Deckel drauf, Schwamm drüber, alles erledigt – egal, wie man es ausdrückt: Nicht eine Sekunde hat der rot-grüne Senat damit gerechnet, dass ihm der Streit um die Bremer Galopprennbahn noch einmal Probleme bereiten könnte. Dem Rennsportverein wurde gekündigt und damit mal eben eine 155-jährige Tradition beerdigt. Den Golfern hat die Stadt ein paar Millionen Euro überwiesen, damit sie vorzeitig aus ihrem Pachtvertrag aussteigen. Das, dachte der Senat, reicht aus. Nun sollten die Bagger bald rollen können, damit auf dem Grün zwischen Hemelingen und der Vahr 1000 Wohnungen entstehen. Ein bisschen Bürgerbeteiligung noch, Workshops und Planungskonferenzen. Das Bekenntnis auch, ökologisch und kleinteilig zu bauen, politisch korrekt sozusagen. Dann aber endlich los, denn Wohnungen werden gebraucht in Bremen.
Pustekuchen! Mit dem ersten Erfolg der Bürgerinitiative gegen die Bebauung der Rennbahn, mit annähernd 30 000 Unterschriften, die für einen Volksentscheid gesammelt wurden – weit mehr als erforderlich wären – hat Rot-Grün plötzlich ein großes Problem, und zwar nicht nur wegen des Bauprojekts, das nun infrage steht. Nicht von ungefähr werfen sich CDU und FDP mit Macht auf das Thema, stellen sich hinter die Initiative und trommeln gegen den Senat. Die Vorlage ist so steil, dass die Opposition dumm wäre, sie nicht zu nutzen. Seht her, sagt sie, so ignorant und fern von den Bürgern ist die Regierung.
Dass am 26. Mai gewählt wird, in noch nicht einmal vier Monaten, macht die Vorlage noch steiler. Gut möglich, dass neben der Bremischen Bürgerschaft und dem Europaparlament auch über die Zukunft der Rennbahn abgestimmt wird. SPD und Grüne würden mit einer schweren Hypothek in die Wahl gehen. Die Rennbahn als Menetekel einer verfehlten Baupolitik des Senats, so kalkulieren ihre politischen Gegner. Sie könnten Profit daraus schlagen.
Zuzuschreiben hat sich Rot-Grün das ganz allein selbst. Der Galoppsport in Bremen war mit seinen Renntagen mitnichten eine Veranstaltung der Eliten, wie oft mindestens unterschwellig suggeriert wurde. Die Wettbewerbe an frischer Luft und in schönem Ambiente waren ein Fest vor allem für die Familien, die für ein paar Euro Eintritt ihren Spaß hatten und noch ein bisschen Geld obendrauf legten, um sich an den Wetten zu beteiligen. Nur so, aus Jux. Dieses Erlebnis für viele Tausend Menschen wurde vom Senat geradezu herabgewürdigt: „Wir können es uns nicht leisten, ein so großes Areal mitten in der Stadt weitgehend ungenutzt liegen zu lassen, nur damit dort ab und zu Pferdchen im Kreis herumlaufen“, sagte der grüne Bausenator Joachim Lohse damals zur Begründung seiner Pläne.
Chance, für die eigene Sache zu werben, wurde vertan
Das war so dumm und tatsächlich ignorant, wie es dumm und ignorant war, sich am letzten Renntag vor knapp einem Jahr nicht blicken zu lassen. Niemand da. Keine Vertreter der Regierung und übrigens auch keine der Opposition. Wohl aber 7500 Besucher, die mit großem Wehmut Abschied nahmen. Dem Bürgermeister zum Beispiel hätte es gut angestanden, auf die Anlage zu kommen und den Menschen zu erklären, warum er es vielleicht sehr schade, möglicherweise sogar tieftraurig findet, dass Schluss ist mit dem Galoppsport und Schluss mit dem Volksvergnügen, denn das war es. Carsten Sieling hätte im Anschluss die guten Gründe erläutern können, denn die gibt es, warum auf einer Fläche mitten in der Stadt wegen des Bedarfs an neuen und bezahlbaren Wohnungen die Prioritäten anders gesetzt werden müssen. Das hätte ihm keinen Jubel eingebracht, allemal aber Respekt.
Diese Chance, für die eigene Sache zu werben, wurde nicht nur an diesem einen Tag vertan, sondern auch in der Zeit davor und danach. Währenddessen konnte die Bürgerinitiative ihre Kampagne fahren, ohne großen Widerspruch zu ernten. Rot-Grün gab bei der Rennbahn die Deutungshoheit ab, ein schwerer politischer Fehler.
Die Grünen, selbst Verursacher, wollen diesen Fehler jetzt heilen. Sie schlagen vor, die Rennbahn nur noch zur Hälfte zu bebauen. Vielleicht ist das klug, weil das Schlamassel sonst nicht mehr beherrschbar wäre. Erbärmlich ist es aber auch. Die guten Gründe zu bauen bestehen ja weiterhin, auch in der ursprünglich geplanten Dichte. Es gibt ein gesamtstädtisches Interesse an dem Projekt. Nur rächt sich jetzt eben, dass von Rot-Grün nicht genügend Akzeptanz aufgebaut wurde. So steckt die Koalition in der Falle. Dampft sie ihre Wohnungsbaupläne ein, ist die Glaubwürdigkeit dahin. Tut sie es nicht, droht alles zu platzen.