Rundgang Oh, wie schön ist... Findorff!

Im Herzen Bremens, genauer am lebhaften Bremer Hauptbahnhof, startet heute unser Rundgang. Was nicht alle wissen: Direkt an Nordausgang beginnt der Stadtteil Findorff. Und da schauen wir uns heute um.
23.12.2016, 09:48 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von Anke Velten

Im Herzen Bremens, genauer gesagt am lebhaften Bremer Hauptbahnhof, startet heute unser Rundgang. Was nicht alle wissen: Direkt an Nordausgang beginnt der Stadtteil Findorff. Und da wollen wir uns heute einmal umschauen.

Erste Etappe

Im Jahr 1987 wurde die Bürgerweide samt Stadthalle und Schlachthof amtlich Findorffer Gebiet. Heute spricht man natürlich von der ÖVB-Arena. Das Congress Centrum wurde ab 1996 gebaut. Kurz vor der Jahrtausendwende bekam der Bremer Hauptbahnhof auch auf seiner Nordseite ein attraktives Gesicht, und seinen „Willy-Brandt-Platz“. An den Taxiständen werden rund um die Uhr die Besucher der Stadt und Rückkehrer erwartet. Der Nordausgang ist natürlich auch der kürzeste Weg für alle, die es zu Konzerten und Messen auf der Bürgerweide zieht, und er entlässt vor allem zu Freimarkt- und Osterwiesenzeiten täglich Tausende ins große Vergnügen.

Zweite Etappe

Niemandem in der Stadt liegt die fünfte Jahreszeit näher als den Findorffern – und das ist Fluch und Segen zugleich. Es ist zweifellos ein unschätzbarer Vorteil, um den die Findorffer zu beneiden sind: Dass man mal eben schnell zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Freimarkt kommt – und genauso schnell natürlich auch wieder zurück nach Hause. Auf der anderen Seite können die Nachbarn ein Liedchen davon singen, welche Plage die parkplatzsuchenden Freimarktgäste sein können, die stoisch wieder und wieder die kleinen Wohnstraßen umkreisen. Parkplätze sind hier schon im normalen Alltag rar und heiß begehrt.

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Was heute auch kaum noch vorstellbar ist: Ein großer Teil des heutigen Bremer Vergnügungszentrums auf der Bürgerweide war vor vierzig Jahren noch zugebaut mit den Hallen und Schuppen des riesigen Bremer Schlachthofs. Rund 1000 Rinder, 5000 Schweine und ungezähltes Kleinvieh waren wöchentlich auf den Schlachtbänken gelandet. 1976 war nach fast hundert Jahren Schluss mit dem Gemetzel mitten in der Stadt und der Schlachtbetrieb zog nach Oslebshausen. Um den größten Teil der Gebäude war es nicht schade: Sie wurden nach und nach abgerissen. Aber mit dem Rest ließe sich etwas Sinnvolles anfangen, fand eine große bunte Unterstützergruppe und begann, die Gebäude zu vereinnahmen und zu bespielen.

1980 wurde auch die Fleischmarkthalle abgerissen. Zum Glück konnte immerhin der Uhrenkomplex mit Magazinkeller, Kesselhalle und dem markanten Schornstein gerettet werden. Daraus wurde das Kulturzentrum Schlachthof und ein unverzichtbares Stück Bremer Kulturszene. Das Gebäude wurde mehrfach um- und ausgebaut, bekam 1989 Sommergarten und Arena, 1991 eine Skateranlage, 1995 einen Pavillon, 1998 ein neues Foyer und vor einigen Jahren ein markantes Windrad.

Dritte Etappe

Auch in der Admiralstraße hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Auf der Straßenseite, auf der früher die Gebäude der Bremerland-Molkerei standen, stehen heute ein Budget-Hotel, Neubauwohnungen, Supermärkte und ein großes Fitnesszentrum. Das Polstermöbelgeschäft davor nutzt Teile der ehemaligen Stuhlrohrfabrik Mencke, Schultze, Co, wo bis Mitte der 1950er-Jahre Rohrgeflecht für Stühle, Sessel, Heizkörperverkleidungen und Tische verarbeitet wurde.

