Es hat schon unharmonischere Landesparteitage der Linken gegeben, so viel steht fest. Am Sonntag im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen in Gröpelingen gab es eigentlich nur einen Punkt, der möglicherweise bei dem einen oder anderen Betrachter Unwohlsein auslöste: Ungefähr zur Hälfte der Debatte zum Leitantrag zu den Themen kostenloser Nahverkehr und Wahlvorbereitung krabbelte eine mehr als großgewachsene schwarze Spinne zielstrebig in Richtung Podium, überlegte es sich dann aber doch anders und verschwand in den Kulissen.
Ansonsten: Viel Harmonie, ein freundlicher Ton in den Redebeiträgen und gesittetes Benehmen – den Hinweis von Landesvorstand Jan Restat zu Beginn der Sitzung, bitte nicht die Geräte des an den Saal angrenzenden Spielplatzes zu nutzen, hätte es wohl gar nicht gebraucht. Die rund 70 Delegierten aus Kreisverbänden und Jugendorganisationen und ihre Gäste waren ja auch schließlich zum Arbeiten da. Bis zur Bürgerschaftswahl in einem Jahr, da ist man sich einig, muss noch viel getan werden, um den zuletzt positiven Trend auszubauen.
Partei ist momentan die politische Gewinnerin
Anfang Mai hatte eine Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des WESER-KURIER bei der Sonntagsfrage 15 Prozent für die Linken ergeben. Damit ist die Partei im Moment die politische Gewinnerin und eine Regierungsbeteiligung zumindest rechnerisch möglich. Große Opposition oder ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken sind laut der Umfrage im Moment die einzigen Regierungsmöglichkeiten. "Die Umfrage" war dann auch ein viel zitiertes Wort, verbunden mit dem auf dem Parteitag 2016 noch sehr kontrovers diskutierten Thema Regierungsbeteiligung. Der allgemeine Tenor am Sonntag: Wenn ein Politikwechsel realistisch wäre, würde man sich keinen Sondierungsgesprächen verschließen – und was dabei dann herauskommt in Sachen Regieren oder Opponieren, wird man dann sehen, wenn es so weit ist.
Fraktionschefin Kristina Vogt: "Wir werden als sehr wichtiger Player wahrgenommen. Die Leute merken, dass linke Politik funktioniert. Wir werden genau schauen, was wir wollen und mit wem wir es umsetzen können." Wolfgang Meyer (Beirat Neustadt) warnte davor, dass man im Fall einer Regierungsbeteiligung in einem Rot-Rot-Grünen Bündnis keine linke Opposition mehr hätte und damit der AFD viel Raum gewähren würde. Meyer: "Wenn wir den Schritt gehen, müssen wir sicher sein, dass wir unsere Ziele erreichen." Haushaltsexperte Klaus-Rainer Rupp formulierte es so: "Über das, was wir jetzt diskutieren, die Probleme, vor denen wir stehen, kann man auch sagen: Früher wären wir froh darüber gewesen, solche Probleme überhaupt zu haben."
Auf einem Programmparteitag am 24. und 25. November wird das Wahlprogramm beschlossen, die Kandidatenliste mit 22 Personen auf einer Mitgliederversammlung am 15. Dezember aufgestellt. Personelle Ergebnisse am Sonntag: Sofia Leonidakis und Sebastian Rave kandidieren für die nächste Wahl des Bundesvorstands, Kristina Vogt überlegt noch. Inhaltlich soll den Wahlkampf neben den Themen Armutsbekämpfung und bezahlbarer Wohnraum auch ein Konzept zum kostenlosen öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) bestimmen. Die Delegierten beschlossen mit großer Mehrheit den Leitantrag "Stadt für alle, Mobilität für alle".
Mobilität sei ein Grundrecht
"Wir standen mit dieser Forderung lange in der Ecke der utopischen Spinner. Mobilität ist aber ein Grundrecht. Es kann nicht sein, dass Menschen nicht in die Innenstadt oder andere Stadtviertel gelangen können, weil sie es sich nicht leisten können", sagte Landessprecher Felix Pithan. Anders als die Grünen, die das sogenannte Wiener Modell, Jahrestickets für 365 Euro anzubieten, bevorzugen, sind die Linken der Ansicht, dass mit dieser Variante immer noch zu viele Menschen ausgeschlossen würden. "Wir begrüßen Schritte wie ein Stadtticket für maximal 20 Euro, ein Azubiticket analog zum Semesterticket oder die ver.di-Forderung nach einem voll vom Arbeitgeber finanzierten Jobticket für den öffentlichen Dienst", heißt es in dem Leitantrag.
Auch was den Umbau Bremens in ökologischer Hinsicht angeht, spielt der kostenlose Nahverkehr für die Linken eine große Rolle. Christoph Spehr: "Der ÖPNV muss das beherrschende Mittel in der Innenstadt werden. Der Radverkehr alleine kann die Probleme nicht lösen." Finanziert werden könnte der Plan langfristig durch eine Abgabe, die Unternehmen zahlen, Gewerbesteuern und Tourismusgebühren. Auch eine sozial gestaffelte Umlage schließen die Linken nicht aus. Bis zur Bürgerschaftswahl werde man ein durchgerechnetes Konzept vorlegen, heißt es in dem Leitantrag.
Die große Politik hat Martin Schirdewan im Blick. Der Europaabgeordnete sprach als Ehrengast und warnte vor dem Rechtsruck, der sich in einigen nationalen Parlamenten, darunter Italien, abzeichnet. Auch auf europäischer Ebene müsse die Linke "für eine bessere europäische Zukunft stehen", sagte er. Nur mit einer konsequenten Haltung für eine offene Gesellschaft, dem Eintreten für Minderheiten und Inklusion könne man sich den Rechten entgegenstellen.