Interview mit Professor Bernd Mühlbauer „Was im Moment zählt, ist die Zeit“

Ab Donnerstag darf die Bremer Pharmakologie mit Medikamenten gegen Covid-19 testen. Im Interview erzählt uns Bernd Mühlbauer, welche Medikamente eingesetzt werden und was die Tests bringen sollen
08.04.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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„Was im Moment zählt, ist die Zeit“
Von Sabine Doll

Herr Professor Mühlbauer, das Bremer Institut für Pharmakologie ist federführend für den deutschen Teil einer Studie, bei der Medikamente gegen Covid-19 getestet werden. Wann bekommen die ersten Patienten diese Medikamente?

Bernd Mühlbauer: Wir hoffen, dass wir spätestens an diesem Donnerstag die nötigen Genehmigungen erhalten. Dann können wir mit den ersten Patienten beginnen. Die Studie läuft nicht nur in Bremen. In Deutschland sind zunächst vier Kliniken beteiligt, sie soll aber auf mindestens 25 Kliniken erweitert werden. Weltweit sind zehn Länder an der Studie beteiligt, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO initiiert wurde.

Was passiert in der Studie konkret?

Überall auf der Welt werden bereits Patienten mit Medikamenten behandelt, die für andere Erkrankungen entwickelt wurden. Auch an deutschen Kliniken werden solche Medikamente bei Covid-19-Patienten eingesetzt. Derzeit werden mehrere Medikamente als Hoffnungsträger für die Behandlung von Covid-19 „gehypt“. Die große Befürchtung ist, dass sie weltweit ganz unsystematisch eingesetzt werden – ohne jegliche Dokumentation. Diese Medikamente verbindet, dass sie im Laborversuch gegen die Viren wirksam sind, das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie auch beim Menschen mit COVID-19 etwas Gutes bewirken.

Können Sie das an einem Beispiel festmachen?

Das Medikament Remdesivir etwa ist ursprünglich für die Behandlung von Ebola entwickelt worden. Im Laborversuch hat es eine hervorragende Wirksamkeit gegen Ebola-Viren, nicht aber im Menschen. Und: Jedes Medikament, das eine Wirkung hat, hat auch Nebenwirkungen. Deshalb ist ein solch unsystematischer Medikamenteneinsatz nicht nur fragwürdig, sondern sogar gefährlich. Die Studie soll aufräumen, ungeprüfte Medikamente ohne Dokumentation als therapeutischer Wildwuchs aufgrund irgendwelcher theoretischen Überlegungen einzusetzen.

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Welche Medikamente werden in der Studie getestet?

In der Studie treten vier Therapien an. Das erste Medikament ist das erwähnte Remdesivir, das bisher nirgends auf der Welt zugelassen ist und sich für die Behandlung von Ebola in den klinischen Studien als wirkungslos erwiesen hat. Im Laborversuch hat es aber auch eine Wirksamkeit gegen Viren der Coronagruppe gezeigt. Als zweites geht es um das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin, es ist auch für entzündliche Erkrankungen in Deutschland zugelassen. In China ist es sehr häufig bei Covid-19-Patienten eingesetzt worden, ohne dass belastbare Informationen dabei erhoben wurden. Das nächste ist eine HIV-Medikamenten-Kombination mit den Wirkstoffen Lopinavir und Ritonavir, im vierten Behandlungsarm wird dieses Präparat mit Interferon kombiniert.

Warum greift man auf bekannte Wirkstoffe zurück – und entwickelt nicht gleich ein neues und spezielles Covid-19-Medikament?

Der wichtigste Grund: Bei den am Menschen untersuchten oder sogar schon zugelassenen Medikamenten hat man zumindest eine Datenbasis für die Arzneimittelsicherheit. Bei dem Malaria-Medikament gibt es etwa eine jahrzehntelange Erfahrung, und man kennt die Nebenwirkungen sehr gut. Würde man eine ganz neue Substanz entwickeln, müsste zunächst die Verträglichkeit beim Menschen getestet werden. Dazu kommt: Für neue Substanzen müsste überhaupt erst einmal eine industrielle Produktion hochgefahren werden – die gibt es für die anderen Medikamente bereits. Was im Moment wirklich zählt, ist die Zeit.

Was sollen die Medikamente konkret bewirken?

Wir haben es mit einer potenziell tödlichen Erkrankung zu tun, deshalb ist der primäre Endpunkt der Studie das Überleben der Patienten. In zweiter Linie untersuchen wir, ob die Morbidität – die Krankheitsschwere – vermindert wurde. Die Fragen: Waren die Patienten kürzer auf der Intensivstation? Waren sie kürzer beatmet? Konnten sie früher aus dem Krankenhaus entlassen werden?

