Der Blick bleibt an der weißen Beethoven-Büste hängen, die im Fenster der „Casa della musica“ an der Hamburger Straße steht. Ein Haus voller Musik – diesen Jugendtraum erfüllte sich Bettina Pilster 1999, als sich die Dirigentin und Stimmtrainerin mit ihrer Musikschule selbstständig machte.
„Casa della musica“, der Name ist Programm. Wie sehr in dem Haus, das sie von ihren Eltern übernommen hat, die Musik gelebt wird, zeigt ein Blick auf die vielfältigen Instrumente, mit denen die 30 Casa-Pädagogen an Bremer Schulen gehen. Dort helfen sie den Kindern mit einer Art Musikinstrumenten-Karussell, ihr Lieblingsinstrument zu finden.
Eine Offerte, die ebenso wie andere für das jeweilige Schulprofil maßgeschneiderte Angebote sehr gut angenommen werde, sagt Bettina Pilster. Die Auswahl ist groß: Da stehen etwa Blasinstrumente neben afrikanischen Trommeln und knallroten Keyboards zum Umhängen, so wie sie die Pop-Sängerin Nena in den 80er-Jahren benutzte.
Musik in allen Facetten
An den Wänden hängen gerahmte Kunstpostkarten, auf denen Komponistenporträts zu sehen sind – von Bach, Mozart und Strauss, von Bizet und Offenbach. In der „Casa della musica“ lässt sich Musik in allen Facetten erleben.
Und das Singen ist eine davon. Bettina Pilster wird mit drei Chören, die sie leitet, beim Liederfest „Bremen so frei“ am 1. Juni auf dem Marktplatz dabei sein: mit dem Jona-Chor, dem 1999 gegründeten Gospel-Chor am Bremer Dom und mit ihren hauseigenen Casa-Singers.
„Einige haben sich dafür extra Urlaub genommen“, erzählt Pilster. „Ich hatte das offene Singen, das ich einmal pro Monat anbiete, unter den Titel ‚Liebeslieder, auch zu Bremen‘ gestellt und alle Lieder zu ‚Bremen so frei‘ mit meinen Leuten durchgesungen.“
"Was'n echter Bremer is"
„In diesen Liedern drückt sich die Stimme des Volkes aus, in ihnen spiegelt sich, dass man sich hier in Bremen wohlfühlen kann“, sagt sie. Und das sei ein Grund, um fröhlich zu singen. „Die Lieder haben ja schon einen Ohrwurm-Charakter. Und viele waren ganz überrascht, was sie über Bremen alles noch nicht wussten.“
Einen absoluten Favoriten unter den Liedern hat sie natürlich auch: die von Imke Burma getextete Hymne auf die Hansestädter „Was‘n echten Bremer is“. Pilsters achtjährigem Sohn gefällt besonders die Zeile, die Burma dem peruanischen Torjäger des SV Werder gewidmet hat: „Ein Fuß wie Pizarro“.
Pilster, die an der Oldenburger Universität Musik für das Lehramt studierte, ist angenehm undogmatisch, wenn es um die unkomplizierte Vermittlung von Gesang geht. Im Vordergrund stehen Spaß und Freude. Notenkenntnisse und Vorsingen sind nicht zwingend erforderlich.
Ihr Credo: Jeder kann singen
Damit holt sie auch diejenigen ab, die einst durch strengen Musikunterricht an den Schulen vergrault worden waren. „Denn Kritik an der Stimme bedeutet ja automatisch immer auch Kritik an der Persönlichkeit“, weiß sie. „Ich singe vor, und unsere Chormitglieder stimmen einfach mit ein“, erläutert sie ihre lockere Herangehensweise.
Denn: „Jeder kann singen“, davon ist sie fest überzeugt. „Die Stimme ist unser persönlichstes Instrument, das viel über den Zustand der Seele verrät.“ Bettina Pilster ist nicht nur Dirigentin, Gesangslehrerin und Stimmbildnerin aus Leidenschaft, sie gibt als Stimmtrainerin auch allen, die professionell mit Sprache umgehen, Coachings, beispielsweise Moderatoren und Schauspielern, aber auch Lehrkräften am Landesinstitut für Schule.
An der Hochschule Bremen ist sie darüber hinaus in den Studienfächern Soziale Arbeit und angewandte Freizeitwissenschaften Dozentin für Musikdidaktik. „Singen ist die Königsdisziplin“, sagt sie. Solange sie denken kann, habe sie gesungen, ganz so, wie es in dem Abba-Song „Thank you for the music“, beschrieben ist.
Singen ist Lebensfreude
Beginnend im Kinderchor des Doms, später bei Wolfgang Helbich, zuerst im Novizen-Chor, dann im Alsfelder Vokalensemble und mit großer Begeisterung auch in den Extra-Chören der Theater in Bremen und Oldenburg. Am Theater der Residenzstadt leitete sie auch den Kinderchor.
„Singen ist eben Lebensfreude“, diese Devise teilt sie mit den gesangsbegeisterten Schweden. Bettina Pilster hat ein Faible für das freundliche, musikaffine Völkchen und reist mit ihrer Familie oft in den hohen Norden. Ihre Erfahrung: Mit Musik, der Sprache, die alle Grenzen zu überwinden vermag, versteht man sich auf Anhieb.
„Wenn mehr gemeinsam gesungen würde, ginge es auf der Welt wesentlich friedlicher zu“, ist sie überzeugt. „Ich habe in einer schwedischen Kirche den Leiter eines Gospelchors angesprochen, ob wir mit unseren Casa-Singers nicht einmal etwas zusammen machen könnten“. Gesagt, getan. Es folgten Konzerte in der deutschen Kirche in Göteborg, in Lyse und in Lysekil.
Hell und klar wie ein Gebirgssee
„Wir sind unglaublich herzlich aufgenommen worden, es sind viele Freundschaften entstanden, und wir sind durch den Mittsommer getanzt, ein unvergessliches Erlebnis“, erzählt die Dirigentin und stimmt mit ihrer Sopranstimme, die so hell und klar wie ein Gebirgssee klingt, unvermittelt ein schwedisches Sommerlied an. 2018 will der schwedische Chor „Gospel oj joy“ nach Bremen kommen.
Seit einiger Zeit gibt es mit der „Cappella della Musica“ am Osterdeich sogar ein zweites Haus voller Instrumente, das Bettina Pilster der Musik gewidmet hat und das für die unterschiedlichsten Anlässe gemietet werden kann. Dort bringt sie ihre eigenen, kleinen Musiktheaterproduktionen heraus.
Ihren jüngsten Chor, die Casa-Kids, die schon so manchen Preis in Wettbewerben abgeräumt haben, hat sie indes schon mit ihrer Theaterleidenschaft angesteckt. Sie wirkten nicht nur bei Peter Maffays Musical „Tabaluga“ mit, sondern standen auch in Humperdincks „Hänsel und Gretel“ mit auf der Bühne des Theaters am Goetheplatz.
Eine ihrer jungen Chorsängerinnen singt bereits ein Solo in Berlioz‘ monumentaler Choroper „La damnation de Faust“. „Die Kinder müssen wenigstens einmal die Chance haben, mit der Oper in Kontakt zu kommen. Wie sollen sie diese Musik sonst für sich entdecken und lieben lernen?“, resümiert Bettina Pilster.