Integrationsämter derzeit arbeiten – die BIH-Empfehlungen – geändert werden müssten.
Was genau müsste geändert werden?
Diese Richtlinien enthalten zwei Punkte, die von den Betroffenen und Behindertenverbänden seit Jahren kritisiert werden: zum einen die Vorgabe, dass die Integrationsämter eine Arbeitsassistenz in der Regel höchstens für die Hälfte der Arbeitszeit des behinderten Arbeitnehmers bezahlen sollen. Eine solche pauschale Regelung widerspricht einem Rechtsanspruch auf die Übernahme der notwendigen Kosten. Zum anderen enthalten die Richtlinien eine Art Lohnabstandsgebot. Danach dürfen die Ausgaben für die Assistenzkraft höchstens halb so hoch liegen wie das Bruttoeinkommen des behinderten Beschäftigten. Auch das ist nicht haltbar, wenn ein Rechtsanspruch auf die Finanzierung der notwendigen Hilfskraft besteht.
Anfang des Jahres hat sich im Sozialrecht einiges geändert. Auch der Paragraf, aus dem sich der Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz ergibt, wurde neu gefasst. Hat sich dadurch inhaltlich etwas im Vergleich zur alten Rechtslage geändert?
Nein. Der Gesetzgeber wollte in Bezug auf die Finanzierung von Assistenzkräften für behinderte Arbeitnehmer nichts ändern.
Das Gespräch führte Elke Gundel.
Zur Person:
Michael Richter (49) ist seit 2009 Geschäftsführer der Rechtsberatungsgesellschaft „Rechte behinderter Menschen“ in Marburg. Er ist mit 17 Jahren erblindet, hat eine blindentechnische Grundausbildung und das Abitur an der Deutsche Blindenstudienanstalt in Marburg absolviert und anschließend Rechtswissenschaften studiert.
Wie ist die Lage in Bremen?
Seit gut einem halben Jahr sorgt die restriktive Bewilligungspraxis des Bremer Integrationsamtes bei Arbeitsassistenzen für behinderte Arbeitnehmer in der Hansestadt für Diskussionen. Die CDU-Bürgerschaftsfraktion hat daher einen Antrag in die Bürgerschaft eingebracht, damit die rechtlichen Grundlagen überprüft werden, die das Integrationsamt bislang für seine Entscheidungen heranzieht. Mit diesem Antrag wird sich die zuständige Arbeitsdeputation in einer ihrer nächsten Sitzungen befassen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem Fall, den der Marburger Anwalt Michael Richter betreut, entfaltet auch für Bremen Wirkung: Entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im Sinne des behinderten Klägers, bedeutet das auch, dass die in Bremen geltende Rechtsgrundlage teilweise rechtswidrig ist.