Sie weiß selbst sehr gut, wie sich das anfühlt: Der Nachwuchs streikt, es kostet große Mühe, ruhig zu bleiben – und jedes gut gemeinte Wort lässt das Kind scheinbar noch wütender werden. Stefanie Wulf ist Mutter zweier Töchter, hat lange in der Werbebranche gearbeitet und unterstützt jetzt Eltern dabei, den Familienalltag für alle stressfreier zu gestalten.
Die 39-Jährige leitet in Bremen und umzu Kurse mit dem Titel „Kinder besser verstehen“. Gedacht sind sie für Eltern von Kindern zwischen einem Jahr bis ins Vorschulalter. Wie man Kinder besser versteht, darüber liest Stefanie Wulf seit Jahren Bücher wie „Geborgen wachsen“ von Susanne Mierau, von Jesper Juul, Nora Imlau oder Lernforscher Gerald Hüther; tiefer gehendes Wissen über die neurologische und psychologische Entwicklung von Kindern eignet sich die studierte Betriebswirtschaftlerin in ihrer Ausbildung zur Familienberaterin an. Bei Diplom-Pädagogin, Musiktherapeutin und Familienberaterin Katia Saalfrank lernt Stefanie Wulf, wie sie Eltern helfen kann, „von der Erziehung zur Beziehung zu kommen“. Die im TV als Super Nanny bekannt gewordene Katia Saalfrank arbeite heute auf der Grundlage eines „bindungs- und beziehungsorientierten“ Ansatzes. Die aus der Reality-Serie bekannte „stille Treppe“ komme darin nicht mehr vor, so Wulf.
In Katia Saalfranks Ansatz gehe es nicht um eine Methode oder einen Erziehungsstil, sondern um die eigene Haltung den Kindern gegenüber, erklärt die Borgfelderin. „Ich gebe deshalb auch keine Tipps und Listen aus.“ Vielmehr wolle sie Eltern helfen, diese Haltung und darauf aufbauend Alternativen zum bisherigen Handeln zu entwickeln. „Bei der herkömmlichen Erziehung geht es darum, wie sich das Kind verhält und wie man unerwünschtes, von den Erwachsenen als falsch bewertetes Verhalten mithilfe von Lob, Strafe und Belohnung in richtiges Verhalten ändern kann.“ Was Eltern für richtig und falsch halten, beruhe auf deren eigene Erfahrungen. In den ersten drei Lebensjahren werde der Grundstein dafür gelegt, nach welchen Grundsätzen Erwachsene leben und wie sie ihre Beziehungen gestalten. Vielen sei gar nicht bewusst, dass sie ihre Kinder nach längst überholten Maßstäben erziehen und dass sie mit ihren eigenen Ängsten viel zum Stress in der Familie beitragen.
Auf dem Weg zu einer entspannteren Atmosphäre sei es wichtig, dass die Erwachsenen ihr eigenes Gefühlsleben beleuchteten und sich nicht von den Ratschlägen aus der Umwelt verunsichern lassen. „Ich bestärke Eltern, jede Situation einfühlsam zu betrachten und selbstbewusst für jedes Familienmitglied einen individuellen Weg zu finden“, sagt Wulf. Das Verhalten eines Kindes, sagt sie, sei immer nur die Spitze des Eisbergs, es sei Ausdruck dessen, was sich unter der Oberfläche verberge. „Sind die Grundbedürfnisse eines Kindes nach Nahrung oder Liebe nicht gestillt, äußert sich das im Verhalten.“ Da helfe auch kein Schimpfen.
