Personalmangel in der Pflege Pflege unter Druck

Jahrelang gab es in Krankenhäusern mehr Pflegekräfte als Stellen. Doch nun ist das Personal knapp. Eine Bremer Krankenschwester erzählt, wie sich der Personalmangel in der täglichen Arbeit auswirkt.
02.08.2017, 21:50 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Pflege unter Druck
Von Sabine Doll

„Es tut mir leid, ich kann Sie nur ganz schnell waschen. Wir sind heute wieder unterbesetzt.“ Carina W. (Name von der Redaktion geändert) weiß nicht mehr, wie oft sie diesen Satz in den vergangenen Jahren zu Patienten sagen musste. „Auf jeden Fall oft, und jedes Mal schämt man sich dafür“, sagt sie.

Die Bremerin hat als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer Station für ältere Patienten in einem Bremer Krankenhaus gearbeitet. Davor, gleich nach ihrer Ausbildung, war sie Pflegekraft in der Chirurgie und auf einer Inneren Abteilung. Jetzt hat sie erst einmal genug vom Krankenhaus.

Inklusive ihrer Ausbildung hat Carina W. sechs Jahre auf unterschiedlichen Stationen gearbeitet. Sie wechselt zu einem ambulanten Pflegedienst, weil sie die ständige personelle Unterbesetzung, Druck und Stress und vor allem das schlechte Gewissen gegenüber den Patienten nicht mehr aushalten will, wie sie sagt.

Wie lange noch?

„Die Arbeit im Krankenhaus ist eigentlich mein Traumjob, das wollte ich immer machen. Menschen, die krank sind, darin unterstützen, dass es ihnen bald besser geht. Und sie begleiten, wenn keine medizinische Hilfe mehr möglich ist“, sagt die 24-Jährige. „Aber wenn nur noch Stress, wochenlange Dauerbelastung und das schlechte Gefühl gegenüber Patienten, Angehörigen und sich selbst da sind, fragt man sich irgendwann: Will ich das noch? Kann ich das noch? Und vor allem wie lange noch?“

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So wie ihr gehe es vielen Kolleginnen und Kollegen, sagt Carina W. „Jeder gibt trotz allem das Beste, soweit das eben möglich ist. Und das hat auf Dauer seinen Preis. Es gibt viele, die wegen des Drucks krank werden oder auch aufhören, den Job wechseln oder in Teilzeit gehen.“ Die Folge: Sehr gut eingespielte Teams fielen auseinander, dadurch gingen viel Wissen und Qualität verloren.

Die regelmäßige Unterbesetzung auf den Stationen führe unter anderem dazu, dass Auszubildende und selbst jene, die ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvierten, Arbeiten der Pflegekräfte übernehmen müssten. „Das sollte so nicht sein, gar nicht“, sagt die 24-Jährige. „Normalerweise werden FSJ-ler zum Beispiel für Hol- und Bringdienste eingeteilt, sie sollen Bestellungen auspacken, Patienten zu Untersuchungen begleiten, Essen verteilen, Botengänge erledigen, mit den Patienten. Das ist aber nicht die Realität. Wenn zu wenig Personal da ist, kommt es auch vor, dass sie Patienten waschen.“

Waschen ist nicht nur Hygiene

Das Waschen am Morgen sei viel mehr als notwendige und wichtige Körperhygiene, betont die 24-Jährige. Bei der sorgfältigen Körperpflege würden ausgebildete Pflegekräfte beispielsweise erkennen, ob es Druckstellen oder Wundgeschwüre durch das Liegen gebe und in welchem Allgemeinzustand sich der Patient befinde. „Ich kann sehen, ob die Schmerzmittel ausreichen, ich kann am Hautzustand erkennen, ob ein Patient Fieber hat. Und ich vermittele den Patienten Wohlbefinden, indem ich mich um sie kümmere.“

