Das Wahljahr 2019, es treibt Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) um. Nicht nur, weil Bremen am 26. Mai mit den Bürgerschaftswahlen, den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven und der Beiräte sowie den Europawahlen ein sehr umfangreicher Wahltag erwartet. Für Weber geht es in diesem Jahr um nichts Geringeres als den Fortbestand der Demokratie. „Die Demokratie hängt von uns allen ab“, erklärte Weber bei seiner Ansprache vor knapp 500 Gästen aus Politik, Kultur und Wirtschaft beim Neujahrsempfang der Bremischen Bürgerschaft.
Während sich die anwesenden Gäste über den Start in das neue Jahr und die spannenden Monate vor der Bürgerschaftswahl austauschten, beherrschte auch beim Neujahrsempfang der Angriff auf den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz die Gespräche. Auch Christian Weber verurteilte den Übergriff und forderte eine politische Auseinandersetzung mit der Tat, sobald Täter und Motiv geklärt seien. „Wer so etwas macht, spaltet unsere Gesellschaft, sorgt für weitere Hetze, die es jetzt schon im Netz gibt.“
Doch auch neben diesem aktuellen Ereignis hatte Weber einen umfangreichen Themenkatalog für seine Rede vor Bremer Senatoren, Bundestags- und Bürgerschaftsabgeordneten, Ehrenamtlichen, Unternehmern und zahlreichen anderen Gästen vorbereitet: Demokratie, Politik im digitalen Zeitalter, die Lage Europas, Volksparteien, Grundrechte. Themen, die auch die Bürgerschaft, für Weber das „Herz der Demokratie“, im Wahljahr beschäftigen. So wie bei der letzten Bürgerschaftswahl in Bremen, das sagte er deutlich, dürfe es bei den im Mai anstehenden Urnengängen allerdings nicht laufen: „Ein Parlament, das nur von der Hälfte der Bevölkerung legitimiert wurde, dürfen wir uns nicht leisten.“ Bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2015 lag die Wahlbeteiligung laut amtlichen Endergebnis bei 50,2 Prozent. Für derartige Zahlen, sagte Weber, müsse man sich schämen.
Ein langer, harter Weg
Besonders nach dem Jubiläumsjahr 2018, in dem sich die Novemberrevolution und die Einführung des Frauenwahlrechts zum 100. Mal jährten, sei auch ein Blick in die Geschichte wichtig: Bis zum Frauenwahlrecht sei es ein langer, harter Weg gewesen, auch die Demokratie sei in Deutschland nicht vom Himmel gefallen, sondern erkämpft worden. „Wir dürfen das Wahlrecht 100 Jahre später nicht zu einer kleinen Münze verkommen lassen“, erklärte Weber. Überhaupt, die Demokratie: Aus dem „liberalen, westlichen Exportschlager Demokratie“ der 90er-Jahre sei inzwischen eine „post-westliche Weltordnung“ geworden. Bestes Beispiel für Weber: Der namentlich nicht genannte Präsident der „ältesten modernen Demokratie“, der inzwischen eine echte Gefahr für eben dieses System geworden sei. Am Raunen der Zuhörer war zu erkennen, dass viele in seiner Beschreibung den amerikanischen Präsidenten Donald Trump erkannten.
Allerdings ließ sich Weber auch subtile Seitenhiebe auf andere Politiker nicht nehmen. Bei seinem Rückblick auf die politische Lage in Bremen im Jahr 1918, bevor das freie und gleiche Wahlrecht eingeführt wurde, wandte er sich direkt an seinen SPD-Parteikollegen, Bürgermeister Carsten Sieling: „Senatoren-Posten wurden damals gleich auf Lebenszeit vergeben. Vielleicht wäre das eine Initiative wert.“ Außerdem sagte er: „Politiker, die mit dem Versprechen ins Amt gewählt wurden, für frischen Wind zu sorgen, verlieren schnell an Popularität. Und zwar vom ersten Tag an.“
Für das kommende Jahr ist Webers Ziel klar: Die Demokratie schützen. Dafür brauche es aufgeklärte Demokraten, die wissen, was sie verteidigen. „Letztlich sind wir, die Bürgerinnen und Bürger, verantwortlich für die Demokratie“, sagte Weber. Dafür gelte es, dass Politiker sich und ihre Themen wieder besser und umfassender erklären. „Wir müssen wieder ins Gespräch kommen – vor allem mit unserem Volk.“ Doch gleichzeitig setzten sich Freiheit und Gleichheit auch nicht von selbst durch: „Politik ist kein Lieferdienst.“ Es sei die Aufgabe aller, sich an der politischen Willensbildung, in Bremen und in Europa, zu beteiligen. Denn, auch das ist für Weber klar: Das Grundgesetz, das in diesem Jahr 70 Jahre alt wird, sei nur so stark, wie es auch gelebt werde.