Dass diese berufliche Aufgabe genau ihr Ding ist, hat Stefanie Wulf nach der Geburt ihrer Kinder gemerkt. „Durch die Kinder wurden Stellen in mir berührt, die jahrelang verdeckt waren“, sagt sie. Als Beispiele nennt Wulf ihr geringes Selbstwertgefühl, das sie jahrelang gut kaschierte, und die Gefühle nach der Trennung der Eltern. „Diese Themen sind in mir hochgekommen und ich habe mich gefragt, wie will ich mit meinen Kindern umgehen.“
Ganz leise kündigte sich so auch schon die berufliche Kehrtwende an. „Ich war auf der Suche nach meiner Berufung“, sagt die gebürtige Bremerin. Bei der Arbeit in einer Werkstatt für Beeinträchtigte spürte Wulf deutlich, wie gut ihr der wohlwollende Umgang mit den Menschen dort tat. „Das hat mir viel gegeben“, sagt sie. „Dort habe ich herausgefunden, dass ich ein feinfühliger, empathischer Mensch bin.“ Zu lange habe sie versucht erfolgreich zu sein – so, wie die Eltern es sich für sie gewünscht haben. Sie hat Kreative und prominente Sportler als Frenchisenehmer beraten, die studierte Betriebswirtschaftlerin hat für bekannte Firmen Produkte vermarktet. Nichts von all dem hat sie glücklich gemacht. „Ich bin kein Ellenbogentyp“, sagt Wulf, „und ich gehe auch nicht darin auf, mich den ganzen Tag zu profilieren“.
Anstatt weiter die Zähne zusammenzubeißen und Karriere zu machen, suchte sie hartnäckig nach ihrer Berufung. „Als ich im Internet auf die Ausbildung bei Katia Saalfrank gestoßen bin, traf es mich wie ein Schlag im positiven Sinne“, sagt Wulf. Sie fand die Antwort auf ihre Frage nach der eigenen Rolle als Mutter – und gleichzeitig traf ihr „Herzensruf“ auf Resonanz: „Ich möchte, dass mehr Kinder emotional, physisch und psychisch gesünder heranwachsen können.“
Ihre Anstellung bei der Werkstatt Bremen zum Jahresbeginn gekündigt zu haben und jetzt selbstständig zu arbeiten, bezeichnet sie dennoch als „die mutigste Entscheidung meines Lebens“. Im Sommer wird Stefanie Wulf ihre einjährige Ausbildung zur „bindungs- und beziehungsorientierten Eltern- und Familienberaterin“ abschließen. Dafür hat sie nochmals Literatur gewälzt, Online-Seminare belegt, ist zu Praxiswochenenden nach Berlin gefahren und hat Didaktik gepaukt. Fehlt noch die Prüfung. „Als zertifizierte Kursleiterin mit pädagogischer Grundausbildung darf ich schon im Mai Beratungen anbieten“, sagt sie. „Es fühlt sich genau richtig an.“ In Zukunft möchte sie auch direkt mit Kindern arbeiten, sie in ihrem Sein bestärken, „damit sie auf ihr Herz hören und einen Beruf erlernen, den sie selber wollen.“
So gelingt eine gute Beziehung in Pandemiezeiten
Struktur schaffen: „Es ist wichtig, Struktur zu schaffen, wenn zum Beispiel die Kita geschlossen ist“, sagt Expertin Stefanie Wulf. „Kinder müssen durch den Tag geführt werden.“ Mit zeitlich festgelegten Ankerpunkten, wie gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten, könnten Eltern die weggebrochene Tagesstruktur ersetzen und für Sicherheit sorgen. „Zwischendurch kann man auch noch viele andere Punkte schaffen“, sagt Wulf. „Wichtig ist, dass die Eltern die Energie haben, ihre Kinder durch den Tag zu führen.“ Dies setze voraus, dass sie sich selbst darüber im Klaren sind, wo es lang gehen soll.
Klare Botschaften: Eltern sollten klare Botschaften aussenden, rät Wulf. Wenn es an die frische Luft geht, dann sofort. Wer erst noch den Geschirrspüler ausräume, müsse sich nicht wundern, wenn die Kinder weiter spielen.
Orientierung durch Regelmäßigkeit: Je mehr Handlungen oder Ereignisse sich von Tag zu Tag wiederholen, desto besser wissen Kinder, was als Nächstes an der Reihe ist. „Das gibt ihnen Orientierung und Sicherheit“, weiß Stefanie Wulf. Der Grund: „Kinder, die keine Uhr lesen können, haben kein Zeitgefühl.“ Ohne den wiederkehrenden Ablauf fehle ihnen der Überblick.
Weitere Informationen
Ein Kursus „Kinder besser verstehen“ startet online am Donnerstag, 18. Februar. Die Teilnahme an sechs Abenden zu je anderthalb Stunden kostet 160 Euro, je Paar sind es 259 Euro. Es sind noch Plätze frei. Stefanie Wulf ist erreichbar unter der Telefonnummer: 0175/ 286 59 66 (www.kinderbesserverstehen-bremen.de).