Einfach auf dem Brett stehen und machen, was man möchte. Keine Trainer, keine Regeln, keine Termine – das ist Skateboarding. Weniger ein Sport, als vielmehr ein Lebensgefühl. Eines, das im Jahr 2016 plötzlich olympisch geworden ist. Nun ist alles anders: Bundestrainer, Wettkampfpflicht, Dopingkontrollen. Was überwiegt? Die positiven Effekte, die Förderung durch den Deutschen Olympischen Sportbund, die Aufmerksamkeit? Oder die Schattenseiten, der Ausverkauf eines Freiheitsgefühls, das Leistungsdenken?
Draußen regnet es. In der Skatehalle P5 am Bremer Hauptbahnhof rollt Gino Körner durch den Parkour. Die Halle ist gefüllt mit jungen Männern in nassgeschwitzten T-Shirts auf bunten Skateboards. Ihre Schuhe sind entweder neu oder völlig zerschlissen vom Griptape, einer Art Schleifpapier, das die Reibung zwischen Brett und Schuhsohle erhöht. Die Bremer Skateboard-Szene ist klein, aber oho. Körner stand bis zum November 2018 im olympischen Skateboardteam, einer Vorauswahl der besten deutschen Fahrerinnen und Fahrer. Dann trat er aus. Auch der Lilienthaler Tom Tieste war Teil des Teams. Auch er verließ es freiwillig. Und Hyun Kummer, der mittlerweile in Berlin lebt, ist noch dabei.
Es heißt immer: „Der Traum von Olympia“ – entweder erfüllt er sich, oder er platzt. Aber was, wenn man diesen Traum nie geträumt hat? Was, wenn Olympia zwar Skateboarding möchte, aber Skateboarding für Olympia nur wenig bis nichts übrig hat? „Ich fahre nur, wenn ich Lust habe“, sagt Körner. Egal ob ein Wettkampf, ein sogenannter Contest, ansteht, oder das Treffen mit den Kumpels. Aber meist hat er Lust, eigentlich täglich. Zumindest, wenn er keinen Leistungsdruck verspürt. Und niemand ihm sagt, was er zu tun hat.
Ein Vergleich zur Leichtathletik oder zum Schwimmen? Nicht möglich. Skateboardfahren ist nicht das, was man unter professionalisiertem Sport versteht. Zumindest nicht bis vor drei Jahren, bis Skateboarden olympische Disziplin wurde. Jetzt gibt es ein Trainerteam, von dem auch die besten Fahrer nicht so richtig wissen, wofür man es braucht.
„Es ist vielleicht ganz gut, dass einer dabei ist und aufpasst“, sagt Körner. Aber Neues beibringen? Vielleicht den hinteren Fuß etwas mehr nach außen drehen? Ein bisschen kräftiger abspringen? Das kann man lernen. Aber kann man es auch lehren? Und wo bleibt dann das Freiheitsgefühl?
Der Spaß am Hobby drohte verloren zu gehen
„Für mich hat das Fahren im Olympia-Team nicht mehr viel mit Skateboarden zu tun“, sagt Körner. Die Verpflichtungen, feste Termine, Drogenkontrollen – irgendwann wurde das Körner zu viel. Nach elf Monaten verließ er das deutsche Team, weil es ihm den Spaß an seinem Hobby zu nehmen drohte. Er sagt Hobby, denn mehr ist es nicht für ihn, auch, wenn er damit sein Geld verdient. Wäre es mehr als das, „dann könnte ich es nicht“.
Aber warum gibt es dann überhaupt Skate-Contests? Unzählige Veranstaltungen in allen Ländern der Welt. Auch in Deutschland. Endless Grind, COS-Cup, Locals Only und so weiter. Vielleicht wegen der vielen Sponsoren, die sichtbar sein wollen, um das Lebensgefühl zu Geld zu machen. Für die Protagonisten ist es eher so etwas wie ein Familientreffen. „Man freut sich einfach, wenn man sich trifft“, erklärt Körner. „Es gibt keinen Wettkampfdruck, sondern jeder gönnt jedem alles.“ Ganz ohne Neid, zumindest bei den Allermeisten.
Neuerdings tauchen auf solchen Events auch die Dopingkontrolleure der NADA auf. Wo Fahrer des Olympia-Teams um Wettkampfpunkte kämpfen, wird kontrolliert. Und zwar potenziell das gesamte Teilnehmerfeld. Da kommt es vor, dass plötzlich auch ein Freizeitskater Blut- und Urinproben abgeben muss. Schwachsinnig, findet Körner, und spricht damit wohl für das Gros der Skater-Szene. Aber so sind die Regeln im Profisport. Und daran müssen sich nun alle halten, die bei den Familientreffen dabeisein wollen.
Doch auch ohne das Olympia-Team kommt Körner viel herum. Skater wie er fahren für Sponsorenteams. Die wiederum drehen mit ihren Fahrern Videos auf der ganzen Welt. In Barcelona oder Dubai, in Amerika und China. Und China war besonders. Vielleicht das, was für Fahrer wie Körner das wahre Skateboarding ausmacht. Männer und Frauen zu gleichen Teilen. Abends wird sich zum gemeinsamen Skaten in der Stadt getroffen. Zusammenhalt pur.
Es gibt haufenweise Skateboard-Videos im Internet, von Gino Körner, von Tom Tieste, Hyun Kummer und vielen mehr. Sie fliegen durch die Luft, rutschen über Geländer oder wirbeln ihre Skateboards durch die Luft. Manchmal braucht es Zeitlupen, um erfassen zu können, was gerade passiert ist, mit den Brettern, die für sie die Welt bedeuten. Wer zuschaut merkt: Der Sport ist längst bereit für die große Bühne. Doch er braucht sie nicht.
Auf dem Brett über Rampen, Treppen oder Geländer
80 Skaterinnen und Skater aus aller Welt werden in Tokio an den Start gehen. Je zur Hälfte Frauen und Männer. Gute Chancen dabeizusein hat Lilly Stoephasius aus Berlin. Die Zwölfjährige startet in der Kategorie „Park“. Gefahren wird dabei in einem Parkour aus Rampen und Pools – Betonschüsseln, die ihren Namen tragen, weil sie an leere Swimmingpools erinnern. Wichtig sind vor allem Sprünge und Grinds, also das Entlangrutschen auf den Kanten der Pools und Rampen. In dieser Disziplin ist auch Tyler Edtmayer aus Bayern unterwegs.
Er hat bei noch vier ausstehenden Qualifizierungswettkämpfen Chancen, in Tokio dabeizusein. In der zweiten Disziplin sind die sogenannten Streetskater vertreten. Sie versuchen ihre Tricks in einem vorwiegend flachen Parkour an Treppen, Bordsteinkanten, Schrägen und Geländerstangen zu präsentieren. Pro Durchlauf stehen den Athleten 45 Sekunden zur Verfügung. Gewertet werden der Schwierigkeitsgrad, ihre Anzahl, die Ausführung und der Gesamteindruck des Laufs. Am Ende eines Runs bewertet die fünfköpfige Jury den Durchlauf mit bis zu 100 Punkten, wobei die beste und die schlechteste Bewertung nicht gezählt werden.
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