Mit Verwunderung und Überraschung sind in Lübeck die Äußerungen des Geschäftsführers der in Bremen ansässigen Günter-Grass-Stiftung (WESER-KURIER vom 4. Oktober) aufgenommen worden. Dies sagte Hans Wißkirchen, Leitender Direktor der Lübecker Museen, am Freitag. Die Grass-Stiftung, die aus finanziellen und personellen Gründen über eine Verlegung ihres Ton- und Bildarchivs von der Bremer Jacobs Universität nach Lübeck an das Günter-Grass-Haus nachdenkt, hatte sich im Mai mit dem Lübecker Bürgermeister getroffen. Seither habe man nichts aus Lübeck gehört, hatte Stiftungs-Geschäftsführer Horst Monsees dem WESER-KURIER gesagt. „Wir haben keine Zusagen, das ist eine echte Geduldsprobe.“
„Wir sind verwundert über die Aussagen“, sagte Wißkirchen. Einerseits, weil Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau signalisiert habe, dass man einverstanden sei, das Bremer Medienarchiv über den 2015 verstorbenen Literaturnobelpreisträger in Lübeck weiterzuführen. „Nun muss der erste Schritt aus Bremen kommen“, sagte der Direktor der städtischen Museen in Lübeck. Bremen müsse die Sitzverlegung in die Wege leiten.
Verhandlungen noch nicht abgeschlossen
Zweitens sei man verwundert, dass über Bedingungen für einen Standortwechsel öffentlich gesprochen wird, sagte Wißkirchen. Weil die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen seien, sei das „kein guter Stil“. Im Artikel hieß es, dass Bremen den Fortbestand der Stiftung, die Übernahme der Archivarin und eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, einen Vorstandsposten für eine Bremer Persönlichkeit sowie gemeinsame Ausstellungen forderte. Wißkirchen wollte sich nicht zu den Forderungen äußern.
Alles in allem ist er zuversichtlich: „Ich bin optimistisch, dass wir da zusammenkommen.“ Auf einen festen Termin habe man sich nie festgelegt. Das Ziel sei „so bald als möglich.“ Ein Anlass wie der Artikel sei manchmal ganz gut, um einen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. In Bezug auf künftige Kooperationen des Grass-Hauses mit Bremen sagte Wißkirchen: „Das werden wir sicher auch mit Bremen tun.“ In Lübeck konzipierte Ausstellungen könnten nach Bremen gebracht werden. „Lübeck ist sicher ein geeigneter Ort“, sagte Wißkirchen. Der Schriftsteller, Grafiker und Bildhauer Grass hatte nahe Lübeck gelebt. Im Grass-Haus in der Lübecker Altstadt hatte er jahrelang sein Büro, heute ist es ein Museum. Dem Direktor zufolge besuchen es jedes Jahr im Schnitt 25.000 Menschen. Das Bremer Archiv mit seinen rund 2600 digitalisierten Bild- und Tonaufnahmen würde sich dort „ideal einfügen“.
Doch wie steht die Bremer Kulturbehörde dazu, dass das Medienarchiv Bremen verlassen könnte? „Aus fachlich-inhaltlicher Sicht ist es nachvollziehbar“, sagte Behördensprecher Heiner Stahn. Es sei sinnvoll, das Archiv und das Grass-Haus zu bündeln. Die Grass-Stiftung habe die Kulturbehörde, der nun Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) vorsteht, über die Gespräche mit Lübeck informiert. Diese liefen schon seit mehr als zwei Jahren. „Wir hoffen auf Kooperationsprojekte zum Thema Günter Grass in Bremen“, sagte Stahn.
„Es wäre schade und ein Verlust, wenn das Archiv Bremen verlassen würde“, sagte Elombo Bolayela, Sprecher für Kulturpolitik der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Er vertraut darauf, dass die beteiligten Akteure wüssten, was das Beste ist und dass sie alle Möglichkeiten für einen Verbleib in Bremen ausgeschöpft haben. Der kulturpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Claas Rohmeyer, sagte, dass es kulturfachlich sinnvoll sei, das Bremer Archiv mit dem Grass-Haus zusammenzuführen. Die Kulturdeputation sei mit der Grass-Stiftung seit der Absetzung der damaligen Geschäftsführerin im Jahr 2017, die Geld unterschlagen hatte, nicht befasst gewesen. Universität und Hochschule Bremen, die Monsees als mögliche neue Standorte genannt hatte, konnten wegen des Brückentags am Freitag keine Angabe zum Thema machen.