Wie groß ist der Bedarf an rollstuhlgerechten Wohnungen in Bremen? Darüber herrschte bislang Ungewissheit. Eine Umfrage unter den rund 3300 Bremerinnen und Bremern, die ein „aG“ für außergewöhnliche Gehbehinderung in ihrem Schwerbehindertenausweis haben, sorgt für Aufschluss. 672 antworteten, 170 von ihnen äußerten den Wunsch, in eine rollstuhlgerechte (R-)Wohnung umzuziehen. Im Auftrag des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr, Joachim Lohse (Grüne), haben Meike Austermann-Frenz vom Beratungsverein „Komfort“ und Stadtentwicklerin Lisa Morgenschweis vom Büro Protze und Theiling die Umfrage im vergangenen Jahr erarbeitet und jetzt die Ergebnisse ausgewertet. Fazit: Im Bestand der Gewoba und anderer Unternehmen befinden sich derzeit 234 R-Wohnungen. Mindestens noch einmal so viele würden benötigt.
Der Bedarf von 255 „oder vielleicht noch viel mehr“ Wohnungen ergebe sich unter anderem aus den Zahl der Teilnehmer, die gern sofort umziehen würden (125), und derer, die sich unzufrieden über ihre gegenwärtige Wohnung äußern (130), sagte Lisa Morgenschweis am Dienstag bei der Präsentation der Auswertung. Senator Lohse, Gastgeber der Zusammenkunft, erinnerte an den Ursprung der Umfrage: Im vergangenen Jahr war die Neufassung der Landesbauordnung in Kraft getreten, die der Wohnungswirtschaft eine Quote für normierte R-Wohnungen auferlegt.
Manfred Corbach, Leiter Immobilienwirtschaft der Gewoba, räumte ein, dass „bislang nach Gefühl gebaut“ worden sei und Nachfrage und Angebot „oft nicht deckungsgleich“ gewesen seien. Beispielsweise sei aufgefallen, dass die Überseestadt zwar diverse R-Wohnungen biete, für potenzielle Bewohner aber unattraktiv sei, weil öffentlicher Personennahverkehr und Einkaufsmöglichkeiten fehlten.
Keine Einträge auf spezifischen Portalen
Thomas Tietje, Brebau-Geschäftsführer und Sprecher der AG Wohnen, eines Zusammenschlusses von zwölf Wohnungsunternehmen im Land Bremen, brachte das Internet-Portal „Barrierefrei wohnen“ zur Sprache, das seit etwa acht Jahren existiere und von der AG überarbeitet werden solle. Dort angebotene R-Wohnungen am Dienstag: null. Die ermittelte Nachfrage bezieht sich – unterschiedlich stark – auf beinahe alle Stadtteile. Viele Befragte wohnen in Obervieland. Als Wunschort steht Findorff oben an.
Joachim Steinbrück, der Landesbehindertenbeauftragte, habe eingewilligt, die vorgeschriebene Quote für drei Jahre auszusetzen, sagte Lohse, um in dieser Zeit den konkreten Bedarf zu ermitteln und nicht an der Nachfrage vorbei zu bauen – das sei „ein Vertrauensvorschuss“ gewesen. Steinbrück schlug jetzt eine „Zielvereinbarung“ zwischen ihm, dem Bauressort der Wohnungswirtschaft vor, um zu verhindern, dass die Quotenregelung zum Oktober 2021 doch noch greift. Tietje blieb zurückhaltend: „Grundsätzlich ja, aber es gibt ja noch andere Akteure auf dem Wohnungsmarkt.“
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