Bremen. Der Rechnungshof provoziert mit seiner Arbeit gegensätzliche Gefühle: Attestiert er der Regierung eine schlampige Haushaltsführung, freut sich die Opposition. Der Exekutive hingegen wird die Kritik eher Unbehagen bereiten. Schließlich muss sie sich rechtfertigen. Jahresberichte der Bremer Rechnungsprüfer sind daher hochpolitische Wälzer. In diesem Jahr soll der Bericht erst nach der Bürgerschaftswahl erscheinen – sehr zum Ärger der Opposition. Dennoch sollte man den Rechnungshof nicht als politisches Kampfinstrument betrachten.
Zuallererst fühlen sich Rechnungsprüfer als kritische Instanz: „Unser Fokus liegt auf der Verwendung bremischer Gelder zum Wohle der Steuerzahler/-innen“, beteuert Bettina Sokol, Präsidentin des Bremer Rechnungshofes. „Wir fragen: Kann mit gleichem finanziellem Aufwand ein besseres Ergebnis erzielt werden?“, präzisiert Vize Detlef Meyer-Stender. Politik wolle der Rechnungshof nicht machen. Wobei ihm klar ist: „Nicht nur die Opposition, auch die Regierungsfraktionen sehen sich unsere Berichte durch und fragen, was ihre politischen Ziele befördern oder gefährden könnte.“
Apolitisch ist die Arbeit des Rechnungshofs also nicht. Sie wird auch von den Parteien im Rechnungsprüfungsausschuss der Bürgerschaft – hier wird die Kritik der Kontrolleure abgearbeitet – als Argument für ihre Positionen genutzt. Etwa in der Ausländerpolitik: In der vergangenen Sitzung des Ausschusses wurde das Stadtamt kritisiert; der CDU-Abgeordnete Wilhelm Hinners bezog sich auf den Rechnungshof, der zu hohe Duldungszahlen abgelehnter Asylbewerber kritisiere. Doch welche Zahl ist zu hoch, welche noch akzeptabel?
So stehen sich zwei Institutionen der Demokratie gegenüber, die gesteigerten Wert auf ihre Unabhängigkeit legen: „Der Senat kann auch gegen die Empfehlungen des Rechnungshofs handeln“, bemerkte trotzig der Vorsitzende des Rechnungsprüfungs-Ausschusses, Hermann Kuhn, als die Rechnungsprüfer am vergangenen Freitag die Vergabe von Bauaufträgen monierten. „Binden können den Senat nur Gesetze.“
Und Präsidentin Sokol pocht auf die richterliche Unabhängigkeit ihrer rund 40 Mitarbeiter und der Führungscrew, dem vierköpfigen Kollegium. Etwa wenn es um die Themen geht, die Rechnungsprüfer unter die Lupe nehmen oder, ganz aktuell, wenn es um die Veröffentlichung des Jahresberichts geht. Für ihren Job haben sie zwischen 3,5 und vier Millionen Euro zur Verfügung. „Wir setzen mit unserer Politik Maßstäbe, und der Rechnungshof überprüft, ob wir uns daran halten“, skizziert Kuhn die Aufgabenverteilung.
Dabei kann es schon mal knirschen im Gebälk der Demokratie, etwa wenn es um die Vergabe von Bauaufträgen geht – auch wenn die Atmosphäre im Ausschuss als freundlich beschrieben wird. Unter Punkt 70 der „Auflistung der abzuarbeitenden Aufträge aus den Sitzungen der Rechnungsprüfungsausschüsse (Land und Stadt) der 17. Legislaturperiode“ zeigt Präsidentin Sokol ihr „Erstaunen über die Vorlage des Bauressorts“, die ihre schon 2008 beanstandete Praxis der Auftragsvergabe nicht änderte. „Ich widerspreche der Vorlage“, gibt sie zu Protokoll. Bei Sanierungs-Aufträgen bis 5000 Euro greifen Rahmenverträge mit Baufirmen, der Rechnungshof aber fordert Ausschreibungen auch für niederschwellige Aufträge. Daher prüft das Bauressort nun, was billiger ist: Rahmenverträge oder Ausschreibung.
Wünsche an die Verwaltung
Das Copyright auf die „Auflistung der abzuarbeitenden Aufträge“, die sogenannte Ristantenliste, erhebt der Abgeordnete Kuhn. „Die Dinge würden weiter schludrig gehen, wenn es den Rechnungshof nicht gäbe“, lobt der Grüne die öffentlichen Prüfer. Diese schicken ihren Bericht der Bürgerschaft, der Rechnungsprüfungsausschuss wählt für jeden Bereich Abgeordnete, die Berichte erstellen. Der Ausschuss formuliert daraus Änderungswünsche an die Verwaltung. Diese Berichte gehen dann an den Souverän, die Bürgerschaft. In der letzten Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses am vergangenen Freitag wurde schließlich diskutiert, ob Abgeordnete und Rechnungsprüfer zufrieden sind, wie die Verwaltungen mit den Rechnungshof-Tadeln umgegangen sind.
Dabei, schätzt Rechnungshof-Vize Meyer-Stender, sei ihre Kritik nur die „Spitze des Eisbergs“, denn die Prüfer könnten nur in bestimmte Bereiche behördlichen Handelns hineinleuchten. Doch allein dieser kleine Ausschnitt staatlicher Verschwendung ist für die Opposition ein willkommener Ansatzpunkt für Kritik – und so bedauern CDU, FDP und Linke, dass der Jahresbericht 2011 wahrscheinlich erst nach der Mai-Wahl erscheint. CDU-Haushaltspolitiker Wolfgang Schrörs findet das „unerhört und nicht in Ordnung“. Es werde einen Kompromiss geben müssen, eventuell durch Veröffentlichung der Berichte, die schon fertig seien. Präsidentin Sokol blieb gestern bei ihrer Position: „Das Kollegium des Rechnungshofs entscheidet, wann der Jahresbericht veröffentlicht wird.“
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