Dunkel wie Blei liegt die Lesum vor dem verwaisten Bootshaus am Lesumdeich. Hin und wieder fährt ein Arbeitsschiff vorbei oder rattert eine Eisenbahn über die nahe gelegene Brücke. Zugfahrgäste können durch die Fenster einen Blick auf weiße Ungetüme auf dem Gelände des Segelvereins Neptun erhaschen. Die Mitglieder hatten ihre Boote vor dem Wintereinbruch mit Planen verhüllt. Es wirkt, als befände sich der Burger Verein noch im Winterschlaf. Doch wer genau hinsieht, erkennt, dass sich die ersten Wassersportler daranmachen, die Saison vorzubereiten.
„Kommst du mal, Ronald?“, ruft Christel Nierentz ihren Mann. Unter einer der weißen Planen zeichnet sich kurz darauf eine Beule ab. Bootsbesitzer Ronald Nierentz (68) steigt die Leiter hinab, die er unter der Kunststofffolie an die Neptun gelehnt hat. „Ich muss die alte Heizung austauschen“, berichtet er, als er zwischen der Blizzard und weiteren verhüllten Motorbooten seiner Vereinskollegen steht. In Corona-Zeiten seien derartige Reparaturarbeiten wegen fehlender Ersatzteile nicht unproblematisch.
Wer unter die Wärme der Plane kriecht, findet Schraubenzieher, Zangen, Zollstock und weitere Werkzeuge auf einem Haufen. All das braucht der Bremer, um sein Boot flottzumachen. Es gebe an den Booten vor der Saison immer etwas zu tun, sagt der Bootseigner. Die technischen Einrichtungen an Bord müssten auf den neuesten Stand gebracht werden, ebenso fielen Lackierarbeiten an. Das Unterwasserschiff der Neptun zum Beispiel bekäme jedes Frühjahr einen neuen Schutzanstrich.
Der Wassersport ist aus dem Leben des Ehepaares nicht wegzudenken. Beide haben sich im Verein kennengelernt. „Wir sind den ganzen Sommer auf dem Wasser unterwegs“, sagt die frühere Justizbeamtin aus der Neustadt, die bereits mit acht Jahren in den 1924 gegründeten Verein in Burg eingetreten ist. „Auch meine Eltern waren Vereinsmitglieder.“
Mal geht es nur bis nach Elsfleth, mal steuern die Rentner das polnische Swinemünde an. Sobald die Temperaturen steigen, holt Christel Nierentz deshalb auch wieder Betten, Bücher, Kleidung und Lebensmittel an Bord: „Das ist hier wie ein zweiter Haushalt.“
An diesem Vormittag fegt aber noch ein kalter Wind über die gekräuselte Wasseroberfläche der Lesum und die blauen Tonnen in der Nähe des rot gestrichenen Bootshauses. Es handelt sich um Teile der Steg-Anlage. Ob ihr einst von Fassmer gebautes und von ihrem Mann und Schwiegervater ausgebautes Rettungsboot Neptun dieses Frühjahr rechtzeitig ins Wasser kommt, ist derzeit jedoch offen. Die Pandemie hat vieles auch beim Segelverein verändert. Und derzeit fragen sich die rund 20 aktiven Wassersportler wie Christel Nierentz, ob sie eine weitere Corona-Saison vor sich haben.
„Zumindest was den Start betrifft haben wir es erneut mit Einschränkungen zu tun“, heißt es auf der Homepage des Zusammenschlusses. Anders als im März 2020 dürften die Mitglieder einzeln an ihren Booten arbeiten, sagt die Vereinschefin, aber sämtliche Versammlungen müssten wegen der Corona-Auflagen noch unterbleiben. Noch hofft der Vorstand, dass zumindest der Termin für das Einbringen der Steg-Anlage im April beibehalten werden kann. „Wir brauchen einige Leute, um die Anlage ins Wasser zu bringen“, sagt die Vorsitzende. Auch, wenn den Mitgliedern auf dem Areal ein Kran zur Verfügung steht.
Christel Nierentz schließt das 1928 gebaute Vereinshaus auf. Drinnen sind die Stühle hochgestellt. Sie knipst die alten Schiffslampen an, dreht ein wenig Radiomusik auf. Weiches Licht fällt auf bunte Vereins-Stander, Flaggen befreundeter Segelvereine. Die Schiffsglocke über dem Tresen schweigt. Sie tönt nur, wenn jemand eine Thekenrunde ankündigt. „Früher war hier immer was los“, sagt die Vorsitzende. Es gab Grillabende, Tanz in den Mai, Frühschoppen.
Es sei ruhiger geworden – nicht nur wegen Corona. „Wir haben kaum junge Mitglieder“, meint Christel Nierentz. Die Strömung in der Lesum sei hier nun so stark, dass es für Jugendliche in Optimisten zu gefährlich sei. Überhaupt sind unter den 22 Vereinsbooten kaum mehr Segelboote zu finden: „Wegen der Brücke mussten wir die Masten mühsam runterdrehen, deshalb sind die meisten umgestiegen.“