Karoline Müller ist als Geschäftsführerin des Bremer Landessportbundes (LSB) täglich mit den großen und kleinen Fragen des Sports beschäftigt. Sie sagt, sie habe sich dabei einen gewissen Pragmatismus angeeignet, der Sport an sich und die handelnden Personen im Speziellen folgen eben nicht immer einem bestimmten Muster. Doch auf diese Frage hat auch die LSB-Geschäftsführerin noch keine klare Antwort parat. Wie verhält sich eigentlich der Sport, wenn ab März 2020 wie geplant Kinder und Erwachsene in Bremen und Niedersachsen die Masern-Impfung nachweisen müssen? Eine gute Frage sei das, sagt Müller und gibt offen zu: „Eine endgültige Antwort können wir noch nicht geben. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass wir die Impfpässe kontrollieren.“
Wie berichtet, hatte das Bundeskabinett im Juli beschlossen, dass alle Kinder beim Eintritt in Kita und Schule nachweisen müssen, dass sie gegen Masern geimpft sind. Die Impfpflicht gilt auch für Lehrer, Erzieher, Tagesmütter, Beschäftigte in Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeheimen und Gemeinschaftseinrichtungen. Wie Sportvereine damit umzugehen haben, ist noch unklar. In Bremen wurde bereits eine Arbeitsgruppe zur Impfpflicht eingesetzt. Und das Bundesgesundheitsministerium teilt schon mal mit, dass nach Inkrafttreten des Gesetzes, also voraussichtlich März 2020, Kinder in einer Gemeinschaftsbetreuung sowie Beschäftigte nachweisen müssen, dass sie geimpft oder immun sind.
Doch wie Sportvereine mit Eltern umgehen sollen, die ihre nicht geimpften Kinder zum Kinderturnen oder Babyschwimmen bringen, wissen die Verantwortlichen noch nicht. Karoline Müller will es mit der „G-M-Methode“ versuchen, soll heißen: gesunder Menschenverstand. „Wir werden den Vereinen raten, auf Aufklärung zu setzen. Impfschutz ist wichtig, das muss die Botschaft sein.“ Aber sie glaube auch nicht, dass Vereine die rechtliche Handhabe hätten, sich im Zweifelsfall die Impfpässe der Kinder zeigen zu lassen. Müller: „Wir setzen auf den Dialog mit den betroffenen Eltern.“ Sie wisse, dass das gerade auch für Menschen gelte, die mit der hiesigen Gesundheitskultur noch nicht so vertraut seien. „In Sportvereinen sollen sich die Menschen wohlfühlen, das ist uns wichtig“, sagt Müller.
Nach Meinung des Bremer Rechtsanwalts Uwe Piehl haben die Vereine sehr wohl die Möglichkeit, Kinder ohne Masernimpfung von Vereinsaktivitäten auszuschließen. „Ein Verein kann eine Regelung treffen, wie eine Mitgliedschaft auszusehen hat. Und er kann durch Beschlüsse festlegen, ob beispielsweise Kinder ohne Impfung an Vereinsangeboten teilnehmen dürfen oder nicht.“ Piehl glaubt, dass es über kurz oder lang ohnehin zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen werde, wenn Eltern sich beschwerten, dass nicht geimpfte Kinder in Sportvereinen aktiv seien. „Dann muss das Gericht entscheiden, was höher zu bewerten ist: die Satzungsautonomie der Vereine oder das Freiheitsrecht.“
„Da kommt noch einiges auf uns zu“
Auch bei 1860 Bremen, einem der größten Sportvereine in Bremen, weiß man um die Wichtigkeit des Impf-Themas. „Da kommt noch einiges auf uns zu“, sagt 1860-Geschäftsführer Sebastian Stern, er werde das Thema in der kommenden Woche auf der Vorstandssitzung ansprechen. Bei 1860 sind mehr als 1500 Kinder aktiv, deshalb steht für Stern fest: „Wir wollen hier kein Infektionsherd werden.“ Der Sport müsse sich mit der Masern-Impfpflicht und den Folgen für die Sportvereine beschäftigen. Dazu gehöre auch, wie die Vereine mit der möglichen Erfassung von medizinischen Daten von Mitgliedern umgehen. „Das wäre nach der Datenschutz-Grundverordnung im vergangenen Jahr eine zweite große Hürde, die die Vereine nehmen müssten“, sagt Stern.
Auch bei der Deutschen Sportjugend, der Jugendorganisation des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat man sich noch nicht zu einer eindeutigen Haltung bekannt. „Wir warten die Entwicklung noch ab“, sagt Peter Lautenbach, Ressortleiter Jugendarbeit. „Im Sport spielt die Freiwilligkeit eine ganz große Rolle. Es wäre ein schwerwiegender Schritt, wenn wir durch Beschlüsse in unseren Satzungen Mitglieder aus Vereinen ausschließen würden.“ Aber da Vereine eben keine öffentlichen Einrichtungen darstellen, könne man auch bestimmte Regeln aufstellen. Die gibt es schon heute, in den meisten Satzungen der Sportvereine etwa steht, dass kein Platz ist für sexistische oder rassistische Äußerungen. Aber gilt das auch für eine Impfpflicht? „Das muss womöglich das Gericht entscheiden“, sagt Lautenbach. Er weiß: Das Thema Impfen ist auch ein ideologischer Grabenkampf. „Und der beinhaltet immer sehr viele Emotionen auf beiden Seiten.“
Ansteckende Infektionskrankheit
Masern gehören zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten. In Europa wurden im vergangenen Jahr 12 352 Masernfälle gemeldet, 2019 wurden in Deutschland bis Mitte Juni bereits 429 Fälle registriert. Masern bringen häufig Komplikationen und Folgeerkrankungen mit sich. Dazu gehört im schlimmsten Fall eine tödlich verlaufende Gehirnentzündung. Den besten Schutz vor Masern bieten Impfungen, sie sorgen für eine lebenslange Immunität. Ausgenommen von der Impfpflicht, die voraussichtlich ab März kommenden Jahres in Kraft tritt, sind Erwachsene, die vor 1970 geboren wurden. Diese Menschen haben Masern höchstwahrscheinlich durchgemacht und dürften dagegen immun sein. Auch Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen, sind davon befreit. Bis auf Zahnärzte dürfen künftig alle Ärzte impfen.
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