Horn. Bange Blicke wendeten sich an diesem Sonntag-Vormittag mitten im Juli in Fockes Park zum grauen Himmel. Doch das Gartenopern-Ensemble der befreundeten Familien Bulling und Castringius hatte Glück, es fing erst nach der Freiluft-Veranstaltung an zu regnen. Es wäre aber auch zu schade gewesen, wenn einer der Höhepunkte aus der Reihe „Fockes Pavillon“ buchstäblich ins Wasser gefallen wäre. Denn Felix Mendelssohn-Bartholdys frühes Operchen „Der Onkel aus Boston“ war trotz des Wetters ausverkauft. Im Bremer Sommer gibt es eben kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Kleidung. Auf den Weg gemacht hatte sich auch Focke Wortmann, der in der Bahnhofsvorstadt lebt. Der langjährige Vorsitzende des Vereins der Bremer Theaterfreunde zählt zu den größten Theater- und Opern-Experten der Hansestadt.
Da will es schon etwas heißen, wenn er eine Oper nicht kennt, so wie es bei dem „Onkel aus Boston“ der Fall ist. Das Verdienst des Gartenopern-Ensembles ist es, dass die passionierten Opernliebhaber in jedem Jahr ein kaum bekanntes Werk, vorzugsweise von Felix Mendelssohn-Bartholdy ausgraben, um es dann aufzuführen. Auch dieses Mal präsentierte Impresario Arnold Castringius, der die Produktion mit seinem Sohn Roland organisiert hatte, mit Stolz sein engagiertes Ensemble, das sich in seiner Spielfreude von Dirigent Lars Straehler-Pohl inspirieren ließ. Denn, so merkte Castringius in seinen einleitenden Worten launig an, die berühmten Profis seien jetzt im Sommer ohnehin auf Festivals in Aix und Wien unterwegs.
Mit Liebe zum Detail
Natürlich ist das immer so eine Sache mit 200 Jahre alten Stoffen. Da muss sich die Regisseurin, wie in den Jahren zuvor auch dieses Mal Claire Lütcke, etwas einfallen lassen. Und so aktualisierte sie mit viel Liebe zum Detail die Liebes-Irrungen und -Wirrungen, die die Geburts-Party, für Felsig, den Onkel aus Boston zu trüben drohen. Und so hat dieser Bremer „Onkel aus Boston“ nichts, aber auch gar nichts mehr mit der Boston Tea Party und den daraus resultierenden Kriegshandlungen zu tun, von der sich der erst 14-jährige Felix Mendelssohn-Bartholdy 1822/23 zu seiner komischen Oper inspirieren ließ. Das jugendliche Protagonisten-Paar Fanny und Charly haben sich, genauso wie Fannys Bruder Theodor (Anne Bulling), wie es im Programmzettel dezent umschrieben wird, ziemlich weit von der Familientradition entfernt. Denn Fanny war schon früh in allen möglichen Protestbewegungen aktiv, zuletzt im Hambacher Forst. Dort hat sie den „voll süßen“ Charly, einen alten Schulfreund, wieder getroffen und sich in ihn verliebt. Als sie ihn für kurze Zeit verloren hat vermisst sie ihn ganz schrecklich.
Inga Bulling und Johanna Boehme gingen übermütig in ihren Rollen als Protest-Kids Fanny und Charly auf. Inga Bulling trug sogar täuschend echte Dreadlocks zum alternativen Sponti-Look und Johanna Boehmes Beine zierten unter der Cargo-Funktionshose gar Fake-Tattoos. Beide waren mit riesigen Rucksäcken bepackt. Dritte im Bunde: Renate Dasch als Fannys mütterliche Freundin Lou, die mit ihr zur Überraschungs-Garten-Party von Onkel Felsig getrampt ist. Denn der möchte gern seine deutsche Verwandtschaft kennenlernen. Auch Lou kam im fantasievollen Blumenkinder-Look daher. Alle drei wussten mit ansprechenden Sopran-Stimmen zu überzeugen. Besonders viel Nuancenreichtum und Koloratursicherheit wurde Fanny in ihrem musikalischen Monolog am Ende der Oper abverlangt. Ihrem Tagebuch vertraut sie an, wie einsam und verlassen sie sich fühlt. Doch trotz des ganzen Versteckspiels gab es am Ende ein Happy-End, das mit viel Heiterkeit und Fröhlichkeit besungen wurde. „Naja, so ist Oper eben!“, merkten die moderierenden Kinder Marie und Kasper Bulling sowie Oskar Castringius mit einem Anflug von Ironie an.
Dieses Happy-End versuchte der Eventmanager Tauber (Johannes Volk) indes immer wieder zu hintertreiben. Denn als Charly auf der Suche nach seiner Fanny ungestüm in den Garten stürmte, wurde er prompt von Tauber als Dieb und Einbrecher verdächtigt. Schließlich wurde auf der Garten-Party auch noch ein Wiedersehen zwischen Charlys Vater, dem soignierten Herrn von Burg (mit Einsteck-Tuch und Panama-Hut: Dietrich Lauer) und seinem alten Freund und Kollegen Felsig gefeiert. Der wurde von Wassim W. Ayass nicht minder soigniert mit kräftigem Bariton verkörpert. Fanny jubilierte am Ende, dass sie nun doch nicht den alten Herrn von Burg, sondern den jungen heiraten darf. Dass die Garten-Party, trotz übermütiger Champagnerdusche durch Fanny und Charly, schließlich doch noch gelingt, dafür sorgte das engagierte Serviceteam in seinen weinroten Westen, das immer wieder auflief. Dirigent Lars Straehler-Pohl bettete das ganze Geschehen in die erstaunlich reife, wie Champagner moussierende, muntere Musik des jugendlichen Mendelssohn-Bartholdy ein. Die filigranen Melodiebögen dieses Juwels sind von Mozartischer Leichtigkeit. In der Musik ist sogar das ungeduldige Herzklopfen des Liebespaares Fanny und Charly zu hören. So jubilierten am Ende alle: „Oh, welche Freude, welches Glück!“
Auch in diesem Jahr gingen die nach der Aufführung gesammelten Spenden an den Verein „Bremer Notenschlüssel“, der Kindern der Schule an der Andernacher Straße ermöglicht, ein Streichinstrument zu erlernen.
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