Der Himmel leuchtet strahlend blau, kaum ein Wölkchen ist an diesem eiskalten Montagmorgen zu sehen. Die Sonne hat freie Bahn, um die Platanen am Neustädter Weserdeich perfekt in Szene zu setzen. Ein echtes Postkarten-Motiv. Gunnar Christiansen und gut ein Dutzend Frauen und Männer, die sich am Montagmorgen kurz nach acht Uhr auf dem Deich an der Stephanibrücke getroffen haben, sind aber nicht wegen des perfekten Lichts an Ort und Stelle. Den Termin hat ihnen Bremens grüner Umweltsenator Joachim Lohse gewissermaßen in den Kalender geschrieben: In seinem Auftrag sollen in den kommenden vier Wochen die Kronen von 53 Platanen den Deich entlang bis zum Rotes-Kreuz-Krankenhaus zurückgeschnitten werden. Aus Protest gegen den Rückschnitt haben Christiansen und seine Mitstreiter von der Bürgerinitiative „Platanen am Deich“ an diesem Morgen mit Protestplakaten und einem kleineren Grüppchen als eigentlich vorgesehen Stellung bezogen. Sie befürchten, dass der Eingriff das Überleben der Bäume gefährdet.
„Die Umweltbehörde behauptet, mit dem Rückschnitt soll die Windlast aus den Kronen genommen und die Abbruch- und Umsturzgefahr der Bäume bei Sturm und damit verringert werden. Das ist bei den meisten Platanen aber absolut nicht erforderlich, sondern im Gegenteil sogar kontraproduktiv“, betont Christiansen. Er hält dagegen: Die Bebauung am Neustädter Deich würde die Bäume bei Wind aus südwestlicher Richtung abschirmen, damit hätten die Platanen sogar einen besonders geschützten Standort. Und komme der Wind aus einer anderen Richtung, würden sich die Bäume gegenseitig abschirmen.
Bürgerinitiative kritisiert: "Angebliche Pflegemaßnahme schadet den Bäumen"

Bald auch im Parlament? Mitglieder der Bürgerinitiative demonstrieren für den Erhalt der Platanen am Neustädter Deich.
„Die letzten beiden Stürme haben klar und deutlich gezeigt, wie stabil und sicher die Platanen selbst in belaubtem Zustand am Deich stehen“, zählt Christiansen die Argumente der Bürgerinitiative auf. Er wirft der Umweltbehörde des grünen Senators vor, keinen einzigen Versuch unternommen zu haben, um den Rückschnitt zu vermeiden. „Zum Beispiel durch sogenannte Zugversuche, um die Standsicherheit einzelner Platanen im Deich zu testen. Das ist ein absolut gängiges Verfahren“, betont Robert Stracke, der ebenfalls in der Bürgerinitiative gegen den Rückschnitt und für den Erhalt der Bäume am Neustädter Deich protestiert. „Diese angebliche Pflegemaßnahme schadet den Bäumen, für mich ist das die ideologische Vorbereitung auf die geplante Fällaktion“, ist Wolfgang Meyer überzeugt.
Der Wind weht ein wenig eisiger am Deich. Jede Minute soll der Umweltsenator ankommen. Die Mitarbeiter des Subunternehmens, das mit dem Kronenrückschnitt beauftragt ist, werfen die Motorsägen an. Nähern sich Fußgänger oder Radfahrer, lassen sie kurz die Arbeit ruhen, damit niemand von einem abgesägten Ast getroffen wird. Der Senator kommt nicht, eine Grippe hat ihn erwischt. Dafür parken Lohses Staatsrat Jens Deutschendorf und Behördensprecher Jens Tittmann ihre Fahrräder am Deich. Die Abordnung der Bürgerinitiative ist inzwischen auf sechs Mitstreiter geschrumpft. Gunnar Christiansen lässt Genesungsgrüße ausrichten und lädt den Senator, sobald er wieder fit ist, zu einem Runden Tisch „Platanen“ ein. Es soll um den Rückschnitt – vor allem aber um die Zukunft der Bäume gehen.
Staatsrat: "Bäume gehören nicht auf den Deich"

Gegen neun Uhr am Morgen wurden die ersten Motorsägen am Neustädter Deich angeworfen. Im Auftrag des Umweltbetriebs haben Mitarbeiter einer externen Firma mit dem Rückschnitt begonnen.
Seit mehr als einem Jahr sind die Platanen ein Politikum. Im Zuge des Hochwasserschutzes und der Neugestaltung des 1,8 Kilometer langen Abschnitts zwischen Rotes-Kreuz-Krankenhaus und Eisenbahnbrücke sollen sämtliche 136 Bäume gefällt werden. Dagegen protestiert die Bürgerinitiative. Mit einer Petition will sie die Baumreihe auf der gesamten Länge erhalten und damit die Pläne des Umweltsenators stoppen. Gutachten und Sachverständige hätten übereinstimmend festgestellt, dass für den künftigen Schutz der Neustadt vor Sturmfluten ein vollständiger Neubau der Deichanlage zwischen Piepe und Eisenbahnbrücke erforderlich sei, betont der Staatsrat. Der Erhalt der Bäume verringere die Hochwassersicherheit und komme schon deshalb nicht infrage.
„Bäume gehören nicht auf den Deich“, so Deutschendorf. Sie stellten ein erhebliches Gefahrenpotenzial für den Hochwasserschutz dar. Die Platanen könnten bei Sturm entwurzeln und ein Loch in die Deichanlage reißen. Ein weiterer Grund: Wegen der Deicherhöhung müsse aus Platzgründen eine Spundwand in den Boden getrieben werden, was die Baumwurzeln schädigen würde. „Es gab viele moderierte Gespräche und Foren, darüber hinaus einen Mehrheitsbeschluss des Beirats, der Deputation der Bürgerschaft und des Senats“, betont Lohse-Sprecher Tittmann.
Dass die Kronen zurückgeschnitten würden, sei ebenfalls eine Sicherheitsmaßnahme. Bei Sturm böten die Baumkronen eine Angriffsfläche wie ein Segel, was die Bäume im Deich lockern könne. Das hätte bei einer Sturmflut massive Folgen, der Deich würde keinen Schutz bieten.
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