Grohn. Wer die Stichworte „Literatur“ und
„Friseurbesuch“ zusammenbringt, der denkt gemeinhin an bunte Erzeugnisse der Klatschpresse, die das Warten auf den nächsten Haarschnitt versüßen sollen. Im Friseursalon von Britta Remitz in der Friedrich-Humbert-Straße kamen die Kunden jetzt stattdessen in den Genuss von Literatur. In der Reihe „Gastgeber Sprache“ lasen Christa Thiekötter und Cornelia Knösel ihre Prosa.
Unter Trockenhauben und umrahmt von Haarpflegeprodukten, Waschbecken und Spiegeln, lauschen die Zuhörer den Kurzgeschichten der Autorinnen. Britta Remitz selbst kann der Lesung nur kurze Zeit beiwohnen. Der unerwartete Sieg bei einem Golfturnier zwingt die Inhaberin des Salons, noch einmal den Golfplatz aufzusuchen.
„Ich fand die Idee interessant, hier eine Lesung zu veranstalten. Die Vorlesenden der Reihe kümmern sich immer selbst um den Veranstaltungsort“, berichtet Christa Thiekötter. Als langjährige Dozentin für Englisch und Französisch an der Volkshochschule hat Christa Thiekötter ein Gespür für Sprache.
Sie trägt die märchenhafte Erzählung „Freiheit auf blauem Flügel“ vor: Die Mutter der Protagonistin Elena ist das, was man modern eine Helikoptermama nennen würde. Vom Kontakt mit anderen Kindern abgeschirmt, wird Elena vor den entsetzten Augen der Eltern eines Tages von einem magischen Vogel mit „wie von blauem Lack überzogenen Schwingen“ entführt. „Ein Geräusch schlagender Flügel zerstört die Sommeridylle“, beschreibt Thiekötter das einschneidende Erlebnis poetisch.
Der Zaubervogel entpuppt sich schon bald als gütiger älterer Herr, der Elena aus dem goldenen Käfig befreit, ihr den Kontakt zu Gleichaltrigen und eine emotionale Reife ermöglicht. „Er fügt Worte wie schimmernde Mosaiksteine zu rührenden Geschichten zusammen, weiß Trost und Heilung“, beschreibt die Autorin das Wesen des Zaubervogels.
In „Wie dehnbar ist ein Bindestrich?“ geht es um zwei Schulfreundinnen, die sich nach 50 Jahren wiedertreffen. In der Nachkriegszeit hatten die beiden Backfische das Privileg, das Gymnasium zu besuchen und eine tiefe Freundschaft aufzubauen. „Sie überspringen die Distanz der Schulbänke, der Elternhäuser, des Alphabets, sie lieben und leiden, machen Luftsprünge, stolpern und fallen, aber nie tiefer als dieses Symbol der Gemeinsamkeit“, beschreibt Thiekötter die Verbundenheit der beiden.
Mit dem erfundenen Doppelnamen Marie-Luise nebst dem besagten Bindestrich krönen sie das Band ihrer Freundschaft. Als sich beide nach 50 Jahren wieder begegnen, sorgt die unterschiedlich Lebensläufe – finanzieller Ruin und körperliche Zusammenbrüche auf der einen und eine weitgehend solide Existenz auf der anderen Seite – zunächst für Sprachlosigkeit.
Mit unerwarteten Wendungen unterlaufen die Kurzgeschichten von Cornelia Knösel die Erwartungshaltung des Hörers. In „Die Liste“ macht sich eine ältere Dame mit viel Mühe auf zum Meeresstrand. Das vermeintliche Zwiegespräch mit ihrer Freundin Maggie entpuppt sich als nur im Geiste geführte Konversation. Am Ende wird klar, dass es vielmehr ein Foto der bereits verstorbenen Freundin ist, das sie dem Meer übergibt.
Cornelia Knösel aus Ritterhuder ist hauptberuflich Trainerin für betriebliche Gesundheitsförderung und schreibt seit 15 Jahren Kurzgeschichten. „Das gehört auch zur Stressreduzierung “, beteuert Knösel, die ihre Ideen zuweilen während der Autofahrt in einen Voice-Rekorder spricht.
Auf welch kuriose Einfälle sie dabei kommt, beweist ihre hintergründige Geschichte „Was für ein Tag“. Eine Frau berichtet darin ihrem lethargischen Ehemann von der Begegnung mit einem Einhorn. Als dieser die Psychiatrie benachrichtigt, dreht die vom fantasielosen Gatten gelangweilte Frau den Spieß kurzerhand um – und lässt ihren Mann einweisen. „Die hat ihn ja gut abgeschoben!“, kommentiert ein Zuhörer lächelnd den unerwarteten Ausgang der Geschichte.