Der Kolben des Luftgewehres presst sich an Holger Bartels Wangenknochen. Das linke Auge fest zugekniffen, visiert das rechte über Kimme und Korn das Ziel an: Mitten ins Herz. Bartels drückt ab, es knallt und die kleine goldene Kugel des Luftgewehrs bohrt sich in das Papier, ein rotes Herz auf weißem Grund.
Der Schuss hat den Rand des Herzens erwischt. „So schlecht war das doch gar nicht“, muntert die Frau hinter dem Tresen ihn auf. Andrea Müller heißt sie und ist beim Schützenhaus Edelweiß, einem alteingesessenen Familienbetrieb, seit 30 Jahren dabei. Was das Schießen angeht, ist sie Experte – genau wie Bartels, Präsident der Landesjägerschaft Bremen und Stadtjägermeister von Bremerhaven. Mit 16 Jahren hat er seinen Jagdschein gemacht.
„Das Gewehr ist für mich zu leicht“, ist Bartels erster Eindruck. „Ich bin es gewohnt, mit schwerer Waffe zu schießen, die liegt ruhiger in der Hand.“ Sein Jagdgewehr wiege mit satten fünf Kilo fast doppelt soviel. „Aber damit soll man ja kein Wild erlegen“, kontert Andrea Müller.
Heute steht der Waidmann vor einer anderen Aufgabe: er soll ergründen, ob an dem Gerücht, wonach Schießbudengewehre nie geradeaus schießen, was dran ist. „Das kann man ganz einfach herausfinden“, meint Bartels. Seine Lösung ist so einfach wie auch praktikabel. „Ich würde immer bei den Pappscheiben anfangen“, erklärt der Jäger seine Strategie. „Da weiß ich, wo ich hingezielt habe und sehe, wo das Loch ist.“ Die Keramikstöpsel, in dem die Textilrosen stecken, oder die flachen weißen Sternen, die beim Einschuss zerspringen, seien dagegen ein denkbar schlechter Indikator: „Da kann man nicht sehen, ob man rechts, links, oben oder unten getroffen hat.“ Nach einem weiteren Schuss auf das Herz ist klar: ganz geradeaus schießt diese Waffe nicht. „Die ist einen halben Zentimeter rechts und einen halben Zentimeter tief“, stellt Bartels fest. Für den Fachmann kein Problem: „Dann geht man eben etwas nach oben links.“
In Ruhe einschießen
Während der minimale Ausriss auf die kurze Distanz von Tresen zu Schießscheibe keinen Unterschied macht, würde der 52-Jährige in der Wildbahn damit keinen Bock treffen: „Das muss man potenzieren. Auf 30 Meter würde ich einen halben Meter daneben liegen, auf 100 Meter bin ich anderthalb Meter daneben.“
Jetzt, wo er weiß, wie die Waffe tickt und er sich eingeschossen hat, möchte Bartels sie am liebsten zu den anderen Stationen mitnehmen. „Jetzt kann man weiter und sich einen Teddybären schießen.“ Aber wir sind ja hier, um die Gewehre zu testen. Also geht es mit einer anderen Flinte weiter. Bartels zielt, der Schuss landet genau in der schwarzen Mitte einer weißen Schießscheibe. „Eine angerissene Zwölf, das ist eigentlich alles, was man erreichen kann“, bewundert Andrea Müller die Treffsicherheit des Fachmanns. Diesmal war kein Probieren nötig, das Gewehr schießt tadellos. Danach geht es weiter in die Mitte: Peng, peng, peng knallt Bartels die Schüsse auf eine Fläche, die nicht größer ist als ein Daumennagel. „Jetzt kann man auch die Sterne locker wegschießen oder die Metalltiere auf dem Band.“
Neben Bartels ballert ein junger Mann mit einem automatischen Luftgewehr – keine gute Idee, um viele Treffer zu landen, meint der Fachmann. „Die schießen, schießen, schießen und sehen gar nicht mehr hin. Da schießt man automatisch vorbei.“ Nach jedem Schuss nachzuladen, erhöhe Konzentration und Trefferquote.
Kurz darauf versucht sich eine junge Dame an der Schießkunst. Unsicher wippt sie vor und zurück, rangiert den Kopf nach unten, um dem Schaft etwas näherzukommen – grundfalsch. Breitbeinig und leicht nach vorne gebeugt müsste sie stehen, erklärt Bartels. „Das Gewehr ist viel zu tief. Die Flinte muss zum Kopf, nicht der Kopf zur Flinte. Der Schaft muss an die Wange, damit sie vernünftig zielen kann.“ Dem Mann im graugrünen Janker mit Hornknöpfen und allerlei Abzeichen schenkt sie keine Beachtung. Die hellblau lackierten Fingernägel am Abzug, ein silbernes Täschchen über die Schulter geschlungen, schießt sie unbeirrt ein ums andere Mal daneben.
„Wir fragen immer: Können Sie schießen?“, erzählt Andrea Müller. Gut gemeinte Ratschläge, wie ein Auge zuzukneifen, um das räumliche Sehen auszuschalten und Kimme und Korn auf eine Linie zu bekommen, ignorierten viele. „Wir sagen das den Leuten, aber das glauben die nicht.“ Das Ergebnis: ein Schütze mit offenen Augen, dessen Schüsse alle ins Leere gehen.
Bartels hat nun inzwischen das dritte Gewehr in der Hand – und räumt ab. An den Waffen liegt es also nicht, dass so viele danebenschießen. Das Gerücht? „Das kommt meist von den Leuten, die nicht richtig schießen können“, meint Andrea Müller. „Wenn man nicht schwimmen kann, liegt‘s auch an der Badehose.“ Sie und ihr Mann, die die Schießbude betreiben, sowie andere ihres Metiers, legten größten Wert darauf, dass alle Gewehre in Ordnung seien. Sachverständige prüfen alle Geräte in regelmäßigen Abständen, einmal jährlich wird die Lizenz erneuert. „Wir wollen, dass die Leute treffen. Die sollen ja auch wiederkommen.“
Spaß hat es gemacht, meint der Jägermeister, als er seine Trophäen, einen kleinen Seehund und einen Plüschpapageien entgegennimmt. Ein bisschen nostalgisch war es auch: „Mit solchen Luftgewehren habe ich das Schießen gelernt, da war ich höchstens zehn Jahre alt.“ Ganz ähnlich wie auf dem Freimarkt sei es gewesen: „Jeder Schuss musste neu gespannt werden, dann ging es aus zehn Metern auf solche Scheiben.“ Auch an Besuche des Freimarkts und der Schießbuden mit seinem Vater, der auch Jäger war, hat Bartels gute Erinnerungen. „Das war für uns Sport und Wettkampf. Heute mache ich das mit meiner Tochter.“ Sie ist, wie sollte es anders sein, Jägerin.
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