Täglich fahren 129.000 Menschen zur Arbeit nach Bremen. Und obwohl es Staus gibt, sind sie mit dem Auto am schnellsten. Der BUND Bremen und die Arbeitnehmerkammer haben das Phänomen untersucht.
Jeden Morgen um acht Uhr schwingt sich Fenja Teichert aufs Rad. Fünf Minuten dauert die Fahrt zum Bus, der sie von ihrem Wohnort Ganderkesee in Niedersachsen nach Delmenhorst bringt. Dort angekommen, steigt die 19-Jährige in den Zug Richtung Bremen. Für die letzte Etappe zu ihrem Arbeitsplatz vom Hauptbahnhof und der Haltestelle am Dobben nimmt sie die Straßenbahn. Drei Mal umsteigen, eine Stunde Anfahrt, jeden Morgen – das ist Alltag für die junge Frau, die beim Bremer BUND ihren Bundesfreiwilligendienst absolviert. Teichert ist eine von etwa 129.000 Menschen, die jeden Morgen nach Bremen pendeln – und es werden immer mehr.
Nicht nur die Zahl der Beschäftigten, die täglich aus dem Umland nach Bremen kommen, steigt. Es fahren auch immer mehr Bremer zur Arbeit ins Umland. Täglich sind es mehr als 40.000. Auf dem Arbeitsweg stehen sie im Stau, drängeln sich in Nahverkehrszügen oder sind bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad unterwegs.
Teicherts Weg zur Arbeit ist mit vielen Hürden verbunden: Mal kämpft die Bahn mit technischen Störungen, mal sorgen das Wetter oder Unfälle für Verspätungen. „Dann brauche ich schnell eine Stunde länger“, berichtet die junge Frau. Mit dem Öffentlichen Nahverkehr ist Teichert zwar alles in allem zufrieden, gerade bei der Taktung der Verbindungen sieht sie aber akuten Nachbesserungsbedarf.
Mit der Tagung „Stadt-Land-Verkehr“ hat der BUND Bremen in Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer am Mittwoch den Alltag der Pendler im kleinsten Bundesland beleuchtet. Die Arbeitnehmerkammer hat das Profil eines typischen Bremer Pendlers erstellt. Diesem Idealtyp entspricht Fenja Teichert so gar nicht: Nur 18 Prozent fahren wie sie mit Bus und Bahn oder dem Fahrrad. Die meisten Wege werden noch immer mit dem Auto zurückgelegt: 82 Prozent der Pendler nutzen den eigenen Wagen.
Autopendler trotz Staus schneller
Nicht nur bei der Wahl der Verkehrsmittel fällt Fenja Teichert aus der Reihe. In den meisten Fällen ist es keine junge Frau, sondern ein Vollzeit arbeitender Familienvater mittleren Alters, der täglich aus dem Umland in die Hansestadt fährt. Der typische Pendler ist in 92 Prozent aller Fälle gut qualifiziert und verdient durchschnittlich 380 Euro mehr als nicht pendelnde Bremer und Bremerhavener.
Die hohe Zahl der Auto-Pendler sorgt in der Stadt jeden Morgen aufs Neue für Staus: Die Hauptverkehrsstraßen wie etwa die B 75, der Osterdeich oder die Karl-Carstens-Brücke sind chronisch überlastet. Um diesen Zustand zu verbessern, komme es neben der Beseitigung von Engpässen auch auf die Förderung von Bus- und Bahnverbindungen an, sagt Wilhelm Hamburger, Referent beim Senator für Umwelt, Bau und Verkehr. „Durch die Nutzung dieser Alternativen steigen auch die Freiheitsgrade für die Autofahrer.“ Trotz täglicher Staus: Noch dauert eine Fahrt mit dem ÖPNV im Schnitt doppelt so lange wie mit dem Auto. Mit verbesserten Ampelschaltungen und dem Ausbau der Straßen will das Bauressort mittelfristig die Leistungsfähigkeit der Knotenpunkte steigern.
Durch die Pendler gehen Bremen jedes Jahr nicht nur etwa 200 Millionen Euro an Steuereinnahmen verloren, sondern es entstehen auch erhebliche verkehrsbedingte Umweltprobleme durch Abgase, Lärm und Staus. Bezahlbarer Wohnraum und Baugrund im Umland sind ein Grund für die Stadtflucht der Bremer. Die Nachfrage ist im kleinsten Bundesland deutlich höher als das Angebot. Aber auch das Jobangebot und die Zahl der Schulen und Kindertagesstätten in Bremen müssten in die Gleichung eingerechnet werden, betont Bremens Bausenator Joachim Lohse. Beim Thema Wohnraum bittet er um Geduld: 2500 Bauprojekte seien bereits genehmigt, aber noch nicht realisiert.
Elektrorad als Chance
Bau-Referent Hamburger sieht auch in Elektrofahrrädern eine Chance, um das Pendeln zu entzerren. Die E-Bikes könnten den Berufsverkehr entlasten und gleichzeitig die Umwelt schonen. Die Branche boomt, das Interesse steigt kontinuierlich: Allein 2016 wurden 605 000 Stück in Deutschland verkauft – 70 000 mehr als noch im Vorjahr. Sogenannte Pedelecs fahren auch bei Gegenwind rund 25 Kilometer in der Stunde und könnten gerade für Pendler aus den angrenzenden Gemeinden bei entsprechender Infrastruktur künftig eine echte Alternative zu Autos, Bus und Bahn darstellen.
Die Bremer Baubehörde hat dieses Potenzial längst erkannt. Konzepte für mehrere sogenannte Fahrradschnellwege sind in Arbeit. In den Niederlanden sind diese Fahrradautobahnen bereits Realität. Dort macht es etwa eine 15,8 Kilometer lange Schnellverbindung zwischen Arnheim und Nijmegen möglich, mit dem Rad in knapp 40 Minuten von Stadtzentrum zu Stadtzentrum zu kommen. „Diese Chancen haben wir auch in Bremen“, sagt Hamburger.
An Teicherts Arbeitsweg werden all diese Pläne so schnell nichts ändern. Ein eigenes Auto kann sie sich von ihrem Gehalt nicht leisten, auch ein Umzug nach Bremen ist erst einmal nicht drin. Für den Rest ihres Bundesfreiwilligendienstes beim BUND wird sie unter der Woche also weiterhin um acht Uhr aufstehen, radfahren – und bis Bremen drei Mal umsteigen.