Borgfeld. Wozu braucht man beim Nickerchen auf dem Wohnzimmersofa eine Bratpfanne? Und was sollen die ganzen Einmachgläser auf dem Fußboden? Ist Mrs Benton vielleicht ein wenig wunderlich geworden? Das fragen sich ihre drei Kinder auch. Aber nur einem von ihnen, Chris, dem jüngsten Sohn, gelingt es zu ihr vorzudringen – vorerst aber nur physisch. Bis er seine Mutter wirklich erreicht, dauert es lange, und immer wieder droht das Scheitern. Das Theater am Deich des Hanseatenclubs zeigt ab diesem Freitag mit seinem Sommerstück „Herbstrasen“, wie das Altern eine Mutter und ihre Kinder einander entfremden kann.
„Herbstrasen“ von dem schottisch-amerikanischen Dramatiker Eric Coble ist ein Zwei-Personen-Stück, recht ungewöhnlich für das Theater am Deich, aber nicht ungewöhnlich, wenn Renate Scheunemann Regie führt. „Ich mag nicht so ein Gewusel auf der Bühne“, sagt sie, die früher einmal ausgebildete Schauspielerin war, dann aber meinte, sie sei nicht begabt genug, um in diesem Beruf auf Dauer ihr Brot verdienen zu können. Also studierte sie Literatur- und Theaterwissenschaft, um Dramaturgin zu werden, und wie das zu der Zeit, als sie jung war, noch häufig vorkam: Es folgten Heirat und Kinder und kein Beruf. Da aber ihr Mann Atelierleiter beim Theater am Goetheplatz war und auch manchmal für das Theater am Deich das Bühnenbild gestaltet hat, kam Renate Scheunemann doch noch zu einer Theaterkarriere – nicht als Schauspielerin, nicht als Dramaturgin, aber als Regisseurin; in diesem Stück unterstützt von der zweiten Regisseurin Maggie Steinemann, die mehr für das Organisatorische zuständig ist. „Wenn ich die nicht hätte, wäre ich aufgeschmissen“, sagt Renate Scheunemann.
Eigentlich hatte sie schon im vorigen Jahr den Regiestab weglegen wollen. Dann aber kam Ole Aschemeier auf die Idee, dass er unbedingt einmal mit Mary Janz zusammen auf der Bühne stehen wolle – beide sind schon seit Langem Ensemblemitglieder des Hanseatenclubs, aber es hatte sich nie gefügt, dass sie im gleichen Stück auftraten. Dem konnte Abhilfe geschaffen werden, meinte Renate Scheunemann, da Mary Janz ohnehin eine ihrer Lieblingsschauspielerinnen ist.
Jetzt fehlte nur noch das Stück. Auf den Inhalt kam es Renate Scheunemann und Maggie Steinemann dabei weniger an, sie haben bei den Theaterverlagen nachgefragt, was es an Stücken mit nicht mehr als vier Personen gibt, und die Verlage haben Stücke zur Ansicht geschickt. „Herbstrasen“ schien sehr geeignet, mal keine Komödie, sondern ein ernstes, manchmal trauriges, auf jeden Fall nachdenklich stimmendes Stück über eine verwitwete Mutter von drei Kindern, die noch in ihrer eigenen gutbürgerlichen Wohnung in Brooklyn leben kann, aber langsam die Beschwerden des Alters spürt, was sie aber nicht zugeben möchte. Ihre Tochter und ihr ältester Sohn haben es sowieso nur auf ihr Vermögen abgesehen und wollen sie ins Altersheim abschieben (glaubt sie). Da kommen Jennifer und Michael auf die Idee, ihren jüngeren Bruder Chris vorzuschicken.
Aber Mrs Benton ist gewappnet, nicht nur mit einer Bratpfanne. Die Wohnzimmertür ist mit einem Tisch zugestellt, Chris muss sich in einem Baum in den zweiten Stock hochhangeln und durchs Fenster klettern, und seine Mutter interessiert sich weniger für seine Lebensgefahr, sondern nur dafür, dass ihr Baum nicht beschädigt wird. Ihre Kinder sollen es nur wagen, sie aus ihrer Wohnung zu holen! Sie ist verproviantiert auf Monate hinaus, und wenn alles nichts hilft, hat sie ja noch die Einweckgläser, die im ganzen Wohnzimmer herumstehen und mit Filmentwicklerflüssigkeit gefüllt sind. Das wirkt besser als Nitroglycerin, und der Nachbar in der Wohnung unter ihr ist verreist. Es käme also niemand zu Schaden, außer ihr selbst, aber das wäre doch mal ein gelungenes Ende.
Oft nähern sich Mutter und Sohn, der sie seit 20 Jahren nicht mehr besucht hat, einander an, kramen Erinnerungen aus Chris‘ Kindheit aus, aber dann, ein falsches Wort, und die Stimmung kippt wieder. Ob ein Zwei-Personen-Stück schwierig für die Schauspieler ist? „Das kann ich Ihnen sagen“, meint Renate Scheunemann, obwohl sie das Stück ein wenig gekürzt hat. Das ist erlaubt, sobald man die Aufführungsrechte erworben hat, nur der Titel darf nicht geändert werden, und natürlich dürfen die Kürzungen nicht sinnentstellend sein. Aber auch so hat die Regisseurin mit Ole Aschemeier und Mary Janz ein halbes Jahr lang zweimal in der Woche geprobt.
Das war offenbar genug, wie sich bei der Generalprobe zeigte. Aber Renate Scheunemann hatte sich vorsichtshalber nach hinten in den Zuschauerraum gesetzt, nicht auf einen Regisseursessel. „So was Albernes haben wir gar nicht“, sagt sie, und bei der Generalprobe und der Hauptprobe am Tag vorher greife sie auch nicht mehr ein. Es gibt nur am Schluss noch eine Manöverkritik. Ein Stuhl steht aber doch direkt vor der Bühne - ein Souffleurstuhl. Den besetzt bei diesem Stück Ingeborg Schweikert-Kaya. Aber zumindest im ersten Akt musste sie kein einziges Mal weiterhelfen.
Weitere Informationen
Premiere von „Herbstrasen“ ist am Freitag, 14. Juni, um 19.30 Uhr. Auch an den Freitagen 28. Juni und 5. Juli beginnt die Aufführung um 19.30 Uhr. Anfangszeit am Sonnabend und Sonntag ist 17 Uhr, und zwar am 15./16., 22./23. und 29./30. Juni und am 6. Juli. Karten können unter Telefon 0421 / 271234 bestellt werden und im Internet unter karten-theateramdeich@gmx.de.