Schüler fordern kleinere Klassen Bremer Schüler boykottieren Präsenzunterricht

Aus Protest gegen die Bildungsbehörde organisieren angehende Abiturienten an der Schule an der Kurt-Schumacher-Allee ihren Unterricht in Halbgruppen in Eigenregie. Die Aktion könnte sich ausweiten.
06.12.2020, 05:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Bremer Schüler boykottieren Präsenzunterricht
Von Timo Thalmann

Ohne Zustimmung der Bildungsbehörde hat die Oberstufe der Schule an der Kurt-Schumacher- Allee (KSA) den Unterricht seit gut einer Woche auf Halbgruppen umgestellt. Jeweils eine Hälfte der rund 240 Schülerinnen und Schüler arbeitet jetzt zu Hause an dem Schulstoff, während die andere Hälfte am Unterricht vor Ort teilnimmt. Alle zwei Tage wird gewechselt. Nach der Wiedereröffnung der Schulen im Frühjahr bis zu den Sommerferien war diese Art des Schulbetriebs flächendeckend der Standard. Mit Beginn des neuen Schuljahres kehrte man zu vollen Klassenstärken zurück.

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Das wollen die angehenden Abiturienten nun nicht mehr akzeptieren, denn die Schüler selbst haben die Halbgruppen organisiert und verstehen ihren „Präsenzstreik“ als Protest gegen die strikte Weigerung von Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD), diese Unterrichtsform wieder prinzipiell zu genehmigen. „Wir haben das Gefühl, die Schulen sollen um nahezu jeden Preis offen gehalten werden“, sagt Fabienne Pastoor, Schulsprecherin der KSA-Oberstufe. Doch nach der mehrheitlichen Ansicht der Schüler sei das nicht mehr zu verantworten. „Inzwischen sind die Infektionszahlen viel höher als im Frühjahr, und wir als ältere Schüler sind wie jeder andere betroffen.“ Die Schüler fürchten,neben der eigenen Infektion vor allem das Virus unbemerkt zu Eltern und Großeltern zu tragen.

Abstände nicht einzuhalten

„Es ist in unseren Klassenräumen einfach nicht möglich, die Abstände einzuhalten“, sagt Pastoor. Zum Beweis platzieren sich zwölf Schülerinnen und Schüler wie vorgeschrieben in einem der Räume. Für drei mehr wäre noch Platz, doch jede weitere Person darüber hinaus würde die übrigen zwingen, näher zusammen zu rücken. „Niemandem in der Verwaltung der Bildungsbehörde würde man diese Arbeitssituation aktuell über Stunden zumuten“, ist sich Lennard Doliwa sicher. Er ist Schülervertreter der 12. Klassen an der KSA.

Der Entscheidung der Schüler, die Halbgruppen aus Protest in Eigenregie zu organisieren, sind Gespräche mit der Schulleitung vorausgegangen. Doch die lehnte einen entsprechenden Antrag an die Bildungsbehörde ab. Denn mit amtlichen Segen sind Halbgruppen nur vorgesehen, wenn der Präsenzunterricht durch zahlreiche Corona- und Quarantänefälle ohnehin nur noch sehr eingeschränkt möglich ist oder das allgemeine Infektionsgeschehen zu einer Inzidenz von mehr als 200 Infektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen führt. „Es ist uns aber unverständlich, warum immer erst etwas passieren muss, anstatt jetzt vorbeugend zu handeln“, sagt Pastoor.

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Mit ihrem Präsenzstreik gehen die Schüler das Risiko ein, zahlreiche unentschuldigte Fehltage einzusammeln, wenn die offizielle Entschuldigung für die Teilnahme an den Halbgruppen nicht akzeptiert werden sollte. Um dem vorzubeugen, haben sie sich eine solidarische Selbstverpflichtung gegeben. Wer zu Hause bleibt, arbeitet den Stoff in dieser Zeit nach, wer zur Schule geht, schreibt detaillierte Protokolle des Präsenzunterrichts für die andere Gruppe, um den Unterricht nachvollziehen zu können. „Darüber hinaus gibt es ja die digitale Lernplattform its learning, und viele Lehrer sind nun mit iPads ausgestattet. Eigentlich sind die Rahmenbedingungen für Halbgruppen besser als vor den Sommerferien“, sagt Pastoor. Nach ihrer Darstellung sind auch zahlreiche Lehrer unzufrieden mit den vollen Klassen. Sie unterstützten den Protest der Schüler.

Womöglich könnte sich die Aktion auch auf weitere Schulen ausbreiten. Anfang der Woche hat die Gesamtschülervertretung (GSV) Bremens generellen Halbgruppen bei einem Treffen mit Bildungssenatorin Bogedan gefordert, allerdings ohne Erfolg. Daher gibt es dort inzwischen Ideen, die Konzepte der Schülervertretung der KSA als Blaupause für ähnliche Aktionen an anderen Bremer Oberstufen zu verwenden. Zuvor soll es ein weiteres Gespräch von Stadtschülerring und Gesamtschülervertretung geben.

Gespräch mit Senatorin

Das Gespräch mit den Schülern wurde von Bogedan als „wertschätzende, sachliche und konstruktive Auseinandersetzung“ bewertet. Man habe gemeinsam die Befürchtung, dass das Infektionsgeschehen nach Weihnachten wieder heftiger wird. „Ich habe unter anderem zugesagt, dass es ab einem Inzidenzwert von 200 neue Maßnahmen für die Schulen des Landes Bremen geben wird sowie möglichst einheitliche Kriterien für schulscharfe Maßnahmen in Bremen und Bremerhaven“, teilt die Senatorin auf Anfrage mit. Zu der Aktion der Schülervertretung an der KSA hat sich Bogedan nicht geäußert.

Info

Zur Sache

Proteste in Bremerhaven

Einen Distanzlerntag aus Protest gegen den Präsenzunterricht mit vollen Klassen gab es bereits Ende November am Bremerhavener Schulzentrum Carl von Ossietzky. In einem offenen Brief haben jetzt Stadtschüllerring, Zentralelternbeirat und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Bremerhaven die Forderung nach Halbgruppen aufgegriffen. „Überall verbietet man Massenveranstaltungen und trotzdem werden an Bremerhavener Schulen tagtäglich Massenveranstaltungen mit bis zu 200 Schülern und Schülerinnen abgehalten“, heißt es darin. Die Verschiebung des Inzidenz-Werts für Halbgruppenunterricht in den Schulen von 50 auf 200 Infektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen wird als unverantwortlich bezeichnet.

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