Buntentor. Darf oder sollte zeitgenössische Musik politisch sein? Der junge, in München lebende Komponist Alexander F. Müller beantwortet das mit einem dezidierten „Ja!“. Er ist Teil des „Ensembles New Babylon“, das sich im November 2012 damals noch aus einem Kreis von Studierenden der Hochschule für Künste Bremen heraus gründete. Gemeinsam mit seinen befreundeten Komponisten-Kollegen Andreas Paparousos und Riccardo Castagnola bringt Müller beim Festival „Tanz Bremen“ mit dem „Ensemble New Babylon“ die Produktion „Resonanz-Körper“ heraus, die am Sonnabend, 18. März, in der Schwankhalle uraufgeführt wird.
Das Besondere daran: Jeder Komponist hat sein Werk mit einem oder einer Tänzerin des „Tanzkollektivs Bremen“ individuell erarbeitet. Kiri Haardt ist der „ResonanzKörper“ für Alexander F. Müller. Das Universaltalent hat während ihres Engagements am Theater Bremen schon in unterschiedlichen Sparten gearbeitet – als Tänzerin und Choreografin, aber auch als Performerin und Schauspielerin. Dementsprechend groß war ihr Interesse, mit Alexander F. Müller in die Richtung Performance und Schauspiel zu gehen. Schnell waren sie sich einig, dass es ein politisches Musiktheater-Stück werden sollte, in dem Kiri Haardt auch Texte sprechen wird. Der Titel ist Programm: „Longing for desaster“.
Gefährlicher Populismus
Das Thema ist brandaktuell: Das Phänomen des Populismus, das die Demokratie zu unterlaufen droht. Die Lust am Desaster scheint in Europa und in den USA allgegenwärtig zu sein: Populisten, die nichts anderes als Verkäufer nostalgischer Illusionen sind, stehen hoch im Kurs. „Die Menschen, die frustriert und überzeugt davon sind, dass sie nichts mehr zu verlieren haben, sind bereit, bis zum Äußersten zu gehen und wünschen sich den radikalen Umbruch“, hat der Komponist beobachtet.
Alexander F. Müller, der sein Aufbau-Master-Studium in Großbritannien kurz vor dem Brexit-Votum beendete, bekam diese Auswirkungen unmittelbar zu spüren. „Das hat mich schon sehr erschreckt und betroffen gemacht“, bilanziert er. Wie viele Briten das Brexit-Votum als Carte blanche der Regierung verstanden hätten, beispielsweise polnische Migranten zu mobben. „Ich habe mich intensiv mit diesen Radikalisierungstendenzen auseinandergesetzt und viel darüber gelesen“, sagt der Komponist. Einerseits könne man schon irgendwie verstehen, dass viele Menschen frustriert dadurch seien, dass im Kapitalismus die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderginge. Nicht nachvollziehbar sei dagegen, dass sie dann ihre schlimmsten Feinde wählen: „Es gibt einfach keine Geduld mehr, und der, der am lautesten brüllt, bekommt die Stimmen“. In „Longing for desaster“ bekommt das „Ensemble New Babylon“ viel zu tun: „Die Musik klingt schon sehr vulgär, es gibt Pop-Musik-Elemente und am Ende wird es ziemlich brutal“, beschreibt Müller seine Musik.
Wie bei Alexander F. Müller gibt es auch in Riccardo Castagnolas Musik elektronische Elemente. Jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: In „Antananklasis“, was auf Griechisch so viel bedeutet wie Spiegelungen - und zwar im Terzett. Tom Bünger tanzt, Lynda Cortis produziert auf ihrem Cello dazu die Schwingungen und Riccardo Castagnola seine elektronische Musik. Dabei hat jeder interaktive Part die gleiche Bedeutung. „Tom, der auch als Dozent in Bangladesh arbeitet, und ich hatten sofort einen Draht zueinander, da wir beide eine Liebe zur orientalischen Kultur und Spiritualität haben, die auch in meiner Musik aufscheint“, erzählt Castagnola. „Antananklasis“ ist zudem eine Hommage an Griechenland und seinen Kollegen Andreas Paparousos, der vor rund zwei Jahren den Impuls zur ersten Zusammenarbeit des „Ensemble New Babylon“ mit dem „Tanzkollektiv Bremen“ gab.
„Acht eins“ ist der Titel seiner Komposition. Andreas Paparousos kennt und schätzt die Tänzerin Magali Sander Fett seit Längerem. Die Tänzerin reagiert mit ihrem gesamten Körper auf die Musik, mal nimmt sie sich zur lauten, rhythmischen Musik zurück, um dann bei ruhigen Passagen förmlich zu explodieren. „Es geht um die innere Beziehung zwischen Tänzerin und Welt, um die Resonanz zwischen Musik und Tanz. Und um die Frage, wie viele der äußeren, zuweilen desaströsen Ereignisse, die die Musik repräsentiert, wir alle in unserem Leben an uns herankommen lassen“, erläutert der Komponist. Selbstverständlich komponiere er für eine Tänzerin anders, als wenn es sich um reine Instrumentalmusik handele. Er lasse ihr wesentlich mehr Freiraum, damit sie dazu tanzen könne. Trotz der Unterschiedlichkeit der kompositorischen Ansätze, durch den der Raum von jedem anderen interpretiert werde, ergebe sich ein organischer „Resonanz-Körper“-Abend, sind sich die drei Komponisten-Freunde sicher. Das „Ensemble New Babylon“ ist auf dem besten Weg, sich als Ensemble für zeitgenössische Musik zu etablieren.