Klaus Wedemeier: Nein, das bedauere ich sehr. Jetzt trifft es aber alle Länder und den Bund.
Sie haben als Präsident des Senats erlebt, wie Schulden den finanziellen Spielraum einschränken und welche Folgen das hat.Das stimmt. Wenn wir damals die Zinssätze von heute gehabt hätten, wäre es uns deutlich besser gegangen. Wir mussten bis zu sieben Prozent Zinsen zahlen. Von einer Umschuldung von zehn Milliarden Euro mit zur Hälfte einem Minuszinssatz, wie es der Finanzsenatorin Karoline Linnert vor vier Jahren gelungen ist, hätten wir nicht zu träumen gewagt.
Hätten Sie damals gedacht, nach dem Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht, dass Bremen noch 28 Jahre später mit seinen Schulden kämpfen wird?Der Senat ist davon ausgegangen, dass das Urteil von 1992 zu einer deutlichen Entlastung des bremischen Haushalts führen wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1992 den „Ersatz der normal üblichen Nettokreditaufnahme und die stufenweise Entschuldung“ als Aufgabe genannt. Das konnte ab 1995 nicht wie erwartet erreicht werden. Trotzdem hat dieses Urteil und haben die folgenden Verhandlungen im Kanzleramt im Frühjahr 1993 die Selbstständigkeit des Landes Bremen gesichert. Das Bundesverfassungsgericht hatte auch darauf hingewiesen, dass ein Blick auf die Länderneugliederung geworfen werden darf, wenn die Sanierung eines Landes nicht gelingt. Das gilt bis heute.
In diesem Zusammenhang wird die Arbeit der Großen Koalition heute im Rückblick eher negativ beurteilt, was sagen Sie dazu?Nach der Wahl 1995 habe ich mich für die Bildung einer Großen Koalition ausgesprochen, der SPD-Landesvorstand war aber strikt dagegen. Henning Scherf nannte meine Idee damals „das Resignationsmodell“, hat diese Koalition dann aber als Präsident des Senats für die SPD – auch bei den Wahlen – erfolgreich geführt und gestaltet. Die Große Koalition hat diverse wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen mit dem Ziel, das Steueraufkommen im Land Bremen zu steigern. Ansonsten gilt, dass es in der Bilanz jeder Koalition oder auch Alleinregierung Licht und Schatten gibt.
Es war die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen, die die Sozialdemokraten damals viele Stimmen und Sie letztlich das Amt gekostet haben. Ist das Regieren in einer Dreierkonstellationen nicht naturgemäß deutlich schwieriger als eine Regierung zu zweit?Das ist ganz sicher so. Die jetzige Koalition hatte von Beginn an bessere Voraussetzungen als die damalige Ampelkoalition. Es gibt leider eine neue Lage durch das Corona-Virus.
Inwiefern?Die Situation hat sich seit Bildung dieser Koalition dramatisch verändert. Der abgeschlossene Koalitionsvertrag wird nicht so umzusetzen sein wie geplant. Für neue und kostenintensive Ideen ist jetzt nicht die Zeit. Anerkennung wird dieses Bündnis vor allem finden, wenn es Bremen klug und gezielt durch die Corona-Krise manövriert. Grundlage muss sein: der Versuchung widerstehen! Keine zusätzlichen Ausgaben und keine Kreditaufnahmen, die nicht eindeutig durch die Pandemie und ihre Folgen begründet nachgewiesen werden können.
Man hört, dass Sozialdemokraten und Linke deutlich besser harmonieren als Grüne und SPD.Die zwölf gemeinsamen Jahre der Koalition von SPD und Grünen von 2007 bis 2019 haben zu Abnutzungserscheinungen geführt. Das halte ich für normal. Deshalb gab es bei den Grünen auch starke Kräfte, die mit der CDU koalieren wollten. Letztlich hat es nicht gereicht, vielleicht hat der Mut gefehlt. Gut für uns als SPD. Allerdings wäre es besser gewesen, wir hätten zunächst das Ergebnis der Sondierungsgespräche des Wahlsiegers, und das war eindeutig die CDU, zur Bildung einer Koalition abgewartet. Entgegen den eigenen Aussagen vor der Wahl parallel Sondierungsgespräche zu führen, hat unserem Ansehen zweifellos geschadet.
