Gartenstadt Vahr. Zwei Männer in weißen Anzügen untersuchen konzentriert einen dunkelbraunen Splitter. Ein weiterer Mann hat Schilder zur Spurendokumentation aufgebaut und fotografiert nun die Szenerie. Deutlich hebt sich ein Fingerabdruck zwischen den Schildern mit der Nummer 1 und der Nummer 2 vom Boden ab. Was auf den ersten Blick wie die Szenerie nach einem Verbrechen wirkt, ist auf den zweiten Blick Kunst. Die Männer sind Figuren, der braune Splitter ein Stück Schokolade. „Schokoladeneinsatzkommando“ lautet der Titel des Fotos mit den kleinen Männchen. „Miniverse“ ist der Name der Ausstellung, die die große Welt der kleinen Leute in Form von Fotografien präsentiert.
Die Idee zu den teils skurrilen, teils überraschenden Bildern stammt von Ulrich Graf-Nottrodt. Der Künstler aus dem Viertel ist eigentlich gelernter Schriftsetzer und arbeitet als Grafiker in der Werbebranche. 2013 suchte er nach einer neuen kreativen Herausforderung und entdeckte die Liebe zu den kleinen Männchen. So forderte sich der Viertelbewohner selbst heraus und beschloss, jeden Tag ein Bild mit den Figürchen zu schießen und sich so selbst zum Perspektivwechsel zu zwingen. „Ich wollte mich kreativ fordern und fördern. Hätte ich nur ein Bild pro Woche gemacht, wäre das eher so ein Rumgedaddel geworden“, begründet Ulrich Graf-Nottrodt seine Entscheidung.
Für die neuen Sichtweisen forderte der Künstler nicht nur seine Kreativität, sondern auch seine Beweglichkeit heraus. Viele Bilder seien knieend, robbend oder liegend entstanden. „Mit der Kamera musste ich ganz nah rangehen, vor allem bei Außenaufnahmen“, erklärt Ulrich Graf-Nottrodt, für den die Fotografie eher ein Hobby ist – ein Spielbein wie er sagt. Auch die Spontanität spielte für seine Arbeit eine große Rolle. „Nicht alle Motive habe ich vorher geplant. Vieles entstand auch spontan aus der Situation heraus“, beschreibt der Künstler seine Arbeit. Da kann es schon einmal vorkommen, dass die Farbe des Pfefferminzeises so gut zur Badehose der Figur passt, dass das Foto Vorrang vor dem Genuss hat. Gegessen wird erst, wenn der Moment per Kamera festgehalten wurde.
365 Bilder
Zum Glück hat sein Umfeld, allen voran die Ehefrau, die Arbeit des Künstlers gelassen hingenommen. „Für meine Frau war das weniger nervenaufreibend. Sie arbeitet selbst gerne kreativ und hat die ein oder andere Idee in das Projekt eingestreut“, erzählt Ulrich Graf-Nottrodt. Mittlerweile ist das Fotoprojekt mit 365 Bildern abgeschlossen. Die Ergebnisse können aber immer wieder in wechselnden Ausstellungen und thematischen Bildbänden bestaunt werden.
Ulrich Graf-Nottrodt will zum Perspektivwechsel anregen und den Besuchern zeigen, dass alltägliche Dinge aus einem anderen Blickwinkel eine ganz neue Bedeutung erhalten können. Deshalb spielen die sogenannten H0-Figuren mit einem Maßstab von 1:87 in seinen Werken die Hauptrolle. „H0-Figuren benutzen eigentlich Modellbauer, die ihre Eisenbahnlandschaften mit Passanten beleben wollen“, erklärt Graf-Nottrodt. „Früher gab es da mal eine Figur, die einen Koffer getragen hat oder winkte. Das war dann schon was ganz Exotisches“, ergänzt Manuela Brocksieper, Stadtteilnetzwerkerin für die Gartenstadt Vahr, die die Ausstellung im Epi-Cafè gemeinsam mit dem Künstler eröffnet.
Dass heute ganz andere Figuren produziert werden, zeigen die ausgestellten Bilder ebenfalls. Eine Frau mit heruntergelassener Hose sitzt auf einem Flaschenhals. Die Aufschrift Eau de Toilette erhält so eine ganz andere Bedeutung. Taucher beginnen mit ihrer Expedition in einen Schokokuss oder versinken malerisch in den roten Tiefen eines Erdbeertees. „Die Figuren kauft man in Kästchen zu einem Thema. Die pinkelnden Figuren waren zum Beispiel im Schrebergarten-Set dabei“, erklärt der Fotograf. Dabei gebe es kaum ein Thema, das nicht zu kaufen sei. Sogar eine Box mit dem Titel Sexy werde angeboten. Drin befänden sich leichte bis gar nicht bekleidete Figuren.
Auf den im Epi-Café ausgestellten Bildern sind aber alle Figuren bekleidet. Statt nackter Haut gibt es die ein oder andere romantische Szene. So trifft sich ein junges Liebespaar zwischen den ersten Erdbeeren der Saison. Das Foto ist eines der Lieblingsbilder von Ulrich Graf-Nottrodt in dieser Ausstellung. „Eigentlich mag ich die Bilder am liebsten, auf denen die Figuren etwas tun, wo Leben drin ist. Aber die Erdbeeren wirken sehr sommerlich und das passt gerade so gut. Genau genommen habe ich nicht das Lieblingsbild – es gibt einfach so viele tolle“, sagt er.
Ulrich Graf-Nottrodts Bilder begeistern. Die Besucher der Ausstellung bleiben schmunzelnd vor den Bildern stehen, hin und wieder ertönt sogar ein leises Lachen. „Es freut mich, wenn ich die Leute mit meiner Ausstellung begeistern kann. Ich möchte die Menschen zum Lachen bringen“, freut sich der Künstler. Und so gibt er seinem Publikum zum Ende der Vernissage noch eine ganz besondere Botschaft mit auf den Weg: „Wenn Sie meine Fotos betrachten, dann erhalten Sie heute von mir die Strahle-Garantie.“