Die mit Spannung erwartete Auswertung des Gutachtens zur Materialanalyse der maroden Lesumbrücke über die Autobahn 27 liegt vor. Nun soll ein weiteres Teilgutachten für endgültige Klarheit sorgen. Bei der Präsentation dreier Varianten am Donnerstagvormittag stellte Martin Stellmann, Sprecher des Amtes für Straßen und Verkehr (ASV) klar: "Unsere erste Einschätzung war richtig, so geht es mit dem Bauwerk nicht weiter. Das Gutachten verneint die Möglichkeit der Ertüchtigung, die von Anfang der Favorit für uns war. Insofern teilen wir das Gutachten nicht in Gänze und holen eine zweite Meinung ein."
Weder die Widerlager der westlichen Brücke, deren älteste Teile aus dem Jahr 1936 stammten, seien beschädigt, noch der Mittelpfeiler. "Uns macht der Überbau Sorgen, wir reden über den Stahl, da steckt die Problematik", sagte Stellmann.
Verkehrsstaatsrat Ronny Meyer (Grüne) geht davon aus, dass "bis Herbst" weitere Materialproben ausgewertet seien. Dann wisse man, ob Variante eins, die Ertüchtigung, denkbar sei. Die täglich von knapp 80 000 Fahrzeugen frequentierte Brücke sei eine sehr wichtige Verkehrsverbindung nach Bremen-Nord und nach Bremerhaven. "Wir nehmen die Schäden sehr ernst und die Sicherheit liegt uns sehr am Herzen." Bei alledem stehe fest: "Der Neubau ist gesetzt." Nachdem das Problem Ende 2018 offenbar geworden waren, erhielt die Deges, die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, an der auch Bremen beteiligt ist, den Auftrag, mit den Vorbereitungen zu beginnen. 2,24 Millionen Euro werden für die Planungen veranschlagt, 1,8 Millionen Euro davon zahlt der Bund.
Bis 2028 alles so weit ist, muss der Verkehr über die übergangsweise hergerichtete oder gebaute Trasse fließen, auch dafür muss der Bund aufkommen. "Derzeit ist das ASV die Auftragsverwaltung, wir entscheiden gemeinsam mit dem Eigentümer", sagt Stellmann. Das ist der Bund, ab 2021 hat die Deges die Hoheit über die Autobahnen in Deutschland. Die bevorzugte Lösung ist die Ertüchtigung der rund 110 Meter langen Brücke. Variante zwei ist die oft geforderte Behelfsbrücke, die zu errichten etwa ebenso lange dauern würde. "Das ist aber eine Krücke, mit der wir lange würden leben müssen", sagte Stellmann mit Blick auf 2028. Das stählerne Provisorium sei "sehr wartungsanfällig", würde Umbauten an Widerlagern und Pfeiler und damit einen Eingriff ins Naturschutzgebiet bedeuten. Und es gäbe nur zwei Fahrspuren – wie jetzt, in der Baustelle.
Variante drei soll laut Stellmann ab Herbst umgesetzt werden, falls die neuen Materialproben keine Perspektive auf eine Reparatur eröffnen. Zudem könne der Ersatz für den Brückenüberbau beim späteren Neubau als westlich parallel verlaufender Behelf genutzt werden, der über einen Umfahrungsdamm erreichbar wäre. "Ein Nachteil ergibt sich hier durch die längere Bauzeit" von 23 Monaten, gab der Behördensprecher zu bedenken.
Und die Kosten der einzelnen Varianten? Darüber lägen dem ASV keine Kenntnisse vor, sagte Bauingenieur Thomas Sauer, Abteilungsleiter Brücken beim ASV. Was die Gutachten kosten, ist bekannt. Das erste hat laut Sauer 300 000 Euro gekostet, das Land zahlt. Für das zweite würden demnach noch einmal rund 50 000 Euro fällig – insgesamt so viel, wie zuvor veranschlagt. Die Baukosten zu kalkulieren, sei nicht zu leisten gewesen: Allein das Gutachten zur Materialbeprobung habe einen Umfang von fast 500 Seiten gehabt. Er steht hinter dem Versuch, die Brücke zu reparieren: "Wir sagen: Wir machen das so oft, dass wir glauben, das könnte gehen."
Die Industrie- und Handelskammer bedauerte in einer Mitteilung, dass weiter Unklarheit herrsche. Da der Engpass mindestens 14 Monate fortbestehe, fordert die IHK eine Verbesserung des Schienenverkehrsangebots nach Bremen-Nord und optimierte Ampelschaltungen auf Nebenstrecken. Erste Reaktionen der Politik fallen kritisch aus: Frank Magnitz (AfD), Bundestags- und Bürgerschaftsabgeordneter, ist für den neuen Überbau, "statt Provisorien in die Wege zu leiten". Heiko Strohmann, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, kritisiert das Verhalten des ASV und des Verkehrsressorts und spricht von "behördlich organisierter Zeitschinderei".
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