Jeder Mensch geht bekanntlich anders mit Nervosität um. Die drei diesjährigen Schaffer sind gut darin, ihre Aufregung zu verbergen, als sie die Gäste in der Oberen Rathaushalle begrüßen. Doch innerlich sieht es anders aus, verraten sie. In den Stunden vor dem Großereignis haben sich einige von ihnen versucht, mit einem Spaziergang an der frischen Luft abzulenken oder mit einem Familienfrühstück. Doch nun stehen Torsten Köhne (SWB-Vorstandsvorsitzender), Matthias Ditzen-Blanke (Verleger der Nordsee-Zeitung) und Malte Seekamp (Geschäftsführer von Seekamp Werbung) mitten drin im Trubel. Die 474. Schaffermahlzeit wird zu den größten Ereignissen ihres Lebens gehören – da sind sie sich sicher.
Einen ganzen Tag lang gehören die Räumlichkeiten des Rathauses praktisch ihnen. 100 Kapitäne, 100 Schaffer und 100 Gäste aus dem In- und Ausland haben sich dort am Freitag versammelt, um das älteste Brudermahl der Welt zu begehen. Wie in jedem Jahr am zweiten Freitag des Februars sammeln sie Spenden für den Fortbestand der Stiftung Haus Seefahrt, die sich um bedürftige Kapitäne, ihre Angehörigen und den Seefahrer-Nachwuchs kümmert. Unter den geladenen Gästen sind Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz (SPD) als Ehrengast sowie der Sänger Herbert Grönemeyer.
Lange vor den anderen Gästen sind die kaufmännischen und die Kapitänsschaffer mit ihren Frauen ins Rathaus gekommen, um sicherzugehen, dass alles nach Plan läuft. Angst, dass Olaf Scholz wegen der politischen Entwicklungen kurz vorher absagen könnte, haben die Schaffer nicht. „Wir haben diesen Fall schon durchgespielt, als wir ihn vor ein paar Wochen eingeladen haben und er hat versichert, dass er kommen wird“, sagt der 1. Schaffer Torsten Köhne.
Schmeckeprobe mit dem Küchenchef
Zu dem Warm-Up im Rathaus gehört auch die sogenannte Kücheninspektion, bei der Koch Thomas Pache schon einmal eine Kostprobe der fünf Gänge serviert. Das Fazit der Schaffer und ihrer Frauen: Der Braunkohl schmeckt! Wie im vergangenen Jahr hat sich auch dieses Mal ein Team von Grashoff um die Speisen gekümmert. Das Menü wurde über die vergangenen Jahrhunderte kaum verändert, verrät Pache. Es besteht aus einfacher bremischer Kost wie Suppe, Stockfisch, Braunkohl, Kalbsbraten und Rigaer Butt. Dazu wird Seefahrtsbier aus Silberhumpen getrunken.

Schaffer, v.l.: Matthias Ditzen-Blanke, Malte Seekamp und Torsten Köhne.
Fast zeitgleich findet traditionell für die Schaffer und ihre Gäste im Schütting ein Empfang statt, um sich auf den Nachmittag einzustimmen und sich kennenzulernen. Handelskammer-Präses Harald Emigholz nutzt dort die Gelegenheit, um erneut für seine „Perspektive 2030“ zu werben, ein Strategiepapier zur Entwicklung des Zwei-Städte-Staates. Für Bremen und Bremerhaven gehe es unter anderem darum, ein „weitgehend digital organisiertes Gemeinwesen mit effizienten und bürgerfreundlichen öffentlichen Dienstleistungen und einer prall gefüllten Kasse“ zu werden, um Zukunftsinvestitionen realisieren zu können, sagt Emigholz. Das kleinste Bundesland müsse sich den Ruf erarbeiten, „kreativen, jungen und leistungsbereiten Menschen ein deutschlandweit einzigartiges Großstadtumfeld zu bieten“. Im Anschluss an den Empfang im Schütting gibt es für die Gäste eine Begrüßung mit maritimen Liedern vom Capstan Shanty-Chor. Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und Olaf Scholz hören dort den Sängern auf dem Marktplatz eine Weile zu, bevor sich der Ehrengast in das goldene Buch der Stadt einträgt.
Es passiert nicht oft, dass im Bremer Rathaus echte Musikgrößen zu Gast sind. Dementsprechend groß ist der Andrang von Reportern, als Herbert Grönemeyer, standesgemäß auch im obligatorischen Frack, die Treppe zur Oberen Rathaushalle hoch schreitet. „Ich kenne Bremen von meinen Konzerten und weil ich Fußballfan bin“, sagt er. Der Musiker war schon im vergangenen Jahr zu dem Brudermahl eingeladen worden, musste damals aber absagen. Nun folgt er der Einladung von Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandschef von Eventim. Mit einem Ständchen des Sängers dürfen die Gäste allerdings nicht rechnen. „Ich singe sehr ungern, wenn ich eingeladen bin“, sagt er. Viel eher freue sich der Musiker auf die Geschichten und die Geselligkeit. Reden, Essen, Trinken, Singen, Rauchen – fürs Schaffermahl ist viel Stehvermögen nötig. „Das schaffe ich“, versichert Grönemeyer.
Die Zahl der weiblichen Gäste, die an der Festtafel Platz nehmen dürfen, hält sich auch in diesem Jahr in Grenzen. Insgesamt wurden drei Frauen eingeladen: Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, die der Aufforderung von Carsten Sieling gefolgt war, Hildegard Müller, Netz-Chefin des Energieversorgers Innogy sowie Bettina Volkens, Lufthansa-Personalvorstand. Die Ehefrauen der Schaffer verfolgen das Spektakel über einen Monitor im Kaminzimmer des Rathauses.
Pünktlich um 14.30 Uhr schließen sich die Türen – jetzt dürfen sich nur noch die geladenen Gäste in der Festhalle aufhalten. Die nächsten fünf Stunden des Nachmittags und Abends sind komplett durchgeplant: vom Servieren der fünf Gänge, über das Halten der insgesamt zwölf Reden bis hin zum Sammeln der Spenden ist alles minutengenau getaktet.