Wie viele Patienten werden in Bremen an der Studie teilnehmen?

Für Bremen kann man das konkret nicht sagen, weil es auch davon abhängt, wie viele stationär behandelte Patienten es gibt. Ich gehe davon aus, dass wir in den deutschen Zentren insgesamt etwa 800 Patienten in die Studie einschließen können. In Bremen nehmen die Häuser des Klinikverbunds Gesundheit Nord, zu dem das Institut für Pharmakologie gehört, teil. Weltweit soll die Studie 10.000 Patienten einschließen. Durch diese große Zahl kann man schnell Erkenntnisse sammeln. Und: Die Daten werden nicht wie bei einer typischen klinischen Studie erst dann bewertet, wenn die Studie beendet ist.

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Sondern?

Auf einem zentralen Server der WHO werden sämtliche Behandlungsbeobachtungen und Daten zusammengetragen. Das Online-Überwachungssystem durch Experten der WHO wird sicherstellen, dass man recht schnell die ersten Studienarme als bevorzugt betrachten oder auch schließen kann. Heißt konkret: Sieht man etwa bei den ersten 2000 Patienten überhaupt keine Verbesserung durch den Einsatz eines Medikaments, kann man den Studienarm schließen.

Das Ziel ist, innerhalb weniger Wochen bereits Erkenntnisse zu den Medikamenten zu gewinnen – normalerweise dauern klinische Studien Monate, wenn nicht Jahre. Dazu kommt die Genehmigung durch die Behörden und Ethikkommissionen, allein das dauert in der Regel mehrere Wochen.

Wenn wir an diesem Mittwoch oder Donnerstag die Genehmigung bekommen, wäre das wahrscheinlich die schnellste Studienzulassung aller Zeiten. Die Behörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sind sehr kooperativ und unterstützen uns enorm. Über jeden Schatten springen können sie natürlich nicht, was die Auflagen betrifft. Der Einsatz eines nicht zugelassenen Medikaments ohne Studiengenehmigung ist in Deutschland eine Straftat. Aber: Was wir hier im Institut für Pharmakologie quasi rund um die Uhr an Vorbereitung für die Genehmigung geleistet haben, dafür braucht man normalerweise etwa drei Monate.

Welche Covid-19-Patienten sind für die Studie geeignet?

Wir nehmen mittelschwer bis schwer erkrankte Patienten auf. Sie müssen so schwer erkrankt sein, dass sie eine stationäre Behandlung brauchen. Patienten, die sehr schwer erkrankt sind und beatmet werden müssen, nehmen wir allerdings nicht auf – weil man sie nicht aufklären kann, die Patienten müssen ihre Einwilligung in die Studienteilnahme geben.

Wie wird entschieden, welches der vier Medikamente ein Studien-Patient bekommt?

Das wird durch ein Zufallsverfahren entschieden. Die nötigen Angaben werden in die Maske eines WHO-Rechners, der in Genf steht, eingegeben. Dann erfolgt eine randomisierte – also eine zufällige – Zuordnung zu einem der insgesamt fünf Behandlungsarme. Bei dem fünften Arm handelt es sich um die Kontrollgruppe: Diese Patienten erhalten jegliche stationäre Versorgung, die sie brauchen, bekommen aber keines der vier antiviralen Medikamente. Das bedeutet keineswegs, dass man schlechter behandelt wird, denn es kann auch sein, dass die Medikamente nicht wie gewünscht wirken, aber unerwünschte Nebenwirkungen haben. Dann wird ganz normal stationär weiterbehandelt – und es gibt einen festen Zeitpunkt, zu dem die Daten des klinischen Behandlungsergebnisses eingegeben werden.

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Wann ist denn mit ersten Ergebnissen zu rechnen?

Ich erwarte, wenn die Studie richtig läuft und auch in Ländern mit großen Erkrankungswellen angekommen ist, dass wir innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen Ergebnisse haben. Und ich glaube, dass die Studie auch nicht viel länger als ein paar Monate laufen wird. Dann werden sich Medikamente herauskristallisiert haben als wirksam oder wirksamer als die anderen – oder eben nicht. Die Studie ist extrem pragmatisch angelegt, sie ist extrem einfach durchzuführen und wird extrem schnell Ergebnisse liefern.

Das Gespräch führte Sabine Doll.

Info

Zur Person

Bernd Mühlbauer (62)

leitet seit 2001 das Institut für Pharmakologie der Gesundheit Nord Bremen. Sein Schwerpunkt liegt in Klinischen Studien, die unabhängig von pharmazeutischen Herstellern durchgeführt werden.

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