Neustadt. Niemand hat eine richtige Gesangsausbildung und die wenigsten der mehr als 500 erschienen Gäste im Modernes singen normalerweise in der Öffentlichkeit – und doch tun es die Männer und Frauen fast aller Altersgruppen hier mit Inbrust und haben an diesem Abend eine Menge Spaß: Bei der 25. Auflage des von David Rauterberg aus Münster erfundenen Formats „Rudelsingen“ stimmen alle aus voller Kehle mit ein und bestätigen den ehemaligen Musiklehrer und heutigen Organisator Kurt Bröker (64) aus Schwachhausen in seiner Feststellung: „Mit dem Rudelsingen haben wir wirklich einen Nerv getroffen! Es macht die Menschen einfach glücklich, in der großen Gruppe zu singen und gemeinsam einen fröhlichen, unbeschwerten Abend zu verleben.“
Die Faszination des gemeinsamen Gesangserlebnisses liegt für den Leiter eines von mittlerweile 14 „Rudelsingen“-Teams im Bundesgebiet in einer ganz einfachen Tatsache begründet: „Hier geht es weniger um die Qualität des Gesanges“, so Bröker, „wir wollen ja schließlich keinen Gesangswettbewerb gewinnen.“ Vielmehr sei das gemeinsame Singen „ein echt geiles Erlebnis für die gesamte Gruppe“.
Die Hobbysängerinnen und -sänger erlebten großen Spaß in der Gemeinschaft, sagt Bröker, und eben diese Freude stehe im Vordergrund. „Viele trauen sich vielleicht nicht, alleine zu singen“, vermutet der „Rudelführer“, der gemeinsam mit dem 25-jährigen Sohn Simon von der Bühne aus für die musikalische Begleitung sorgt. In einem herkömmlichen Chor müssten die Menschen zunächst vorsingen. „Beim Rudelsingen dagegen kann jeder frei singen“, sagt Bröker, „hier wird niemand ausgelacht, und alle fühlen sich wohl.“
An diesem Abend ist das Publikum bunt gemischt, neben „alten Rudelsingen-Hasen“ sind auch Neulinge darunter. Johanna Oetting aus Osterholz und Birte Marwitz aus Lesum sind beim Jubiläum erstmals dabei. „Meine Mutter hat mir schon oft davon erzählt“, sagt Johanna Oetting, „also habe ich meine Freundin überredet, und jetzt sind wir hier.“ Angst, sich zu blamieren, hätten beide nicht, im Gegenteil: „Wir freuen uns darauf, unsere Lieblingslieder mitzusingen“, sagt Birte Marwitz, „und mit vielen anderen Menschen einfach nur Spaß zu haben.“
Stammgäste mit dabei
Annegreth Krasowka, ihr Ehemann Dieter und ihre Freunde Monika und Manfred Friedrich aus Schwanewede sind quasi Stammgäste und schon zum 18. Mal beim „Rudelsingen“ im Modernes dabei. „Wir haben bis nach Berlin Reklame für diese Veranstaltung gemacht“, sagt Annegreth Krasowka, „weil wir nach jedem Mal nicht nur mit vielen Ohrwürmern, sondern auch mit einem ganz tollen Gefühl wieder nach Hause gekommen sind.“ Ehemann Dieter sitzt dieses Mal in einiger Entfernung zu seiner Gattin – aus seiner Sicht auch aus gutem Grund: „Immer, wenn ich falsch singe, kriege ich einen Tritt ans Schienbein“, verrät er augenzwinkernd, während seine Frau gespielt empört reagiert: „Man kann dich doch in dieser großen Gruppe überhaupt gar nicht heraushören“, ruft sie noch, dann betreten Kurt und Simon Bröker auch schon die Bühne.
Zum ersten Mal beim Rudelsingen dabei sind Bernd Rösner aus Borgfeld und seine fünf Freunde. „Wir Jungs singen ja im Weserstadion auch immer aus Leibeskräften mit“, sagt Rösner, der seiner Ehefrau Jutta die Karten zum Geburtstag geschenkt hat. Gemeinsam mit Nora Altgilbers, Ulrike und Maik Macziak aus Borgfeld sowie Vincent Rösner sei er „sehr neugierig, weil ich bisher nur Gutes gehört habe und wir uns jetzt mal von dem Spaß hier überzeugen lassen wollen“. Besonders „die Jungs unter uns“ würden „immer sehr laut, dafür aber meistens auch sehr falsch“ singen, meint er mit Grinsen. „Aber heute wird das wohl niemanden stören“, hofft er.
Im Gepäck hat das „Team Bröker“, beide versierte Musiker, am Jubiläumsabend nicht nur 25 Lieder, die zum üblichen Stammrepertoire zählen, einen Videobeamer, mit dem die Songtexte auf eine große Leinwand geworfen werden, sowie zahlreiche Musikinstrumente, mit denen sie die einzelnen Lieder begleiten. Zum „Geburtstag“ haben sich die beiden Organisatoren etwas Besonderes einfallen lassen: Das 1. Bremer Ukulelenorchester aus Walle gestaltet den letzten der vier Sets an diesem Abend mit und begleitet die Brökers bei acht Musikstücken. „Genauso international wie die Geschichte der Ukulele ist auch das Repertoire unseres Orchesters“, erzählt Leiter Jean-Oliver Groddeck aus dem Steintor. Die 25 Mitglieder seien stolz, dabei sein zu dürfen, weil sie dem Jubiläum einen ungewöhnlichen Rahmen verleihen würden: „Zugegeben“, meint Groddeck schmunzelnd, „es sieht vielleicht etwas skurril aus, wenn sich 25, teilweise mit Hawaii-Hemden gekleidete Erwachsene auf die Bühne stürzen und in die vier Saiten hauen.“ Aber was dabei herauskomme, sei „ein ganz besonderer Sound, der einfach perfekt zur fröhlichen Stimmung in dieser tollen Location passt“.
Das sehen die jüngeren und älteren Geburtstagsgäste genauso: Jeder Song wird aus voller Kehle mitgesungen, ob Udo Jürgens, Abba, Nina Hagen oder Louis Armstrong – jedes Lied animiert zum kollektiven Chorgesang, die Stimmung ist ausgelassen. Und nach der Zugabe „Rockin‘ ll over the World“ von der britischen Band Status Quo gehen die Gäste ebenso zufrieden nach Hause wie die Brökers sind.