Ein Mann macht der Freundin eines anderen ein Kompliment über ihr Aussehen. Kurze Zeit später sticht ihm der Freund der Frau drei Mal mit einem Messer in den Oberkörper und ein weiterer Mann, ein Unbeteiligter, ist tot, weil er sich dem flüchtenden Angreifer in den Weg gestellt hatte. Das ist, kurz zusammengefasst, am frühen Abend des 2. November 2017 im Steintor geschehen, zwischen Rewe-Markt und dem Imbiss "Zoom-Burger". Am Dienstag fällte das Bremer Landgericht ein Urteil in dem Prozess, der auf die Tat folgte.
Der Freund der Frau, ein 24-jähriger Russe aus Tschetschenien, muss wegen Totschlags, versuchten Totschlags und gefährlicher Körperletzung für zwölf Jahre ins Gefängnis. Seinen mitangeklagten Freund sprach die Kammer mangels Beweisen für eine Beteiligung an den Taten frei. Mit ihrem Urteil folgte das Gericht der Empfehlung der Staatsanwaltschaft, die auf eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren plädiert hatte. Die Verteidigung hatte beide Taten als gefährliche Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge gewertet und fünf Jahre Haft für ausreichend gehalten.
Richter Jens Florstedt musste wie auch rund 20 Zuhörer rund 45 Minuten warten, bevor er das Urteil der Kammer sprechen konnte. Der Grund: Der Mitangeklagte war – nicht zum ersten Mal – nicht pünktlich im Gerichtssaal erschienen. "Ich verstehe nicht, ob das an Ihrer Doofheit liegt oder an fehlendem Respekt", rügte er den Mann, auch er ein Tschetschene, der in Hamburg lebt. Für die sechs Wochen, die er in Untersuchungshaft saß, wird er nun trotz des Freispruchs nicht entschädigt. Auch der Hauptangeklagte zeigte zunächst wenig Respekt vor dem Richter und diskutierte mit dem Dolmetscher, als Florstedt mit der Begründung des Urteils beginnen wollte. Nach einer Ermahnung ließ er die Ausführungen weitgehend mit gesenktem und auf den Armen abgelegtem Kopf über sich ergehen – unwahrscheinlich, dass er ihnen trotz Übersetzung inhaltlich wirklich folgen konnte.
Angaben widersprachen Zeugenaussagen
"Wenn man Sie jetzt so ansieht, haben Sie sich eigentlich während des ganzen Prozesses hinter und unter der Anklagebank versteckt", sagte der Richter und nahm damit Bezug darauf, dass der 24-Jährige während der vorangegangenen Verhandlungstage alle Aussagen zu sich und seinem Hintergrund verweigert hatte und auch seine Angaben zum Geschehen am Tag der Tat den Aussagen der Zeugen widersprachen. So hatte er zum Beispiel angegeben, der Mann, der seine Freundin im Rewe kurz vor dem Kassenbereich angesprochen hatte, habe sie schwer beleidigt. Laut dem Gericht widerlegen dies allerdings Bilder einer Überwachungskamera. "Sie waren nicht über die Beleidigung empört, sondern darüber, dass ihr Mädchen überhaupt angesprochen wurde", schlussfolgerte der Richter. "Nach Ihrer Vorstellung gehört die Ansprache eines Mädchens zu den Gefahren, vor denen eine Frau zu schützen ist." Inzwischen ist die Frau die Ehefrau des Angeklagten, kurz vor seiner Festnahme in Polen hatten sie im Frühling 2018 nach islamischem Recht geheiratet.
Überhaupt bestimmten Charakter und Handlungen des Hauptangeklagten nach Überzeugung der Kammer eine mangelnde reflexive Selbstwahrnehmung, ein übermäßig besitzergreifendes Beziehungsmuster und das Streben nach "tschetschenischen Idealen". So hatte er einer Gutachterin gesagt, in seiner Heimat wäre er für die Tat nicht bestraft worden, weil er schließlich seine Freundin habe schützen wollen. Die Gutachterin bescheinigte ihm eine erhebliche Störung seiner Persönlichkeit, die das Gericht jedoch für nicht so gravierend hielt, als dass sie das Strafmaß hätte mildern können.
"Es war eine gezielte Aktion zur Abstrafe, der Mann sollte büßen", beschrieb der Richter die Situation, als der Angeklagte vor dem Imbiss den Pakistani stellte, der seine Frau angesprochen hatte. Er habe nicht lange gewartet, sondern ihm bewusst die zehn Zentimeter lange Klinge seines Messers drei Mal in den Oberkörper gerammt und nur mit Glück nicht das Herz oder innere Organe verletzt. Ebenso bewusst und mit Wucht hatte der Angeklagte auch beim Angriff auf den zweiten Mann, ebenfalls aus Pakistan, zugestochen. Er hatte die Auseinandersetzung mitbekommen und sich dem Tschetschenen in den Weg gestellt, als der flüchten wollte. "Er war unbewaffnet, hat nicht mal zum Schlag ausgeholt. Sie stachen ihm ins Herz, damit Sie fliehen konnten", sagte der Richter. Notwehr scheide für beide Taten als mildernder Umstand aus.
Heimtücke oder ein anderes Merkmal von Mord, auf den die Anklage ursprünglich gelautet hatte, erkannte die Kammer in den Taten allerdings nicht. Deshalb wurde auf Totschlag beziehungsweise versuchten Totschlag entschieden. Als erschwerend für die Höhe des Strafmaßes, das sich im oberen Rahmen bewegt (Höchstmaß normalerweise 15 Jahre), wertete das Gericht auch, dass der Angeklagte schon bei der Ablehnung seines Asylgesuchs in Oranienburg einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde gedroht hatte, sie mit seinem Messer abzustechen. Wie genau sich die Verurteilung nun auf eine mögliche Abschiebung des Mannes auswirkt, sei unklar, erklärte Richter Thorsten Prange, Sprecher des Landgerichts. "Aber man kann sagen, dass hohe Strafen normalerweise schon Auswirkungen auf verwaltungsgerichtliche Verfahren haben." Für die Ausweisung von Straftätern gibt es keine einheitliche Regel. In manchen Fällen stimmt die Staatsanwaltschaft einer Abschiebung zu, wenn ein Täter einen Zeitraum von mindestens der Hälfte bis zu zwei Dritteln seiner Strafe im Gefängnis abgesessen hat. Allerdings kann die Reststrafe aufrechterhalten bleiben, die dann bei einer erneuten Einreise nach Deutschland abgegessen werden müsste.
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