Bremen. Reinhard Loske (Grüne) eckt an, seit er 2007 den Job als Umweltsenator übernommen hat. Mit unpopulären Entscheidungen, wie zum Beispiel der Bevorzugung von Fahrrädern im Verkehr, mit der Umweltzone und mit Naturschutzplänen für Industriegelände. Jetzt legt der Klimapolitiker eine Denkschrift vor, die weit über diesen Rahmen hinausgeht. Er fordert, um die Folgen des Klimawandels in den Griff zu bekommen, eine Abkehr vom Wachstum. Er plädiert für eine "Politik der Mäßigung". Ein Modell, das die 20-Stunden-Woche ebenso umfasst wie die Zerschlagung großer Kapitalgesellschaften im Namen der Nachhaltigkeit.
Bei den eisigen Wintern in diesem und im vergangenen Jahr mag man Zweifel bekommen an der Botschaft von der Erderwärmung. Bei einer dicken Schneedecke und Temperaturen um minus zehn Grad genügt eigentlich ein Blick aus dem Fenster, um vom Gegenteil überzeugt zu sein. Und doch: In seiner Denkschrift "Abschied vom Wachstumszwang" warnt der Klimawissenschaftler Loske davor, alles so laufen zu lassen wie in den vergangenen Jahren.
Seine These: Wenn der Temperaturanstieg wenigstens so gebremst werden soll, "dass wir uns vielleicht noch an ihn anpassen können", bedeutet dies, den CO2-Ausstoß weltweit um den Faktor drei zu reduzieren. In den Industriestaaten um den Faktor zehn. Das sind massive Einschnitte in alle Bereiche, die mit Verbrennung zu tun haben, bei der Mobilität genauso wie in der Produktion. Die Rechnung setzt aber voraus, dass die Weltbevölkerung nicht weiter wächst... Tut sie aber, von jetzt sieben auf neun Milliarden Menschen im Jahr 2050. Ein Szenario mit leichtem Gruselfaktor.
Erneuerbare Energien reichen nicht
Denjenigen, die allein auf die Kraft der technischen Innovation setzen, erteilt Loske eine Absage. "Was nutzt die Halbierung des Spritverbrauchs, wenn sich die Zahl der Autos verdoppelt?" Und der Umweltsenator, der auf Wind- und Solarenergie setzt, räumt wenige Seiten später ein: Auch erneuerbare Energien könnten den wachsenden Energieverbrauch nicht klimaneutral decken. Er warnt: Wer allein auf Innovation der Technik vertraut, begibt sich in eine Effizienz-Diktatur.
Hält es Loske überhaupt für machbar, die Aufgabe zu lösen und den Klimawandel zu bremsen? Gibt es überhaupt eine Chance? "Man kann sich nicht täglich die Größe des Problems vor Augen halten", räumt er ein. Deshalb orientiert er sich an dem Spruch: "Pessimismus in der Analyse, Optimismus im Handeln." Zwischen den Zeilen, so ist der Eindruck beim Lesen, überwiegt allerdings die Skepsis. Auf den 64 Seiten der Denkschrift skizziert Loske aus seiner Warte einen möglichen Ausweg.
Abkehr vom Überfluss und vom ständigen "immer mehr"
Kernaussage: Eine Abkehr vom Wachstum ist zwingend. Loske fordert unter dem Strich, dass die Menschen ihre Wertvorstellungen bewusst und grundlegend ändern. Eine neue Ethik. Eine Abkehr vom Überfluss und vom ständigen "immer mehr". Das hört sich zwar zunächst esoterisch an, ist für den Senator aber ganz konkret: Ein neues Gesellschaftmodell mit Grundrente für alle, kürzeren Arbeitszeiten, mehr sozialem Engagement und Werbeverbot im Kinderfernsehen. Und Aktienkurse haben nach Ansicht von Reinhard Loske im Fernsehen auch nichts zu suchen. Seine Rechnung in verkürzter Form: Weniger Konsum und weniger Arbeit sorgen für weniger Produktion und für weniger Schadstoffe.
Das ist nicht unbedingt neu, in den vergangenen zehn Jahren aber eindeutig aus der Mode gekommen. Jetzt ist die Diskussion wieder in vollem Gange. Bereits 1972 legte ein Forscherteam unter der Leitung des US-Wissenschaftlers Dennis Meadows einen Bericht an den Club of Rome vor. Mit Hilfe von Computermodellen machten die Autoren damals deutlich, dass exponenzielles Wachstum und endliche Ressourcen zwangsläufig zum Zusammenbruch führen. 2004 wurde die letzte Überarbeitung des Berichts vorgelegt. Und auch damit wird eine eindeutige Warnung transportiert: Ein "weiter so" wie bisher würde ab 2030 zum Kollaps führen.