Nicht zu übersehen ist natürlich auch der Hochbunker mit seinem beeindruckenden Wandbild. 1984 schuf der Bremer Künstler und Hochschulprofessor Jürgen Waller die Wandmalerei mit dem Titel „Den Gegnern und Opfern des Faschismus“. Die einzelnen Szenen zeigen Formen des Widerstands und deren Unterdrückung. Außerdem dokumentiert das Gemälde Namen von Bremerinnen und Bremern, die Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime leisteten und zum Teil dafür auch im „KZ Missler“ inhaftiert und gefoltert wurden. In den ehemaligen Auswandererhallen an der Walsroder Straße in Findorff hatten die Nationalsozialisten im Jahr 1933 ein Konzentrationslager eingerichtet.

Vierte Etappe

Das Areal dahinter heißt „Plantage“. Ortsunkundige, die in dem unscheinbaren Gewerbegebiet landen, könnten glauben, dass sie es hier mit einem Fall ganz speziellen Bremer Humors zu tun hätten. Doch der Name wurde dem Ambiente zu seiner Zeit absolut gerecht. Auf der Bremer Landkarte erschien das Gelände erstmals vor mehr als 250 Jahren, als sich ein Bremer Kaufmann namens Eberhard von Hoorn ein kleines exotisches Paradies vor den Toren der Stadt errichten ließ. Dort soll es Wasserzüge, tropische Pflanzen, Alleen, Fischteiche und ein achteckiges Lustschlösschen gegeben haben.

Seit Jahren wächst und gedeiht dort die Kunst. 25 Jahre lang befand sich an der Plantage 13 – einer ehemaligen Blusenfabrik – die renommierte Galerie Rabus für moderne Kunst. Heute ist es die Adresse unter anderem einer Kunstschule und der Bremer Philharmoniker. In der unmittelbaren Nachbarschaft steht das Haus „Plantage 9“, das eigentlich längst abgerissen werden sollte, um eine Durchgangsstraße zur Admiralstraße zu schaffen. 2010 mietete die Bremer Zwischenzeitzentrale das leerstehende Gewerbegebäude, und füllte es mit jungen Künstlern, Designern, Fotografen, Studierenden und Start-ups. Das läuft so gut, dass längst niemand mehr von einem Abriss spricht.

Fünfte Etappe

Wir laufen durch die Hemmstraße, der vermutlich wichtigsten und mit Sicherheit längsten Straße des Stadtteils. Schön ist, dass hier noch viele kleine individuelle Geschäfte zu finden sind. Weinladen, Confiserie, Käsekontor, Delikatessengeschäft und Teeladen beweisen: Die Findorffer haben einen ziemlich guten Geschmack. An der Hemmstraße bekommt man auch Designermode „Made in Findorff“, tolle Wolle, ausgesuchte Bücher, schöne Blumen und Haushaltsgeräte, Restaurants und Cafés.

Das Wahrzeichen des Stadtteils finden Besucher auf dem Platz an der Ecke Fürther Straße/ Hemmstraße: Dort pflegt der Bürgerverein Findorff den echten „Jan-Reiners“, der 54 Jahre lang durch Findorff dampfte. Ihre erste Fahrt hatte die Lok am 4. Oktober 1900 angetreten, die letzte erfolgte am 22. Mai 1954.

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Sechste Etappe

„Im Findorff“ lebt man offiziell übrigens erst seit 65 Jahren. 1951 bekam der Stadtteil zwischen Bahn und Bürgerpark durch Senatsbeschluss seinen Namen. Im Volksmund eingebürgert hatte er sich da allerdings schon längst. Er ist eine Reminiszenz an den Moorkommissar Jürgen Christian Findorff (1720-1792), der die Moorgebiete trocken legen und ein Netz an Kanälen bauen ließ, das vom Teufelsmoor bis Bremen reichte.

Vor der Sanierung des Areals war das Ambiente wenig vorzeigbar. Doch seit 2006 können sich alle, die dazu Lust haben – und das sind auch viele Touristen der Stadt – von den Skippern der Bremer Torfkähne durch die Botanik schippern lassen und bekommen dabei allerlei Seemannsgarn, aber auch viele sehr interessante Geschichten aus der Bremer Vergangenheit zu hören. An schönen Tagen kann die Seele wunderbar unter den Bäumen im Biergarten baumeln. Findorff, Du hast es gut.

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