Nach Ansicht des Bremer Landesverbandes der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und des Landesschwimmverbandes drohen weitreichende Folgen durch die seit Monaten geschlossenen Schwimmbäder. „Wir befürchten, dass noch mehr Kinder und Jugendliche das Schwimmen nicht gelernt haben, aber trotzdem im Sommer zu den Badeseen fahren werden. Das wird zu noch mehr Badeunfällen führen“, erklärt Martin Reincke, Präsident der Bremer DLRG.
Weil seit fast einem Jahr durch geschlossene Hallenbäder und Teilnutzung von Freibädern im Sommer kein geregelter Schwimmunterricht mehr stattfindet, habe laut Reincke ein ganzer Jahrgang nicht schwimmen gelernt. „Das sind in Bremen zwischen 4500 und 5000 Kinder“, sagt Reincke. In Niedersachsen sind es etwa 75.000 Mädchen und Jungen. Mit den Konsequenzen müssten DLRG, Schwimmvereine und Schulen viele Jahre rechnen.
Früher gab es eine schlichte Regel: Wer zur Schule kommt, kann schwimmen. „Aber das ist lange vorbei“, so Reincke. Er glaubt, dass heute gerade mal 50 Prozent der Sechs- bis Neunjährigen schwimmen können. Im vergangenen Jahr habe es nicht mal eine Wassergewöhnung für kleine Kinder gegeben, um die erste Angst vor dem Schwimmen zu nehmen. „Ganz zu schweigen von der Wasserbewältigung, die als nächster Schritt kommen sollte.“
Auch Stephan Oldag, Präsident des Bremer Landesschwimmverbandes, glaubt, dass die Folgen der pandemiebedingten Bäderschließungen groß sein werden. „Wenn wir das alles aufholen wollen, was wir versäumt haben, ist das immens“, erklärt er. Es beunruhige ihn, dass Kinder und Jugendliche quasi seit einem Jahr kaum noch schwimmen üben konnten.
Eine zentrale Frage ist: Wie können die Schwimmkurse nachgeholt werden, wenn die ersten Bäder wieder öffnen dürfen? Reincke und Oldag stehen bereits mit Martina Baden in Verbindung, der Chefin der Bädergesellschaft. Es gehe darum, die Zeiten in den Bädern so zu verteilen, dass alle zu ihrem Recht kämen: Die Vereine, die Schulen und die Öffentlichkeit.
„Wir werden uns zunächst auf die größeren Bäder fokussieren“, sagt Martina Baden. Grundsätzlich gelte: „Wir brauchen möglichst viele Schwimmkurse. Kinder haben Vorfahrt.“ Denn wer 2020 einen Kurs für sein Kind gebucht und womöglich auch bezahlt habe, behalte sein Anrecht. Hinzu kämen die Neuanmeldungen für 2021. „Das wird logistisch ein großer Aufwand“, sagt Baden. Aber sie verspricht, dass „jedes Kind, das schwimmen lernen möchte, ein entsprechendes Angebot von uns bekommen wird“.
Kindergerechte Bäderzeiten
Reincke und Oldag glauben nicht, dass es zu Ärger bei der Verteilung der Schwimmzeiten kommen wird. „Aber wir werden um unsere Zeiten kämpfen“, sagt Reincke. Schwimm-Präsident Oldag meint, „dass es gut wäre, wenn die Bäder ab 16 oder 17 Uhr den Vereinen zur Verfügung stehen“. Weil Kinder keine große Lobby hätten, müssten Ältere eben verzichten. Sein Vorschlag: Die Schwimmbäder werden erst am späten Abend und an den Wochenenden für die Öffentlichkeit geöffnet. Das wäre auch für Reincke der richtige Weg. „Wir brauchen kindergerechte Bäderzeiten, da muss uns die Politik unterstützen.“
Weil immer weniger Kinder und Jugendliche schwimmen können, steht die DLRG mit ihren 200 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in Bremen unter wachsendem Druck. Im vergangenen Jahr gab es in Bremen zwei Badetote. Die DLRG überwacht insgesamt acht Badeseen in Bremen. Im Sommer 2020 habe es allein an einem Wochenende 220 Einsätze gegeben, sagte Reincke. Es habe sich zwar um Routineeinsätze gehandelt, zeige aber, dass die Herausforderungen für den Rettungsdienst an den Seen stiegen.
Hinzu komme, dass die DLRG seit einem Jahr ohne Präventivmaßnahmen auskommen muss. Besonders in Integrationsvereinen habe man das Thema Schwimmkurse zuvor immer wieder angesprochen. Reincke, der selbst Geflüchteten Schwimmunterricht erteilte, weiß aus eigener Erfahrung, dass sich viele Kinder und Jugendliche überschätzen.
„In anderen Kulturen gilt schon das Eintauchen ins Wasser als Beweis, dass jemand schwimmen kann. Das kann fatale Folgen haben.“ Durch die Abstandsregeln sei es im vergangenen Sommer auch nicht möglich gewesen, Betroffene an den Seen entsprechend aufzuklären. „Die Arbeit ist komplett weggebrochen“, erklärte Reincke.
Der Bremer DLRG-Präsident plädiert dafür, noch stärker an sport- und bildungsferne Familien heranzutreten und vor den Gefahren im Wasser zu warnen. „Viele Kinder aus Gröpelingen, Walle, Huchting oder Blumenthal gehen uns verloren. Wir müssen Ideen finden, wie wir an sie herankommen und motivieren, schwimmen zu lernen.“