Es gibt eine Gegenbewegung
Nicht alle glauben daran, es gibt eine Gegenbewegung. So bezeichnet Michael Miersch in einem Kommentar der "Welt" das Wiedererstarken der Wachstumskritik als "Retro-Welle". Seiner Ansicht nach ist der "Club of Rome" widerlegt und die Wachstumskritik lediglich der Ausdruck einer alternden Gesellschaft und ihrer perspektivlosen Elite. Seine Argumente: Als Folgen des Wachstums gibt es heute weniger Arme, eine höhere Getreideproduktion, mehr Demokratien.
Das nun wieder hält der Bund für Umwelt und Naturschutz für gefährlich. Auf einer Internetseite des BUND aus Süddeutschland wird davor gewarnt, dass heute Indien und China dabei sind, "unser zerstörerisches Modell einer Raubwirtschaft nachzuahmen." Exponentielles Wirtschaftswachstum von drei oder fünf Prozent führe zwangsläufig zur Selbstzerstörung. Loske hat in der jüngeren Vergangenheit zwei Vorträge über die Frage gehalten, wie die Verbindung zwischen Klimawandel und Wachstum aussieht. "Ich habe festgestellt, dass sich unglaublich viele Menschen mit diesem Thema beschäftigen." Selbst der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte im Oktober 2009 in einer Rede erklärt, es gehe angesichts des Klimawandels um mehr als um Wachstum. Köhler wird zitiert: "Der Wandel wird auch unseren Lebensstil verändern - wir werden lernen, mit weniger Verbrauch glücklich und zufrieden zu sein."
Kulturwandel aus purer Einsicht
Das ist ganz dicht bei Loske. Der Kulturwandel aus purer Einsicht ist seiner Ansicht nach dringend notwendig. Die Alternative wäre seiner Ansicht nach, dass Umweltkrisen und Konflikte um Ressourcen die Menschen schließlich auf einen noch wesentlich radikaleren Kurs zwingen, wenn sie sich nicht rechtzeitig besinnen.
Er umreißt neun Handlungsfelder für seine "Politik der Mäßigung" und entwickelt daraus Forderungen. Eine negative Verzichtsdebatte möchte der Senator dabei augenscheinlich vermeiden, um nicht als Miesmacher abgestempelt zu werden. Er argumentiert stattdessen, dass mehr Besitz und mehr Konsum ab einem bestimmten Niveau nachweisbar nicht glücklicher machen. Er vertritt aber die These, dass die Menschen Freiräume, die durch Konsumverzicht entstehen, sinnvoll nutzen können.
Keine Aktien-Nachrichten mehr
Beispiele aus dem Forderungskatalog:
1. Das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für gesellschaftliche Entwicklung muss um mehrere Komponenten wie Gesundheit, Bildung und Umweltqualität erweitert werden. Der rein ökonomische Maßstab muss in ein Gesamtbild eingebettet werden.
2. Konsum mit Augenmaß, Schluss mit Gier - um dies zu erreichen hat Loske zwei Beispiele parat. Er schlägt ein Ende der Aktien-Nachrichten im Fernsehen vor und ein Aus für Werbung im Kinderfernsehen. Denn: "Schon früh soll eine Konditionierung auf Konsum stattfinden."
3. Eine Verkürzung der Arbeitszeit und gleichzeitig eine Stärkung sinnvoller Tätigkeiten in der Freizeit. So kann der Wachstumsdruck gedämpft werden. Loske konstruiert daraus ein "neues Gleichgewicht" aus Arbeit und Leben". Perspektivisch sei die "20-Stunden-Woche für alle" wünschenswert, zunächst müsse es aber flexible Modell geben.
4. Jeder erhält ein "Bürgergeld", das die Existenz sichert und seitens des Staates an keine Bedingungen geknüpft ist.
5. Konsequente Umsetzung einer Ökosteuer. Die Steuer muss sich an Energie-, Rohstoff-, Flächen- und Wasserverbrauch orientieren. "Die Potenziale dieses Konzeptes sind bei weitem noch nicht ausgereizt."
6. Handel regionalisieren und unnötige und unökologische Wege vermeiden.
7. Loske fordert eine Neuausrichtung von Unternehmen. Große Kapitalgesellschaften, so lautet seine Kritik, unterliegen in der Regel einem hohen Wachstumsdruck. Politik muss seiner Meinung nach kleine, regional handelnde Unternehmen fördern. Außerdem verlangt er tiefe Einschnitte in das Markt-System: Der Staat muss sicherstellen, "dass dem Größenwachstum klare Grenzen gesetzt werden."
Wachstum als Selbstzweck, zu diesem Schluss kommt der Senator, kann nicht gut sein. Wachstum muss einem Ziel dienen. Er möchte seine Denkschrift als Teil der Diskussion darüber verstanden wissen, welche Ziele die richtigen sind.
Reinhard Loske: "Abschied vom Wachstumszwang - Konturen einer Politik der Mäßigung" ist in der Basilisken-Presse erschienen (ISBN 978-3-941365-11-7) und kostet 14 Euro.