In Wien wurde im Rahmen der Sommerfrische West im letzten Sommer mitten auf einer Kreuzung, auf der sechs Fahrbahnen zusammenlaufen, kurzerhand ein Swimmingpool samt kleinem Stadtgarten aufgestellt. In Paris möchte Bürgermeisterin Anne Hidalgo den Verkehr großflächig von den Champs-Elysées verbannen, um die Pracht-Allee bis 2030 zu einem außergewöhnlichen Garten umgestalten zu lassen. Im belgischen Gent ist mittels einer Ringstraße, die um die Innenstadt gezogen wurde, der Durchgangsverkehr in der City reduziert worden. So konnte der Verkehr um 30 Prozent gesenkt werden. Die Folge: Weniger Unfälle und Luftverschmutzung.
Einige der Beispiele, die Nils Weiland, Referatsleiter Strategische Verkehrsplanung beim Mobilitäts- und Umweltressort, auf der jüngsten, virtuellen Sitzung des Beirates Mitte präsentierte, in der über die zukünftige Gestaltung der Martinistraße debattiert wurde. In Bremen wird hingegen mittlerweile seit Jahrzehnten darüber diskutiert, ob und wie sich die vierspurige Martinistraße umbauen beziehungsweise zurückbauen ließe. Darauf wies Dieter Mazur vom BUND Bremen hin. Für ihn sind die Martinistraße und die Hochstraße am Brill „Monster, Relikte aus der autogerechten Stadt der 1960er-Jahre“. Damals wurde an der Stelle, an der sich vor dem Krieg durchgehend die Langenstraße befand, mit der Martinistraße eine Schneise zwischen Altstadt und Fluss geschlagen, durch die seitdem auch der Schwerlastverkehr donnert. Weiland zu Folge fährt zu 77 Prozent Durchgangsverkehr durch die Martinistraße.
Dabei ist die Diagnose der Stadtplaner klar: Die vierspurige Großstraße schneidet den historischen Stadtkern von der Weser ab. Das soll nun im Rahmen des im Sommer 2020 beschlossenen Aktionsprogramms Innenstadt mittels eines temporären Verkehrsversuches geändert werden. Die Ergebnisse sollen nach einem halben Jahr evaluiert werden. Inzwischen herrscht bei nahezu allen Akteuren Konsens. Allein schon, um die Innenstadt aufzuwerten, spielt der Umbau der Martinistraße eine zentrale Rolle, um die Erlebnisqualität in der City zu erhöhen. Denn dort greift nicht zuletzt pandemiebedingt zunehmend der Leerstand um sich. Schon Mitte bis Ende 2021 solle der Mehrwert Martinistraße erfahrbar gemacht werden, heißt es. Der Vorteil aus Weilands Sicht: Durch den temporären Charakter werden keine größeren baulichen Anpassungen fällig.
Ein städtebauliches Konzept
Auch Olaf Orb, Innenstadtbeauftragter der Handelskammer Bremen, kann inzwischen gut damit leben, wenn die Martinistraße von vier Spuren auf zwei zurückgebaut wird. Für ihn ist allerdings die „abweisende Nachkriegsarchitektur“, mit der die Martinistraße flankiert wurde, mit das größte Hindernis, wenn es um die Aufwertung der Straße zu einem städtischen Erlebnisraum geht. „Da müsste schon ein städtebauliches Konzept her“, betonte er. Für solch ein nachhaltiges Konzept plädierte auch Joachim Musch (Grüne).
Das Mobilitätsressort denkt da allerdings noch einen Schritt weiter: Gern würde Weiland die Martinistraße von der Tiefer kommend in Richtung Brill zu einer Einbahnstraße machen. Tempo 30 wäre dann sowieso gesetzt. Alle an der Diskussion Beteiligten waren sich einig, dass es ein Unding sei, dass die vierspurige Martinistraße das Kleinod der Böttcherstraße von dem direkten Zugang zur Weser abschneide. Der erfolgt über einen Tunnel, dessen Arkaden zudem in den vergangenen Wochen noch durch Kothaufen verunreinigt gewesen sind. Wohin aber nun mit dem Verkehr, der halbiert werden und die Martinistraße nur noch äußerst eingeschränkt passieren soll? Ausnahmen bilden dabei nur der Busverkehr der Linie 25 sowie die Ein- und Ausfahrten vom Parkhaus Pressehaus. Auch Lieferverkehr soll weiterhin möglich sein.
„Die Innenstadt soll weiterhin gut erreichbar sein“, betonte Weiland. Natürlich ließe es sich nicht vermeiden, dass es zu Verkehrsverlagerungen käme, räumte er ein, besonders in Richtung Dobben, dort werde mit einer Zunahme von jeweils 80 Kraftfahrzeugen pro Richtung pro Stunde gerechnet, der Verkehr werde sich voraussichtlich auch zum Breitenweg hin verlagern. Diese Entwicklung monierte Dirk Paulmann und verwies auf den ohnehin schon stark belasteten Dobben. Eine Zunahme des Ausweichverkehrs befürchtet der CDU-Stadtteil-Parlamentarier auch am Osterdeich und Sielwall. Paulmann bezweifelte zudem die Vergleichbarkeit von Gent und Bremen in Sachen Verkehrsplanung. Zudem regte er an, die Auswirkungen von Corona auf die Verkehrsplanung mitzudenken. Der Beirat traf jedenfalls mit großer Mehrheit den Beschluss, den konstruktiven Prozess wohlwollend und zugleich kritisch weiter zu begleiten.
Ideen für die Umgestaltung
Die Bremer sind nicht weniger kreativ als die Wiener und Pariser. Groß sei die Beteiligung von mehreren Hundert Akteuren bei dem digitalen Labor Anfang Februar zur Umgestaltung der Straße gewesen, sagt Susanne von Essen von der Agentur Sternkultur. Ein Auszug aus den Ideen: Für den Erlebnisraum Martinistraße werden Wasserkaskaden und Fontänen gewünscht, Schaukeln und Hängematten wären genau wie eine Spielfläche auch ganz schön. Und in Pop-up-Gärten könnte Gemüse angebaut werden. Weitere Ideen: Eine offene Bühne, eine Leinwand für Lichtspiele sowie Kunst im öffentlichen Raum oder die Einbeziehung von Dächern. Bis Ende Februar soll nun ein Konzept geschrieben und mit dem Amt für Straßen und Verkehr abgestimmt werden.