Jubel auf den Balkonen, es wurde geklatscht und gelobt. Zu Beginn der Corona-Pandemie sah es so aus, als würde der Staat sein eigenes Sozialwesen auf stärkere Füße stellen. Mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen, ein höheres Ansehen – die Aussicht war zu schön, um wahr zu sein. Und sie wurde längst von der Realität eingeholt. An den schwierigen Zuständen hat sich nichts Wesentliches geändert. Schlimmer noch: Fachkräfte kehren ihrem Job erschöpft den Rücken, hohe Krankenstände reißen immer größere Lücken in die Dienstpläne. Und natürlich leiden darunter auch die Menschen, die auf Begleitung und Unterstützung angewiesen sind.
Keine finanzielle Vorsorge
Dabei fordert der Gesetzgeber speziell in der Behindertenhilfe eine sogenannte „personenzentrierte Begleitung“. Heißt: Der zu unterstützende Mensch mit seinen Interessen soll stärker denn je im Vordergrund allen Handelns stehen. Ohne Frage ist dies der richtige Ansatz, den der Martinsclub ausdrücklich unterstützt. Allerdings müssen dafür entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Denn diese Maßgabe erfordert mehr Zeit, mehr Tatkraft und einen höheren Personaleinsatz – und das kostet Geld. Für das gestiegene Arbeitsaufkommen wurde allerdings keine finanzielle Vorsorge getroffen.
Das Geld, das die Leistungserbringer vom Staat bekommen, reicht hinten und vorne nicht. Es wird am realen Bedarf vorbeikalkuliert. Ein Beispiel: Fallen Mitarbeiter aus, zahlt der Staat eine Entschädigung, damit die Leistungserbringer extern Vertretungen einkaufen können, etwa bei Zeitarbeitsfirmen. Diese Zahlung ist jedoch bei einer Ausfallquote von sechs Prozent gedeckelt. Die tatsächliche Ausfallquote lag – speziell im Winter zur Erkältungszeit – bei bis zu 30 Prozent. Wollen die Träger ihre Leistungen aufrechterhalten, müssen sie das restliche Geld aus eigener Tasche zuschießen. Diese Berechnung ist völlig veraltet und gehört dringend angepasst.

Nico Oppel, Martinsclub
Der Fachkräftemangel und hohe Krankenstände führen dazu, dass die Arbeit auf viel zu wenigen Schultern verteilt wird. Hier droht konkret eine Überlastung der Beschäftigten. Sollten zu viele von ihnen dauerhaft ausfallen, könnte das gesamte System der Behindertenhilfe einstürzen. Wenn künftig mehr Fachkräfte eingestellt werden sollen – was unbedingt notwendig ist –, müssen ihnen bessere Arbeitsbedingungen geboten werden als aktuell.
Ausbildung und Quereinstieg sind die Schlüssel, um Fachkräfte zu gewinnen. Jedoch sollten Anreize geschaffen werden, um eine Beschäftigung im Sozialwesen attraktiv zu machen. Die Aussicht auf zahlreiche Überstunden, daraus resultierende Überlastung oder gar Burnout trägt sicherlich nicht zu einer Verbesserung der Lage bei. Es liegt am Staat, das System finanziell fit für die Zukunft zu machen.