Wie wichtig das Waschen sei, werde in der Ausbildung vermittelt. Dafür bleibe aber im Stationsalltag immer weniger Zeit, kritisiert Carina W. Auszubildende in der Pflege anzuleiten, geschehe häufig im Schnelldurchgang. „Der Personalschlüssel ist auf vielen Stationen ohnehin zu knapp bemessen, und dann erst recht, wenn krankheitsbedingte Ausfälle da sind. Dann muss man Auszubildenden morgens auch schon mal die Waschschüssel in die Hand drücken und sie in die Zimmer schicken. Auch wenn sie das vorher noch nicht unter Anleitung getan haben.“

Es gebe zwar Springerpools, um Krankheitsausfälle zu kompensieren, aber die seien meist schon ausgeschöpft, weil sich die Situation auf allen Stationen ähnele. „Die Planbesetzung ist ein Witz“, sagt sie.

Nachtdienst belastet besonders

Als besonders belastend hat Carina W. die Nachtdienste empfunden. In der Chirurgie sei sie allein für über 30 Patienten zuständig gewesen. „Es kann auch sein, dass man für zwei Flure zuständig ist. Ist man auf einem Flur beschäftigt, dann hört man nicht, was auf dem anderen Flur eventuell passiert.“ Sie räumt ein, dass Arbeitsorganisation bei knapper Besetzung bedeute, dass Zeit gespart werden müsse: „Da überlegt man zum Beispiel, ob man einen Patienten aus dem Bett in einen Rollstuhl setzt, wenn dies ohnehin nur für zehn Minuten ist. Oder ob man einem Patienten Hosenträger anzieht, weil es Zeit kostet, wenn er zur Toilette begleitet wird und das alles wieder ausgezogen werden muss.“ Immer wieder würden Pflegeteams formal anzeigen, dass sie überlastet seien, berichtet die Bremerin. „Aber was bringt das, wenn doch keine neuen Pflegekräfte eingestellt werden und der Personalschlüssel so bleibt?“

Carina W. zählt ihre Arbeit in einer Schicht auf: Die Patienten werden am Morgen gewaschen, Vitalwerte wie Blutdruck gemessen, vor allem ältere Patienten, etwa mit Schluckstörungen, müssen beim Essen unterstützt werden. Die Anordnungen der Ärzte sind umzusetzen, Wundverbände zu wechseln, Zugänge zu entfernen und zu legen. Medikamente für jeden Patienten müssen gerichtet, mit Angehörigen gesprochen, Auszubildende angeleitet und jede Tätigkeit dokumentiert werden. „Wenn man sich nicht konzentriert oder immer wieder die ursprüngliche Arbeit unterbrechen muss, können Fehler passieren. Vor allem natürlich dann, wenn zu der ohnehin knappen Personaldecke noch Ausfälle kommen.“

Die Ausstattung des Personals entspreche aus ihrer Sicht nicht der Bettenbelegung: „Das klafft sehr weit auseinander. Jedes Zimmer muss belegt sein, weil ein Krankenhaus eben auch ein Unternehmen ist.“ In der Chirurgie habe sie erlebt, dass mehr Patienten aufgenommen worden seien, als es Plätze gab. „33 Betten waren vorgesehen, 40 Patienten wurden aufgenommen. Dann wurde ein Bett eben auch im Patientenbad geparkt oder auf dem Flur. Das Team der Pflegekräfte wurde nicht aufgestockt.“

„Der Beruf bleibt toll“

Carina W. will nach ihrer Pause irgendwann wieder ins Krankenhaus zurückkehren. „Vielleicht ändert sich ja doch etwas, ­vielleicht wird es besser. Der Beruf ist und bleibt einfach toll. Es ist zum Beispiel ein wahnsinnig schönes Erlebnis, wenn man ­dafür sorgen konnte, dass eine ältere ­demente Patientin ein Glas Wasser mehr trinkt. Oder wenn eine schlecht heilende Wunde durch die gute Versorgung nun doch heilt. Am liebsten würde ich sagen, so ­seltsam das auch klingen mag: Kommt alle in die Pflege.“

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