Bernd Burchardt ist immer noch fassungslos, wenn er an das Heim „Haus O‘land“ an der Alfred-Faust-Straße denkt. „Meine 82-jährige, demenzkranke Mutter ist nach gut fünf Jahren dort ausgezogen, weil die Zustände nicht mehr tragbar waren.“ Die Pflegedienstleiterin des Hauses O‘land, das Teil der Unternehmensgruppe Convivo ist, spricht von Fachkräftemangel. Die Politik hat die Probleme aufgegriffen und will Druck machen.
„Meine Mutter ist sehr stark demenzkrank, sie kann nicht mehr sprechen, vergisst zu schlucken und zu laufen“, beschreibt Bernd Burchardt. Ein Jahr lang habe sie so im Haus O‘land im Bett gelegen. „Es hieß, wenn man sie mobilisiert, kollabiere sie.“ Seit die 82-Jährige in einem anderen Heim wohnt, werde sie jeden Tag aus dem Bett geholt und angezogen. „Und sie bricht dabei nicht zusammen“, sagt der 55-jährige Ingenieur.
Für Bernd Burchardt ist das einer von vielen Hinweisen darauf, dass die Pflege im Haus O‘land stark verbesserungswürdig ist. „Demenzkranke werden nicht motiviert, aufzustehen oder zu essen, um ihre Fähigkeiten länger zu erhalten.“ Dabei schreibe das Sozialgesetzbuch vor, dass Heimbewohner mit dem unterstützt werden müssten, was nötig sei. „Pflegekräfte sollten die Kontrolle darüber haben, was im Heim abläuft. Im O‘land kommt das zu kurz.“ Als Beispiele nennt er die Toilettengänge, die Körperhygiene und das Essen.
Mit schwerwiegenden Folgen: „Meine Mutter hatte Druckgeschwüre an Fersen und Zehen, wunde Stellen im Genitalbereich und ihre Zähne sind schwarz geworden“, sagt Burchardt. „Ihr Gewicht ist nicht kontrolliert worden“, sagt er, die Zähne seien nicht geputzt und die Vorlagen nicht oft genug gewechselt, Tabletten verwechselt worden. Mehr als zweimal habe er die Probleme bei der Heimleitung angesprochen. Ohne Erfolg.
Die Seniorin kann froh sein, dass ihr Sohn nach dem Rechten sieht: „Als die Pfleger bestimmte Tabletten nicht rechtzeitig beim Arzt nachgefordert hatten, habe ich selber ein Rezept besorgt“, sagt Burchardt. Problematisch sei auch die Sauberkeit im Haus. „Das Zimmer meiner Mutter wurde einmal in der Woche gewischt und wenn, dann nicht vollständig.“
Auf dem Fußboden hätten darum Essensreste und ausgespuckte Medikamente herum gelegen, die andere Bewohner aufgesammelt und gegessen hätten. Die Wäsche sei mehrmals über Wochen nicht gewaschen worden, sodass die Bewohner die Tage in ihren Schlafsachen oder nackt im Bett verbracht haben, so Burchardt.
Pflegepersonal ist überlastet
Dagmar Hartje* übt ebenfalls Kritik. Ihr Bruder lebt im Heim O‘land. Sie hat Angst, dass man ihn noch schlechter behandelt, wenn sie offen über die Mängel redet, und will deshalb ihren Namen nicht nennen. Dagmar Hartje berichtet, dass Kranke hinfallen und manchmal eine Stunde liegen, ehe ihnen vom Personal auf die Beine geholfen wird. „Die Pflegekräfte reichen das Essen und unterhalten sich über den Kopf der Bewohner hinweg in einer anderen Sprache.“ Das mache die an Demenz erkrankten Bewohner ungeduldig.
Außerdem wechselten die zuständigen Pflegekräfte häufig. „Dieser Wechsel bedeutet für meinen Bruder Dauerstress“, sagt Hartje. Eine Frau, die nicht einmal Pflegehilfskraft gewesen sei, habe ihrem Bruder das Essen gereicht. Will sie die Mängel ansprechen oder etwas erfragen, gebe es im Heim keinen geeigneten Ansprechpartner.
Reinhard Leopold von der unabhängigen Selbsthilfe-Initiative Heim-Mitwirkung in Bremen sagt: „Die Heimaufsicht hat zu kontrollieren, ob ein Heim ordnungsgemäß geführt wird. Wenn es Mängel gibt, dann erwarten Angehörige, dass sie ohne Verzögerung abgestellt werden.“ Seiner, Bernd Burchardts und Dagmar Hartjes Ansicht nach dauert das in Bremen zu lange. Leopold fordert: „Die Heimaufsicht sollte solche Einrichtungen nicht mehr kostenlos beraten, sondern Konsequenzen androhen und bei nicht ausreichendem Handeln sanktionieren.“
Burchardt schlägt vor: „Der Gesetzgeber sieht vor, wenn Leistungen nicht erbracht werden, dass die Pflegekassen ihre Zahlungen mindern können.“ Das, pflichtet Leopold bei, würde Druck auf die Anbieter ausüben. Außerdem fehle Personal, glaubt Burchardt. „Das Pflegepersonal muss deshalb teilweise Unmögliches leisten.“
Mit den Missständen im Pflegeheim O‘land beschäftigt sich dem Vernehmen nach auch die Politik. In nicht öffentlicher Sitzung habe sich die Sozialdeputation mit dem Thema befasst und Berichte angefordert, heißt es. Die Politiker wollen Druck machen. „Die Einrichtung ist motiviert, etwas zu unternehmen“, so eine gut informierte Quelle.
Der Sprecher der Sozialbehörde, Bernd Schneider, räumt indes ein: Das Haus O‘land habe bis vor sechs, sieben Wochen Probleme gehabt, ausreichend qualifiziertes Personal zu gewinnen. Weil es zu wenig Personal gab, habe die Heimaufsicht einen Belegungsstopp ausgesprochen. Das heißt: Frei gewordene Plätze seien bei gleicher Personalausstattung nicht wieder belegt worden. „Dem Träger tut das weh, weil er weniger Einnahmen hat. Da muss man nicht gleich die Einrichtung dicht machen“, so Schneider.
Eine solche Strafe führe möglicherweise dazu, dass Heimbetreiber Probleme vertuschen. Unterstütze die Wohn- und Betreuungsaufsicht (früher Heimaufsicht) die Betreiber aber mit Tipps, gebe es einen offeneren Umgang mit Problemen. „Die Heimaufsicht bekommt früh mit, dass etwas nicht stimmt.“ Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung habe im Haus O‘land Mängel festgestellt – aber auch viele Verbesserungen. Die Pflege dort entwickle sich zum Positiven.
Auch Pflegedienstleiterin Sabine Zinke sieht das Haus O‘land auf einem guten Weg. Zwei Monate lang habe die Pflegedienstleitung mit der Heimaufsicht kommuniziert, inzwischen beschäftige das Haus wieder genügend Fachkräfte. Der Belegungsstopp könne deshalb aufgehoben und statt 60 wieder alle 82 Betten belegt werden. Zinke: „Das verbessert die Arbeitsbedingungen und die Qualität der Pflege.“
Nach den Sommerferien wollen sich die Politiker der Sozialdeputation berichten lassen, was sich genau verbessert hat.
*Name von der Redaktion geändert