Wäre das für die bremische SPD nicht auch hilfreich gewesen, eine Auszeit zur Selbstreflexion und Erneuerung zu nehmen, in der Opposition?Da halte ich es mit Franz Müntefering: „Opposition ist Mist.“ Eine Partei, die so lange regiert, muss natürlich in der Lage sein, sich immer wieder selbstkritisch zu hinterfragen und neu zu öffnen . . .
Macht sie das?Nach der Wahlniederlage 1995 und den zwölf Jahren der Großen Koalition, in der die Partei praktisch nichts zu sagen hatte, ist ihr das bis heute aus meiner Beobachtung nicht zu jeder Zeit, aber überwiegend gelungen. Vor 1995 gab es in der Partei auch führende Kräfte, für die der Landesparteitag über der Verfassung stand. Das darf nicht sein.
Das gibt es nicht mehr? Wirklich nicht?Nach meiner Wahrnehmung hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan in Richtung: Erst kommt das Land, dann die Partei und dann die Person. Die jungen Kräfte wirken.
Carsten Sieling hat es vermutlich geschadet, dass er seine Person nicht mehr in den Vordergrund gerückt hat.So ist Carsten Sieling. Nicht seine Person, sondern harte Arbeit für das Land war für ihn als Bürgermeister selbstverständlich. Seine Leistungen, zum Beispiel die erfolgreichen Verhandlungen über die Sanierungshilfen des Bundes, haben nicht die Anerkennung gefunden, die sie verdient hätten. Das Wahlergebnis 2019 hatte er nicht allein zu verantworten.
Sie standen zehn Jahre lang an der Spitze des Senats. Wenn auf Bremens Bürgermeister zurückgeschaut wird, finden in der Regel vor allem Henning Scherf, Hans Koschnick und Wilhelm Kaisen Erwähnung. Schmerzt Sie das?Nein. Mir ist schon sehr früh klar gewesen, dass in der Politik Kritik und Anerkennung ungleich verteilt sind. An eine selektive Wahrnehmung gewöhnt man sich mit der Zeit. Die Beurteilung von Politik und Politikern ist nicht immer gerecht. Wer das als Politiker erwartet, hat sich die falsche Aufgabe ausgesucht.
Vieles davon wirkt bis heute: Sie haben die Kammerphilharmonie nach Bremen geholt, in Ihrer Amtszeit entstanden das Neue Museum Weserburg und das Musikfest. Die Uni wurde um naturwissenschaftliche Fächer ergänzt, das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation gegründet, der Luft- und Raumfahrtstandort ausgebaut, der staatliche Einfluss auf die Gewoba gesichert.Dem kann ich nicht widersprechen. Gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen meiner Senate kann ich stolz sein auf das, was wir während meiner Amtszeit für das Land und seine beiden Städte geleistet und erreicht haben.
Mit Andreas Bovenschulte möchte man momentan eher nicht tauschen, oder? Angesichts der Corona-Krise, deren Spätfolgen noch nicht absehbar sind . . .Das stimmt. Nach Wilhelm Kaisen – in dessen Amtszeit zumindest in den ersten Jahren unerträgliches Elend herrschte – gab es bislang keinen Bürgermeister, der ähnlich gefordert war wie derzeit Andreas Bovenschulte und mit ihm die jetzigen Mitglieder der Landesregierung. Ich betrachte mit großem Respekt, wie der bremische Senat seine Verantwortung wahrnimmt.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.Klaus Wedemeier
hat vor 25 Jahren, am 4. Juli 1995, die Amtsgeschäfte als Bürgermeister an Henning Scherf übergeben. Der Sozialdemokrat war – als Nachfolger von Hans Koschnick – zehn Jahre lang Präsident des Senats. Der Kaufmann war Vorsitzender der Jusos Bremen und Mitglied des Landesvorstands. Von 1971 bis 1985 und von 1995 bis 1999 war er Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft, von 1979 bis 1985 Fraktionschef.