Blumenthal. Ein handgeschriebener Zettel verdeckt das Programm, das für die nächsten Tage angekündigt war. „Der Rest ist Schweigen“, steht darauf. In der Station Neu-Blumenthal ist seit dem Wochenende vieles anders. Das zeigt auch die Kleidung von Mirko Borscht und Farhad Taghizadeh Toussi, die bis Sonnabend entsprechend ihren Rollen als Kolonialisten in langen, kuttenähnlichen Mänteln herumgelaufen waren. Jetzt tragen sie ihre Privatkleidung. Die vom Theater Bremen initiierte Langzeitperformance auf dem Blumenthaler Marktplatz geht etwas anders weiter als geplant.
Die erste anstrengende Woche ohne Privatsphäre hat bei den Künstlern ihren Tribut gefordert. Beide sind krank, stark erkältet. Darüber hinaus haben sie festgestellt, dass es ganz ohne Ruhephasen für sie selbst eben doch nicht geht. Bereits vor Beginn des Kulturprojekts, mit dem die Beteiligten vor allem „etwas Ideelles“ versuchen, hatte Regisseur Mirko Borscht gesagt: "Ich weiß nicht, ob es funktioniert. Und ich weiß nicht, ob wir das in der Form durchhalten.“ Jetzt steht fest: So wie es in der ersten Woche gelaufen ist, halten sie es nicht durch.
Der intensive Kontakt zu den Blumenthalern auf der einen Seite, die Kulturveranstaltungen auf der anderen – Borscht und Taghizadeh Toussi haben erkannt, dass beides nebeneinander nicht funktioniert. Auf jeden Fall nicht in dem Umfang wie bisher. "Wir haben hier zwei Parallelwelten aufgebaut." Sie merkten, dass sie keiner richtig gerecht werden konnten. Gespräche konnten nicht in Ruhe geführt, Veranstaltungen nicht ausreichend besprochen werden. "Die Situation führt dazu, dass wir uns nicht mehr seriös vorbereiten können. Zum Beispiel auf den Filmabend." Was beide frustrierte. Und zu dem Entschluss führte, es lieber zu lassen – statt beliebig zu werden.
"Am Wochenende haben wir festgestellt, dass wir kaum noch miteinander reden", erzählt Borscht. Das war ebenfalls eine Folge der Situation: Schon früh am Morgen kamen die ersten Besucher in das Holzgebäude auf dem Marktplatz, darunter viele Kinder, die Aufmerksamkeit forderten. Bis spät in die Nacht kümmerten sich die Künstler dann um die Organisation der geplanten Veranstaltungen, schrieben E-Mails, telefonierten. Borscht: "Wir haben kaum noch geschlafen. Das war kein guter Rausch mehr. Der Körper verlangt nach Stille."
Die Künstler reagierten und beschlossen in der Nacht, einen Tag lang einfach überhaupt nicht mehr zu sprechen. Selbst ihr Team wusste nichts von dem Entschluss und war erstaunt, als sich die beiden am Sonntag Zettel hin und her schoben, statt zu reden. "Außerdem haben wir entschieden, dass wir am Montag und am Dienstag erstmals gar nichts machen." Für die nächsten Tage und Wochen haben sie sich zudem vollständig vom Programm verabschiedet.
Was nicht bedeutet, dass in der Station Neu-Blumenthal nichts mehr passiert. "Aber wir legen die Termine jetzt nicht mehr langfristig im Voraus fest." Das habe in der ersten Woche auch verhindert, kurzfristig reagieren und spontan etwas machen zu können. Als festes Element wollen die Künstler auf jeden Fall das gemeinsame Essen am Sonntag mit Blumenthalern auf dem Marktplatz beibehalten. Am Pfingstsonntag gibt es dazu ab etwa 17 Uhr Musik von Varia Sjöström und Klaus Beyer. Weitere Termine werden auf der Internetseite des Theaters unter www.theaterbremen.de angekündigt.
Die bereits angelaufenen Projekte mit Kindern laufen ebenfalls weiter, allerdings in etwas veränderter Form und vor allem auf dem Marktplatz. Das Holzgebäude wird privater werden. Zwar können Besucher nach wie vor jederzeit über die Treppe auf der Rückseite auf die Galerie gelangen und einen Blick in die Station Neu-Blumenthal werfen. Die Türen bleiben indes geschlossen. "Wir müssen einfach aufpassen, dass wir einen Privatraum behalten", sagt Borscht.
Einige Blumenthaler unterstützen die Künstler und bieten in den nächsten Tagen Aktionen für Kinder, Kartoffeldruck und Malen, auf dem Marktplatz an. "Damit wollen wir die beiden auch ein Stück entlasten", sagt Michael Rodschies, der zu dem Kreis der Unterstützer gehört.