Reinhard Goltz im Porträt Feinarbeit am plattdeutschen Klang

Im Radio spricht er plattdeutsche Nachrichten und viele Jahre hat er das Institut für niederdeutsche Sprache geleitet. Gleichwohl wurde dem Borgfelder Reinhard Goltz das Plattdeutsche nicht in die Wiege gelegt.
26.08.2020, 10:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Ulrike Schumacher

Borgfeld. Seine Stimme wird manch einem vertraut sein, der sich aus dem Radio gern op Platt vertellen lässt, was die Welt bewegt. Die Hörer kennen den dunklen Ton der Stimme, die ihnen immer mal wieder ankündigt: „De Klock is halbig ölben, de Nahrichten“. Und wenn nach ein paar Minuten allns seggt is, wat een weten mutt, wissen sie auch, dass er wieder am Mikrofon saß: „Dat wöörn de Nahrichten op Platt, trechtmakt un vörleest hett se Reinhard Goltz.“

Der Borgfelder gehört zu denjenigen, die regelmäßig die plattdeutschen Nachrichten lesen. Ein Klacks für den langjährigen Leiter des Instituts für niederdeutsche Sprache im Bremer Schnoor. Der, mag manch einer auch denken, hat das Plattdeutsche bestimmt schon in die Kinderwiege gelegt bekommen. „Nee“, entgegnet er vergnügt. Der plattdeutsche Funke ist er später übergesprungen. Dann aber so richtig.

Seit fast 20 Jahren lebt Reinhard Goltz in Bremen, aber die sprachliche Melodie seiner Kindheit hat der 66-Jährige mitgebracht. Reinhard Goltz ist an der Elbe aufgewachsen. In Finkenwerder. „Damals gab es da noch einen Strand.“ Seine Eltern waren als Flüchtlinge dorthin gekommen. Plattdeutsch war zwar gegenwärtig, aber die Familie sei nie ernsthaft in Kontakt gekommen zu den Einheimischen. Der Sohn holte das nach. Später, als er in Hamburg Germanistik studierte. Da habe ihn sein Professor auf das Niederdeutsche gestoßen und ihn mit einem Forschungsauftrag dorthin geschickt, wo er herkam. Nach Finkenwerder. Und von da aus geradewegs auf einen Fischkutter. Damit er näher dran war am Klang der Plattdüütschen.

„Ich habe mir damals eine neue Welt erschlossen“, blickt Reinhard Goltz zurück. Er hat genau hingehört, wenn die Fischer miteinander sprachen. „Darüber habe ich das Plattdeutsche gelernt.“ Auch über die vielen Interviews, die er für das Studienprojekt führen musste. Klar – mulmig sei ihm dabei gewesen. So ohne plattdeutsche Vorkenntnisse. Aber immerhin ausgerüstet mit den aufmunternden Worten des Professors: „Fang eenfach an un snack los. De Lüüd verstaht dat doch.“ So war es. „Es hilft viel, wenn man mit den Ohren lernt“, hat Reinhard Goltz erfahren. Er hat aber auch gespürt, dass er lieber Boden unter den Füßen hat als Wasser. Nachdem er im Oktober 1975 bei Windstärke acht auf der Nordsee zwölf Tage lang seekrank war. „Meine Seemannskarriere war damit zu Ende“, erzählt Reinhard Goltz und lacht. Plattdeutsch aber blieb Teil seines Lebens.

Er kam mit plattdeutscher Literatur in Berührung, lernte Autorinnen und Autoren kennen, nahm an niederdeutschen Tagungen teil. Er schrieb für das Ohnsorgtheater und für den Rundfunk, er hielt Vorträge und Lesungen und wirkte in einer plattdeutschen Kabarett-Gruppe mit. Eigentlich wollte Reinhard Goltz Lehrer werden. Parallel zum Referendariat schrieb er seine Doktorarbeit, ging dann aber nicht in die Schule, sondern an die Universität in Kiel, wo ihn ein Projekt der Akademie der Wissenschaften lockte: „Das preußische Wörterbuch – die Mundarten Ost- und Westpreußens.“ Es ist die Feinarbeit an der Sprache, die Reinhard Goltz bis heute reizt. Die Tüftelei am passenden Begriff, wenn er an Übersetzungen arbeitet. Er gehört zu dem Team, das Asterix und Harry Potter ins Plattdeutsche übersetzt hat. „Das heißt für mich: Grenzen ausprobieren“, beschreibt Reinhard Goltz diese Arbeit. „Die Harry-Potter-Welten gibt es ja auch im Hochdeutschen nicht.“ Die Übertragung ins Plattdeutsche ist dann eine Herausforderung. Aber eine, die ihm großes Vergnügen bereitet. Noch dazu, wenn sich dabei neue Wörter schöpfen lassen.

Jüngstes Übersetzungswerk ist ein Buch im Donat Verlag. In Erinnerung an den Autor Hans Paasche, der am 21. Mai vor 100 Jahren umgebracht wurde. Weil er für die Herrschenden unbequem war. Mit seinem Buch „Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland“ habe Hans Paasche den Lesern den Spiegel vorgehalten und gegen den Kolonialismus und den Dünkel der wilhelminischen Gesellschaft angeschrieben. Für den Verleger Helmut Donat ist mit der Übersetzung des Buches ins Plattdeutsche „en olen Wunsch Wohrheit worrn“. Wer in der Linie 4 von Borgfeld in die Innenstadt einen Mann hat sitzen sehen, über Arbeitsblätter gebeugt und Notizen machend, war Beobachter des Übersetzungsprozesses. „Ich bin ein Straßenbahnarbeiter“, erzählt Reinhard Goltz. Immer wenn er ins Institut fährt, wo es für ihn auch im Ruhestand noch etwas zu tun gibt, nutzt er die Zeit für seine Arbeit am Wort.

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