Borgfeld. Einen Kita-Platz ab März? Gibt es nicht. Betreuung nur bis 14 Uhr? Können wir in diesem Jahr nicht anbieten. So oder ähnlich reagieren Kindergärten und Krippen, wenn die Bedarfe der Eltern nicht ins Schema passen. Und das passiere immer häufiger, sagen Vertreter einiger Borgfelder Einrichtungen. Die Reaktionen der Eltern: „von frustriert über sehr traurig bis verständnislos“, berichtet der Leiter der Kita Murmel, Dennis Köhlenbeck. Es sei an der Zeit, dass die Organisation der Kinderbetreuung an die Wünsche der Eltern angepasst werde – und an die sich verändernden Bedürfnisse der zunehmend jüngeren Kinder, sagen die Freien Träger.
Angebotsraster der Stadt
„Das ist die Crux in Bremen: Man fragt die Eltern, was sie brauchen, und dann müssen sie ins Angebotsraster der Stadt passen“, kritisiert Elke Meiners, seit 40 Jahren Leiterin der evangelischen Kitas in Borgfeld. „Kommen in einem Jahr viel mehr Eltern, die ihre Kinder über den Tag gesehen länger betreuen lassen wollen, kann ich deren Wünsche nicht erfüllen“, sagt Meiners. „Und das, obwohl ich das Personal und die Räume dafür hätte.“ Grund sei, dass die Träger, in dem Fall die evangelische Kirche, von der Stadt für das nächste Kindergartenjahr Geld für ein bestimmtes Kontingent an Plätzen bekommen, und nicht für das, was von den Eltern oder auch von den Kindern im Alltag benötigt wird. Als Beispiel dafür nennt Meiners Kinder mit Verzögerungen in der Entwicklung. „Ob ein Kind Sprachprobleme hat oder die Wahrnehmung gestört ist, zeigt sich oft erst lange nach der Anmeldung.“ Dafür aber sehe das jetzige System keine Option vor: „Wir bekommen kein zusätzliches Personal für die Förderung dieses Kindes.“ Die Finanzierung eines Kita-Platzes dürfe also nicht am Kind kleben, sondern müsse dessen Bedarf angepasst werden, fordert die Pädagogin.
Flexibler planen müssten die Kitas auch mit Blick auf das Alter der Kinder – und damit auf zusätzliche Bedürfnisse bei Körperpflege und Beschäftigung. „Früher gab es wenige Kinder, die schon mit drei Jahren in die Kita kamen. Heute ist ein Drittel noch zwei“, sagt Meiners. Die Krippenkinder machen Platz, damit die Stadt den Rechtsanspruch der Eltern erfüllen kann. Und das hat für den Alltag im Kindergarten Folgen: „Am Anfang dieses Kindergartenjahres gab es 17 Kinder, die noch gewickelt werden mussten“, fügt Elke Meiners hinzu. Eine Herausforderung, deren Bewältigung viel Zeit und Personal fordere, bestätigt Erzieherin Vanessa Buchholz. „Außerdem können sich Zweijährige viel schwerer an Absprachen halten“, sagt Erzieherin Petra Biendarra. „Ich spreche mit den Sechsjährigen, und hinter meinem Rücken kippen die Zweijährigen zwei Flaschen Fingerfarben zusammen.“ Die Steppkes räumen Regale aus, sodass die Sechsjährigen ihr Lernmaterial nicht finden. Für die Erzieherinnen wird das breite Altersspektrum so zum Problem. Meiners wünscht sich deshalb einen zweiten Aufnahmezeitpunkt im Februar für Kinder, die erst im Laufe des Kindergartenjahres ihren dritten Geburtstag feiern. „Sie sind dann ein halbes Jahr älter, das macht viel aus“, glaubt Meiners.
Von Jahr zu Jahr ändert sich indes, was die Eltern brauchen. Benötigen in einem Jahr zehn Familien Plätze bis 14 Uhr, kann Meiners diese so schnell nicht bieten. „Ich bekomme nur Personal für volle Gruppen.“ Es komme deshalb vor, dass Eltern acht Stunden Betreuung bezahlten, aber nur fünf in Anspruch nehmen. Das sei für viele ärgerlich. „Das System ist schwerfällig und kann nicht flexibel reagieren auf das, was Eltern wollen“, kritisiert Meiners, die mit 52 Erzieherinnen, Hauswirtschafterinnen und Praktikantinnen sowie fünf persönlichen Assistentinnen zusammenarbeitet. Sie alle kümmern sich in zwei Kitas und dem Krippenhaus um 207 Kinder.
Weil es in der Praxis nicht rund läuft, fordern die Freien Träger eine Reform des Kita-Systems. Spätestens, seitdem Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben, offenbarten sich erhebliche Strukturprobleme, heißt es beim Landesverband der bremischen evangelischen Kirche (BEK) und bei der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (LAG). Ihren Angaben zufolge bieten Freie Träger in der Stadt 13 876 und damit mehr als 60 Prozent der Kita-Plätze an (Bremerhaven: 48 Prozent). Deren Finanzierung jedoch sei zu unübersichtlich und schwerfällig. Kita-Angebote könnten deshalb nicht oder nur sehr unzureichend zeitnah und zielgenau entwickelt werden, moniert der Leiter des Landesverbandes der BEK, Carsten Schlepper. Der Landesverband und die freie Wohlfahrtspflege fordern: Die Träger sollten künftig in Eigenregie auf die Wünsche der Eltern reagieren können. Dazu müssten die Einrichtungen von der Stadt schon vor dem jährlichen Anmeldeverfahren eine Zusage für finanzielle Mittel erhalten, damit sie Ausstattung und Personal planen können. „Wir hoffen, dass wir mit unserer Initiative eine breite Diskussion anstoßen, wie das System der Kindertagesbetreuung im Land weiterentwickelt werden muss“, sagt LAG-Sprecher Arnold Knigge.
Eine flexiblere Organisation, da ist sich Elke Meiners sicher, würde auch die Arbeit der Erzieherinnen erleichtern. „Sie gehen an ihr Limit und werden den Kindern doch nicht gerecht.“ Neue Strukturen könnten Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern und den Jüngsten den Kindergartenalltag. Dass sich dringend etwas ändern muss, meinen auch die stellvertretende Leiterin der Borgfelder Butjer, Claudia Jonas, und der Leiter des Kindergarten Murmel, Dennis Köhlenbeck. Auch er würde gern flexibler auf Anfragen von Eltern reagieren und jenen, denen er kein passendes Angebot machen kann, zumindest vorübergehend eine Art Notversorgung anbieten. Noch sind ihm die Hände gebunden.
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