Obwohl es bald fünf Jahre her ist, seit in der Neustadt mehrere Bauarbeiter von einer etwa 30-köpfigen Gruppe junger Männer überfallen und verprügelt wurden, gibt es weiterhin keinen Termin für den Gerichtsprozess gegen die sechs mutmaßlichen Haupttäter. „Total misslich, natürlich ist dieser Prozess längst überfällig“, räumt Thorsten Prange, Pressesprecher des Landgerichts, ein. Aber nun gebe es in diesem Fall zumindest Bewegung. „Der Fall kommt tatsächlich als nächstes dran“, sagt Prange. Ziel sei es, noch im Sommer oder spätestens im Herbst zu verhandeln.
Am 8. August 2013 wollten vier junge Männer in der Hohentorsheerstraße eine Abkürzung über den abgesperrten Teil einer Baustelle gehen. Die Bauarbeiter forderten sie auf, dies zu lassen. Es kam zu einem Wortgefecht, an dessen Ende sich das Quartett fügte. Allerdings trommelten die jungen Männer dann innerhalb kürzester Zeit mehr als zwei Dutzend Freunde- und Familienmitglieder zusammen und überfielen die Bauarbeiter. Vier Arbeiter wurden dabei so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus mussten. Einer von ihnen hatte eine Schnittwunde am Rücken, die ihm einer der Angreifer mit einem Messer zugefügt hatte.
Aufgrund von Zeugenaussagen hatte die Polizei die mutmaßlichen Haupttäter schon wenige Tage später ermittelt, am 19. Dezember 2013 legte die Staatsanwaltschaft mit der Anklageschrift nach: Gemeinschaftliche schwere Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung lautete der Vorwurf gegen sechs der Verdächtigen.
Der Fall sorgte seinerzeit für viel Aussehen in Bremen, nicht zuletzt weil die mutmaßlichen Täter einer arabischen Großfamilie angehören. Es gab eine Mahnwache an der Baustelle, der Integrationsbeauftragte der Polizei wurde eingeschaltet, und schließlich gab es eine bis dato einzigartige Versöhnungsaktion: Die Oberhäupter mehrerer arabischer Familien besuchten die Bauarbeiter, um bei Kaffee und Gebäck ein Zeichen der Verständigung zu setzen. „Auch wir wollen nicht, dass unsere Kinder Verbrecher werden und im Gefängnis enden“, erklärte eines der Familienoberhäupter.
Zumindest auf diesen konkreten Fall bezogen war dies allerdings bis heute nicht zu befürchten. Denn einen Gerichtsprozess hierzu hat es bislang nicht gegeben. Da einer der Angeklagten zur Tatzeit 16 Jahre alt war und ein anderer 18, womit er als Heranwachsender galt, wird der Fall vor der Großen Jugendkammer des Landgerichts verhandelt. Doch der zuständige Richter hätte hierfür bislang schlicht keine Zeit gehabt, weil er durchgehend mit deutlich wichtigeren Sachen belegt gewesen sei, sagt Thorsten Prange.
Andere Verfahren haben Vorrang
Auch bei dem Überfall handele es sich natürlich um ein sehr ernstes Vergehen, betont der Pressesprecher. „Das war ganz sicher kein Kavaliersdelikt.“ Und auch das große Öffentliche Interesse an diesem Fall sei ohne Frage nachvollziehbar. Trotzdem sei die Schwere des Tatvorwurfs – gefährliche Körperverletzung – im Verhältnis zu den für ein Landgericht eigentlich üblichen Verfahren wie Mord, Totschlag, Raub oder Vergewaltigung deutlich niedriger einzustufen. Und so sei die Kammer des zuständigen Richters denn auch komplett mit vorrangig zu bearbeitenden Haftfällen oder auch Jugendschutzsachen, bei denen die Opfer Kinder sind, beschäftigt gewesen.
Dass der Fall überhaupt am Landgericht gelandet ist statt beim eigentlich für Vergehen dieser Art zuständigen Amtsgericht, ist laut Prange nicht dem Tatvorwurf oder den zu erwartenden Strafen, sondern allein dem Umfang des Verfahrens geschuldet. „Sechs Angeklagte und 71 Zeugen – damit wäre ein Einzelrichter am Amtsgericht überfordert. Den Fall dort zu verhandeln, wäre nicht sachgerecht.“
Zumindest sieht der Pressesprecher nun Licht am Ende des Tunnels. Die Jugendstrafkammern am Landgericht seien personell verstärkt worden, wodurch die liegen gebliebenen Fälle abgearbeitet werden konnten. Dadurch sei der Weg frei, diesen Prozess nun „zeitnah“ zu beginnen.
Eine Verjährung des Vorfalles ist laut Prange nicht zu befürchten. Problematischer sei da schon der Zeugenbeweis, der bei diesem Fall eine wichtige Rolle spielen wird. „Aber gerade weil das so ist, lässt niemand so einen Fall freiwillig so lange liegen“, unterstreicht Prange, der selbst Vorsitzender Richter ist, noch einmal, dass man auch am Landgericht alles andere als glücklich mit dieser Hängepartie ist. „Aber wir konnten dem Fall aus rechtlichen Gründen nun einmal nicht die erste Priorität einräumen.“