Oberneuland/Altstadt. Lila Lavendelfelder, vereinzelt Pinien, vertrocknete Sümpfe, rosa Flamingos und weiße Wildpferde. Mittendrin eine geschändete Mädchenleiche. Weitere Leichen werden folgen. Größer könnte der Kontrast nicht sein, den Liliane Skalecki unter dem Pseudonym Fontaine in ihrem neuen Krimi „Die Richterin und die Tote vom Pont du Gard“ aufmacht. Ein „Südfrankreich-Krimi“, wie der Untertitel präzisiert, in der die Hauptfigur, die Untersuchungsrichterin Mathilde de Boncourt, weit abseits des Hauptstadttrubels ermittelt.
In der „einerseits spröden, andererseits so großartigen Landschaft“ der Camargue kommt sie einem grausigen Verbrechen auf die Spur, in das hochrangige Funktionäre der südfranzösischen Gesellschaft verwickelt sind. Sie gerät selbst unter Beschuss, arbeitet aber unermüdlich weiter bis zum bitteren Ende.
Dass es bitter enden, Mathilde aber weiterermitteln könnte, legt nicht nur die fiktive Tatsache nahe, dass oberste Kreise involviert sind – in solchen Fällen werden auch „Tatort“-Kommissare oft gebeten, das Ermitteln unverzüglich einzustellen, leisten aber erbitterten Widerstand –, sondern das reale Vorhaben der Autorin, die Südfrankreich-Krimireihe fortzusetzen. Der zweite Band, „Die Richterin und die tote Archäologin“, soll schon im Februar erscheinen.
Richterin unter Beschuss
In diesem ersten Band ermittelt die durch den wortwörtlichen Beschuss schwer verletzte Mathilde bald schon nicht mehr vom Palais de Justice in Nîmes aus, sondern vom hochherrschaftlichen Weingut ihres Großvaters, dem Château de Boncourt. Tatkräftig unterstützt wird sie dabei von Commandant Rachid Bouraada, der ihr die neuesten Fakten zu möglichen Tatorten und Tätern in regelmäßigen Abständen in einen Pavillon im parkähnlichen Garten bringt. Bei ihren Arbeitstreffen werden die beiden von Odile verköstigt. Die Haushälterin des Châteaus, die ein Faible für den attraktiven Commandant algerischer Abstammung hat, serviert französische Delikatessen im Überfluss, deren Beschreibung der Leserin das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.
Parallel zur Arbeit des Ermittlerduos spürt Martin Endress, ein deutscher Reiseschriftsteller, die letzten verbliebenen Geheimnisse und Perlen südfranzösischer Kultur und Lebensart auf. Finanziert von einem wohlhabenden Verleger mit einer „Leidenschaft für gute und schöne Bücher“, bereist er die Cevennen und das Languedoc mit der Aufgabe, dort verborgene Schätze für seine Leserschaft auszugraben.
Natürlich kreuzen sich die beiden sehr unterschiedlichen Ermittlungsarbeiten im Laufe der Geschichte. Doch es sind nicht nur aufgespürte Orte, seltsame Rituale und traditionelle Speisen, die die Hauptfiguren einander näherbringen. Mathildes Familie wird für Martin eine immer größere Rolle spielen – nicht zuletzt zur Klärung seiner eigenen Herkunft…
Skalecki, die ihren achten Krimi diesmal nicht nur in Frankreich spielen lässt, sondern auch unter ihrem Mädchennamen veröffentlicht, hat sich mit der Figur der Mathilde de Boncourt von der klassischen Kommissarfigur des Heiner Hölzle ihrer Bremen-Krimis verabschiedet. Ausgestattet mit weit mehr Kompetenzen treibt nun eine französische Untersuchungsrichterin die Fälle weisungsungebunden bis zu Verfahrensreife voran. Dabei sei Mathilde „ein Kind des Languedoc“, ihr sei es wichtig gewesen, die „Liebe zum Land zu transportieren“. Beim Lesen solle „Wärme im Kopf“ entstehen. Wobei die Kriminalgeschichte bei aller Liebe und Landschaftsbeschreibung „nicht hintenüber fallen“ dürfe. Das tut sie auch nicht. Im Gegenteil: Die immer enger gesponnenen Verwicklungsfäden der Geschichte werden nach und nach auf spannende Weise entwirrt, nur dass die Leserin eben nebenher erfährt, dass eine „daube gardien“ ein feiner „Schmortopf mit Rindfleisch, Weißwein, fettem Speck, Oliven und Tomaten“ ist.
Die Inspirationen für ihre Geschichten holt sich die Autorin in den heißen Sommermonaten in ihrem Haus in einem einsamen Dorf am Fuße der Cevennen. Dort speichere sie Eindrücke in einem „Gedankenkoffer“, den sie während der kalten Jahreszeit in Bremen entleert. Das ruhige, grüne Oberneuland sei ein wunderbarer Ort zum Schreiben, so die Schriftstellerin. Die kriminalistische Perspektive wiederum kenne Fontaine gut, da sie aus einer Familie von Polizisten und Gendarmen stamme.
Überdies liest die gebürtige Saarländerin Krimis seit sie "lesen kann“: Grangé, Minier, Simenon, Thilliez, Vargas – die Namen französischer Krimiautoren sprudeln aus ihr nur so heraus. Einflüsse etwa aus Jean-Christophe Grangés „Die purpurnen Flüsse“ zeigen sich darin, dass die neue Geschichte außerhalb von Paris in der Provinz angesiedelt ist und unkonventionelle Kommissare darin agieren. Bei Skalecki sind sie weiblich und algerischer Abstammung und zudem mit Lastern ausgestattet – Mathilde ist Kettenraucherin.
Liliane Skaleckis größte Leidenschaft aber sind Pferde. Daher verwundert es nicht, dass die anmutigen Tiere immer wieder in ihren Krimis auftauchen. In „Die Richterin und die Tote vom Pont du Gard“ allerdings nehmen neben den weißen Wildpferden schwarze Stiere, die „Könige der Camargue“, eine weitaus größere Rolle ein. Für gewöhnlich verhelfen sie ihren Züchtern, den „menades“, in unblutigen Kämpfen zu Ruhm und Ehre. Dass es manchmal anders zugehen kann, müssen Mathilde und Martin zu ihrem Leidwesen hautnah erfahren. Dem Reiseschriftsteller verhelfen viele der ungewöhnlichen Erlebnisse allerdings zu einem Reiseführer „abseits der normalen Touristenpfade“. Dabei bleibt noch viel zu entdecken – was etwa eine „abrivado-bandido“ ist wird die Leserin gemeinsam mit ihm in diesem Band herausfinden.
Und auch im zweiten Band wird der Reiseschriftsteller nicht nur seine eigenen Ermittlungsarbeiten, sondern auch die Mathildes vorantreiben. Ob und wie er im dritten Band zur Klärung der Kriminalfälle beitragen wird? Nan darf darauf gespannt sein.