Die Steine müssen weg. Das hat Eva Kirschenmann von Anfang an gesagt. Schon als sie 2013 die ersten Ideen für die Umgestaltung des Lucie-Flechtmann-Platzes an der Westerstraße entwickelt hatte, war die Pflasterung im Weg. Jetzt, vier Jahre später, geschieht etwas, wofür sie lange gekämpft, aber woran sie kaum noch geglaubt hat: Die Fläche wird entsiegelt. Der einst farblose Ort, den sie und viele engagierte Anwohner mit provisorischen Gemüsebeeten, selbst gezimmerten Sitzmöbeln und einem vielseitigen Programm zu einem zentralen Treffpunkt in der Nachbarschaft umgestaltet haben, wird nun auch optisch das, was er sein soll: ein Garten für alle.
Kirschenmann lächelt. Die Erleichterung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Eben lief sie noch zwischen dem Wirrwarr aus Holzbeeten und bepflanzten Bäckerkisten umher, um Müll aufzusammeln. Jetzt sitzt sie auf einer der selbst gebauten Palettenbänke und lässt den Blick über den Platz wandern. „Dort“, sagt Eva Kirschenmann und deutet mit dem Finger in die Mitte des Platzes, „wird es einen Aufenthaltsbereich geben.“ Eine von zwei Flächen, in denen auch nach der Umgestaltung noch Steine den Boden bedecken. Der Rest ist der Skizze des zuständigen Planungsbüros Protze und Theiling nach vor allem eines: grün. Allein 736 Quadratmeter Rasenfläche wird es geben, dazu weitere 466 Quadratmeter zum Gärtnern.
Konzepte für eine Bühne
Doch das ist längst nicht alles. An der Hochschule Bremen entwickeln Studierende derzeit erste Konzepte für eine Bühne, die in der Mitte des Areals aufgestellt werden soll. Wege werden angelegt und der Platz über Rampen auch für Rollstuhlfahrer zugänglich. Und: Statt Strom vom Seniorenheim und Wasser aus dem Hydranten bekommt der Platz zentrale Anschlüsse und eine eigene Stromversorgung. „Das macht vieles einfacher“, freut sich Kirschenmann.
Auch im Hintergrund hat sich etwas verändert: „Bislang hätte uns die Stadt quasi jeden Tag kündigen können. Nun haben wir endlich einen langfristigen Nutzungsvertrag unterschrieben.“ Die Stadt übernimmt die Kosten für die Entsiegelung des Platzes, das Einrichten der Strom- und Wasserversorgung und den Bau einer Toilette. Der Verein Kulturpflanzen, Träger des „Ab-geht-die-Lucie“-Projekts, verpflichtet sich im Gegenzug, die neue Grünflache zu pflegen.
Doch vorher heißt es: anpacken. Schon im November rollen die Bagger an, um die Pflastersteine und den Boden abzutragen. Bis dahin muss der Lucie-Flechtmann-Platz leer geräumt werden. Dafür sind verschiedene Aktionen geplant. „Wir wollen, dass sich jeder, der möchte, ein Stück Lucie mit nach Hause nehmen kann“, sagt Kirschenmann. Daher wird es bei der Kleidertausch-Veranstaltung am Sonntag, 8. Oktober, die Möglichkeit geben, Pflanzen auszubuddeln und bei sich zu Hause einzusetzen. Eine Abrissparty mit Open-Air-Kino soll dann am 14./15. Oktober stattfinden.
„Alles muss jetzt leider sehr schnell gehen“, sagt Kirschenmann. „Wir sind erst einmal total überfordert mit der Aufgabe in unserem kleinen Team. Aber wir hoffen, dass sich wieder viele helfende Nachbarn finden werden.“ Finanzieren können sie die Kosten dank eines mit 2000 Euro dotierten Nachbarschaftspreises, den sie vor Kurzem gewonnen haben.
Urbaner Garten wird abgerissen
Der Abriss des urbanen Gartens – für Regina Wehmeyer ein Moment, dem sie auch ein bisschen wehmütig entgegenblickt. Die 60-Jährige engagiert sich seit Gründung des Projekts auf dem Lucie-Flechtmann-Platz. „Ich fand ja immer, dass dieses Chaos aus Kisten und Kästen auch etwas Besonderes hatte“, sagt die Anwohnerin, die auf der ‚Lucie‘ regelmäßig selbst gärtnert. „Es ist schön, zu sehen, wie sich die Natur entwickelt, wenn man sie lässt.“ Nichtsdestotrotz ist sie gespannt auf die Neugestaltung.
Mona Völkle geht es ebenso. Die 29-Jährige ist seit einem Jahr Teil der Gruppe und froh, dass es die Initiative gibt. „Ich finde es wichtig, zu zeigen, dass Grün in der Stadt mehr zu bieten hat, als reiner Erholungsraum zu sein.“ Ferner biete sich so die Möglichkeit, sich über ökologische Themen auszutauschen und auf einen nachhaltigen Umgang mit der Natur hinzuweisen.
In Zukunft soll das noch verstärkt werden: In den derzeit leer stehenden Räumen an der Westerstraße 58 wird der Verein „Kulturpflanzen“ eine offene Klimawerkstatt einrichten. „Einen „praxisorientierten, alltagsbezogenen Bildungsraum“, wie Eva Kirschenmann sagt. Ab Januar wird es dort verschiedene Angebote geben, etwa Vorträge und Workshops zu Klimaschutzthemen. Darin will die Lucie-Gruppe nicht nur Projekte für ihren eigenen Garten planen, sondern auch Impulse setzen und unterstützen, wenn es etwa um Share-Netzwerke im Stadtteil oder Ideen für die Begrünung der Nachbarschaft geht. „Wir sind da noch total offen für Ideen“, betont Kirschenmann.
Sie selbst wird eine von zwei Teilzeitkräften, die die Klimawerkstatt in den nächsten zwei Jahren betreuen. Das Geld dafür kommt aus dem Förderprogramm „Kurze Wege für den Klimaschutz“ des Bundesministeriums für Umwelt. In die Klimawerkstatt integriert werden ein ständiges Reparatur-Café und eine Upcycling-Station auf Spendenbasis, in der Bau- und Bastelmaterialien gesammelt werden, um sie wiederzuverwerten.
Bereits im März soll der neue Platz nutzbar sein. „Mit diesen Änderungen startet das Projekt ‚Lucie‘ in einen ganz neuen, vielversprechenden Abschnitt“, freut sich Kirschenmann. Ein Meilenstein, für den zunächst aber all die vorhandenen Steine verschwinden müssen.