Es gab viele große Spiele zwischen Deutschland und Holland: den deutschen WM-Sieg 1974, den holländischen Sieg im EM-Halbfinale 1988. 1990 waren dann die Deutschen bei der WM in Italien wieder an der Reihe. Die größten Spuren in der Gegenwart hat aber ein Testspiel hinterlassen, das im November 2011 in Hamburg stattfand. Deutschland siegte 3:0 und entzauberte Holland dabei.
Danzig. Diese Klarstellung war Oliver Bierhoff wichtig. Ja, die Mannschaft habe sich diverse Spielzüge zur Vorbereitung auf das zweite Gruppenspiel gegen Holland auf DVD angeschaut. Und ja, es sei auch eine Szene vom 3:0-Sieg über Holland vom November 2011 in dem Zusammenschnitt aufgetaucht. Und welche? "Das weiß ich nicht", sagte der Manager der Nationalmannschaft gestern am frühen Morgen kurz vor dem Abflug in die Ukraine nach Charkow. Dort spielt Deutschland heute gegen Holland (20.45 Uhr/ZDF live).
Das 3:0 von Hamburg verfolgt die deutsche Mannschaft seit dem Abpfiff damals. Nach allen Regeln der Fußballkunst hatte die DFB-Elf die Holländer zerlegt und drei wunderschön herausgespielte Tore erzielt. Bierhoff war gestern nun sichtlich bemüht, die Bedeutung jenes Spiels zu relativieren. Seitdem er und Joachim Löw die Nationalmannschaft übernommen haben, ist vieles anders geworden. Man arbeitet noch akribischer, noch individueller – und dazu gehören auch spezielle Motivationsstrategien. Überall im Mannschaftshotel hat Löw zum Beispiel Poster an die Wand pinnen lassen. "Momentum" ist die Bilderserie überschrieben. Sie zeigt Fotos der deutschen Spieler und jeweils ein Schlagwort dazu. "Siegeswille", "Einsatz", "Teamgeist".
Der Schluss, es würde nun schon reichen, sich ein paar nette Plakate anzuschauen und eine Best-of-DVD in den Rekorder einzulegen, und schon würde sich die Traumleistung von Hamburg wiederholen lassen, wäre aus Sicht der Sportlichen Leitung ein Trugschluss. "Jetzt ist es eine Turniersituation", sagte Bierhoff noch, bevor er zum Flieger eilte, "es wird sehr viel härter werden." Also kein Hamburg 2.0.
Es konnte nicht schaden, dies noch einmal zu betonen. Denn das 3:0 gegen Holland in Hamburg markiert den Punkt in der öffentlichen Wahrnehmung, an dem auch der Letzte in Europa bemerkt haben sollte, dass Löw die Deutschen verwandelt hat. Bert van Marwijk lieferte damals den entsprechenden Textbeitrag dazu: "Die Deutschen waren schon immer stark im Umschalten von Abwehr auf Angriff", sagte Hollands geschlagener Trainer, "jetzt können sie auch noch Fußball spielen."
Und wie: allein die Tore. Einen Diagonalpass von Toni Kroos legt Miroslav Klose quer auf Thomas Müller – 1:0. Müller angelt sich im Mittelfeld den Ball, passt auf Özil, und der flankt direkt auf den Kopf von Klose – 2:0. Und weil‘s so schön war: Müller setzt Özil in Szene, der lässt abtropfen zu Klose, der wieder quer passt zu Özil vor das nun leere Tor – 3:0. Jedes dieser Tore hätte seinen Platz auf der DVD mit den besten Spielzügen verdient gehabt.
Was kann die Mannschaft davon heute wiederholen? "Holland steht mit dem Rücken zur Wand. Sie müssen voll auf Sieg spielen", sagt Löw. Aber wie werden sie das tun? Mit viel Hurra? Dann ergäben sich tatsächlich viele schöne freie Räume zum Kombinieren. Portugal hat Deutschland diesen Gefallen nicht getan. Deutschland tat sich schwer. Es wäre keine Überraschung, wenn van Marwijk, der sowieso kein ausgesprochener Offensivgeist ist, nicht von Beginn an bedingungslos stürmen ließe. Das hieße für die DFB-Elf: Es wird mindestens so schwierig wie gegen Portugal – mit der erweiterten Aufgabenstellung, dass es diesmal nicht nur zwei Spieler (Ronaldo, Nani) besonders im Auge zu behalten gilt, sondern gleich ein halbes Dutzend: van Persie, Robben (die beide im November fehlten), Afellay und Sneijder, später vielleicht auch van der Vaart, Kuyt und Huntelaar.
Beim 3:0 in Hamburg spielte ein Spieler die Hauptrolle, dessen Mitwirken heute ungewiss ist: Miroslav Klose machte damals eines seiner besten Länderspiele überhaupt. Weil Klose ständig in Bewegung war, Lücken riss und als Doppelpasspartner zur Verfügung stand, konnten hinter ihm Müller und Özil nach Herzenslust aufziehen. Als der deutsche Mittelstürmer am Sonnabend Mario Gomez hieß, kamen Müller und Özil nicht in die Gänge. Ob es da einen Zusammenhang gibt? Löw muss das noch entscheiden. Deutschland dürfte vor einem Spiel gegen Holland schon größere Sorgen gehabt haben.