Horn. Der grüne Vorhang war vor Kurzem noch blau. Dicht an dicht hängen die riesigen Schoten des Blauregens jetzt über dem Eingang zum Literarischen Garten und erinnern ein wenig an mutierte Stangenbohnen. „Man muss aufpassen, dass man sich keine Beulen holt“, sagt Bernd Kleedörfer. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Mechtild Pötsch ist er vor 17 Jahren von Hessen nach Bremen umgezogen und gestaltet seither den rund 1000 Quadratmeter großen Garten hinter dem Haus Im Achterkamp. Während Pötsch sich vorrangig um die Pflanzen kümmert, gilt Kleedörfers Passion insbesondere literarischen Zitaten, die sich – auf unterschiedlichsten Unterlagen festgehalten – überall im Garten entdecken lassen.
Mit Rilke fing seinerzeit alles an. „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles“ ist unter dem Vordach der Gartenlaube an der Wand zu lesen. „Als ich die Laube gerade fertig gestrichen hatte, kam mir plötzlich in den Sinn, dieses Zitat an die Wand zu schreiben“, erzählt Kleedörfer. Seine Lebensgefährtin war einverstanden, und seither sammeln beide neben Stauden, Gehölzen und Sommerblühern eben auch Zitate, die ihnen für ihren Garten passend erscheinen.

Auf 1000 Quadratmetern haben Bernd Kleedorfer und Mechthild Pötsch sich ein insektenfreundliches, literarisches Gartenparadies geschaffen.
Ganz besonders wohl fühlen sich im Garten von Pötsch und Kleedörfer offenkundig Insekten. Überall summt es. Das ist kein Zufall. Seit elf Jahren sind die beiden nicht mehr nur leidenschaftliche Hobbygärtner, sondern auch Imker. Entsprechend akribisch achten sie bei der Pflanzenauswahl auf Insektenfreundlichkeit. Vier Bienenvölker stehen vis-à-vis zur Laube. Seine Lebensgefährtin habe damals angeregt, einen Kursus zu besuchen und ein Volk anzuschaffen, erzählt Kleedörfer. Dabei sei es freilich nicht geblieben. Schon weil ein Volk nach einer gewissen Zeit geteilt werden müsse. Die Ernte sei mit zuletzt rund 160 Kilo vergleichsweise üppig, wobei der Stundenlohn der Hobbyimker rein rechnerisch deutlich unter dem Mindesteinkommen liegen würde, sagt der 66-Jährige. Aber der Honig sei ja ohnehin nur ein Aspekt der Bienenhaltung. Es gehe ihnen vorrangig darum, dem Insektensterben etwas entgegenzusetzen, betont Pötsch.
Angefangen, den Literarischen Garten für Besucher zu öffnen, hat das Paar vor rund zwölf Jahren im Rahmen der „Offenen Gartenpforte“. Seither gibt es nicht nur Führungen, bei denen Flora und Fauna im Mittelpunkt stehen, sondern – wenn es denn gewünscht ist – auch Erläuterungen zu den verschiedenen Zitaten und den Gedanken der Gartenbesitzer dazu. „Wenn es gut läuft, kommen die Besucher mit uns darüber ins Gespräch – das freut uns dann besonders“, sagt Kleedörfer. Hinter der Laube etwa treffen Faust und Wolf Biermann aufeinander. Eine skurrile Kombination, die bei Besuchern nicht selten den Wunsch nach Erläuterung wecke, erzählt er.

Auch der hessischen Heimat bleiben Bernd Kleedorfer und Mechthild Pötsch verbunden.
An der „Offenen Gartenpforte“ beteiligen sich Kleedörfer und Pötsch inzwischen nicht mehr. „Der Aufwand wurde uns zu groß“, erzählt die 63-Jährige. Bis vor Kurzem waren beide noch hauptberuflich in der Altenpflege tätig. Individuelle Gartenführungen auf Anfrage bietet das Paar aber weiterhin an. Außerdem stehen jedes Jahr etwa zehn Lesungen auf dem Programm des Literarischen Gartens. Mal vor- oder nachmittags, mal abends wird dann aus ausgewählten Büchern gelesen – und natürlich über das Gehörte gesprochen. Je nach Tageszeit werden dazu wahlweise Kaffee, Tee und Kekse oder Wein und Häppchen gereicht. Eintritt erheben Pötsch und Kleedörfer nicht, aber jeder habe die Möglichkeit, sich mit einer Spende „von jeglichem schlechten Gewissen freizuhalten“, ist in der Programmübersicht nachzulesen.
Die Bandbreite bei der literarischen Auswahl für die Lesungen reichte bisher unter anderem von Heinrich Heine, Kurt Tucholsky und James Joyce über Thomas Mann und Friedrich Hölderlin bis hin zu Ulla Hahn, Hans Pleschinski und Peter Kurzeck. Das jeweilige Jahresprogramm wird an einen Kreis von Interessierten verschickt, die meist im Zuge einer Gartenführung auf das Angebot aufmerksam geworden sind. Etwa 60 Personen umfasste dieser Kreis bis vor einiger Zeit. Jetzt sei er zumeist altersbedingt etwas geschrumpft, erzählt Kleedörfer. „Es wäre daher schön, wenn perspektivisch wieder ein paar Interessierte dazustoßen würden.“

Amor Fati (Liebe zum Schicksal): eine Lebensregel von Friedrich Nietzsche.
Treffpunkt bei den Lesungen ist unter dem Vordach der Gartenlaube. Sicherheitshalber – falls die Witterung einmal nicht mitspielt. Im Zuge der Corona-Pandemie haben Pötsch und Kleedörfer die Zahl der Besucher von zwölf auf sechs reduziert, um den nötigen Abstand gewährleisten zu können. „Das klappt bislang völlig problemlos“, sagt Pötsch.
Der Vorhang aus Blauregenschoten ist nicht der einzige Hingucker am Eingang des Gartens. Beim Verlassen offenbart sich unmittelbar an der gegenüberliegenden Hauswand ein stattlicher Birnbaum der Sorte Conference. Die späten Fröste konnten ihm nichts anhaben, erzählt Pötsch. Das ist deutlich zu erkennen: Die Spalierbirne hängt im wörtlichen Sinne voll bis unters Dach.
Weitere Informationen
Wer den Literarischen Garten besuchen möchte, kann sich unter Telefon 3 96 74 52 bei Mechtild Pötsch und Bernd Kleedörfer für eine individuelle Führung anmelden.
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