Laut Bundessozialgericht (BSG) haben arbeitssuchende EU-Ausländer nach sechsmonatigem Aufenthalt Anspruch auf Sozialleistungen. Die Bremer Sozialbehörde hält sich zum Urteil noch bedeckt.
Noch fehlt die Urteilsbegründung, aber was das Bundessozialgericht (BSG) Anfang Dezember in Kassel entschieden hat, sorgt schon jetzt für Aufregung. Laut Gericht können arbeitsuchende EU-Ausländer in Deutschland zwar nicht Hartz IV, jedoch Sozialhilfe erhalten. Darauf hätten sie Anspruch nach sechsmonatigem Aufenthalt. Träger der Sozialhilfe sind Städte und Landkreise. Auf sie kämen Kosten in Millionenhöhe zu sowie mehr Zuwanderer aus Osteuropa, befürchtet der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Politiker sprechen bereits über eine Rechtsänderung auf Bundesebene
Die Bremer Sozialbehörde hat das „Thema im Blick“, will sich aber noch nicht zu möglichen Konsequenzen äußern. „Erst müssen wir die schriftlichen Urteilsgründe kennen und auswerten“, sagt Sprecher David Lukaßen. Das niedersächsische Sozialministerium verweist dagegen schon auf mögliche Gesetzesänderungen: Dies wäre eine vorübergehende Lösung, um mit dem sozialen Gefälle in der EU umgehen zu können und keine falschen Anreizsysteme zu setzen, heißt es auf Nachfrage.
Klar ist bislang, dass das Bundessozialgericht den Ausschluss von Hartz-IV-Leistungen für arbeitsuchende EU-Ausländer bestätigt hat. Diese Ausschlussklausel existiert seit mehreren Jahren im deutschen Recht, auch der Europäische Gerichtshof hält sie für vereinbar mit Europarecht. Laut BSG müssten die Unionsbürger aber Sozialhilfeleistungen nach Ermessen der Ämter bekommen. Und im Falle eines „verfestigten Aufenthalts“ – über sechs Monate – sei ihnen regelmäßig „zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe“ zu leisten. Dabei verwies das BSG auch auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts: Die Karlsruher Richter sehen ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“, das auch für Ausländer gilt.
Mehrausgaben von 800 Millionen Euro
Die Kasseler Entscheidung war gerade bekannt geworden, da schlugen die kommunalen Spitzenverbände schon Alarm: „Das Urteil des Bundessozialgerichts bedeutet, dass über 130.000 Personen bei uns auf einmal Anspruch auf Sozialhilfe bekommen“, erklärte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, der „Rheinischen Post“. Zugleich werde Deutschland durch dieses Urteil für Menschen in ärmeren EU-Ländern mit geringeren Sozialleistungen noch attraktiver. „Da kommt noch ein Faktor für uns oben drauf“, sagt auch ein Sprecher des niedersächsischen Städte-und Gemeindebundes auf Anfrage. „Es wird deutlich teurer.“ Der Deutsche Landkreistag hat bereits erste Berechnungen veröffentlicht: Für Kreise und Städte ergeben sich Mehrausgaben von 800 Millionen Euro, wenn die monatlichen Kosten für den Lebensunterhalt und die Kosten für Unterkunft und Heizung auf der Basis von angenommenen 130.000 Betroffenen auf das Jahr hochgerechnet würden. Auch CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt meldete sich zu Wort: „Das ist ein neues großes Einfallstor für Armutsmigration aus osteuropäischen Ländern“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
In der Stadt Bremen lebten 2014 fast 28.000 EU-Ausländer, darunter knapp 4000 Bulgaren. Wie viele von ihnen Anspruch auf Sozialhilfe haben werden, ist offen. Antragsteller müssten glaubhaft machen, dass sie Arbeit suchten, sagt Behördensprecher Lukaßen. Und auch nachweisen, dass sie länger als sechs Monate im Lande seien. Er befürchte keinen Ansturm von Osteuropäern infolge der Kasseler Entscheidung. Als Anfang 2014 der EU-Arbeitsmarkt für Rumänen und Bulgaren geöffnet wurde, sei der vorhergesagte Andrang auf den deutschen Arbeitsmarkt auch ausgeblieben.
Klarheit vom Gesetzgeber gefordert
Ungewöhnlich: Das Berliner Sozialgericht distanziert sich deutlich von den höchsten Sozialrichtern in Kassel. Nach Presseberichten hat das Berliner Gericht jüngst entschieden, dass EU-Bürgern, die zur Arbeitssuche eingereist sind, weder Hartz-IV-Leistungen noch Sozialhilfe zu gewähren seien. Die Begründung: Sozialhilfe erhalten in der Regel nicht erwerbsfähige Bürger, während EU-Ausländer doch Arbeit in Deutschland suchen, also erwerbsfähig sind und deshalb nicht unter das Sozialhilferecht fallen dürften. Wenn das BSG meine, sich über diesen gesetzgeberischen Willen hinwegsetzen zu können, so sei dies „verfassungsrechtlich nicht haltbar“, werden die Berliner Richter zitiert.
Nun fordern die Kommunalverbände Klarheit vom Gesetzgeber. Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) hat sich bereits geäußert. Per Gesetz solle der Sozialhilfeanspruch anderer EU-Bürger beschränkt werden, sagte sie der „Rheinischen Post“: „Wir müssen die Kommunen davor bewahren, unbegrenzt für mittellose EU-Ausländer sorgen zu müssen.“ Und SPD-Vize Olaf Scholz, Hamburgs Erster Bürgermeister, schlägt im „Spiegel“ vor, dass EU-Ausländer erst dann Sozialleistungen beantragen können, wenn sie ein Jahr lang in einem Land gelebt und gearbeitet haben.