Als Vater einer siebenjährigen Tochter kann Tim Hülskamp nur allzu gut verstehen, dass Masken für Kinder in der Schule nicht gerade ein erstrebenswertes Statussymbol sind. Seine Tochter sei deswegen gehänselt worden. Dennoch hält der Arzt eine Maskenpflicht auch für Grundschulkinder für unerlässlich. Und nicht nur das, zu einer konsequenten Umsetzung der vom Robert Koch-Institut (RKI) empfohlenen Maßnahmen gehörten auch ein Festhalten am Wechselunterricht in halben Klassen und zweimal in der Woche Schnelltests für alle Kinder und Lehrkräfte.
Zusammen mit neun anderen Unterzeichnern – darunter mehrere Ärztekollegen, eine Krankenschwester, eine Lehrerin und zwei Ingenieure – hat Hülskamp einen dringenden Appell an Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) gerichtet, ihre Schulöffnungsstrategie zu korrigieren. Der Vorwurf: Der Senat missachte die neue Mutanten-Gefahr und wolle Kinder ab dem 1. März „offenbar ungeschützt in die Grundschulen schicken“. Das will die Gruppe nicht tatenlos hinnehmen: „Als besorgte Eltern fordern wir, dem Gesundheitsschutz der Kinder oberste Priorität einzuräumen.“
„Gewagtes Unternehmen“
Mit ihrem Vorstoß liegen Hülskamp und seine Mitstreiter auf einer Linie mit der CDU. Angesichts der wachsenden Infektionsgefahr durch mutierte Coronavirus-Varianten drängt Yvonne Averwerser darauf, die bestehenden Regelungen aus Distanz- und Wechselunterricht bis zum 4. März fortzusetzen statt sie aufzuheben. In den Grundschulen wieder in voller Klassenstärke zu unterrichten, kritisiert die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion als „übereilt“.
Eine Maskenpflicht für die „begrenzte Zeit des Unterrichts“ erscheint Averwerser auch für Grundschüler zumutbar. Im Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss will die CDU deshalb eine Änderung der 24. Corona-Verordnung beantragen. Dabei gehe es nur um Maskenpflicht im Unterricht, in der Pause könnten die Kinder ihre Masken wieder abnehmen. Zusätzlich solle bei den Kindern gleich am Eingang kontaktlos Fieber gemessen werden. Ohne diese beiden Vorsichtsmaßnahmen grenze das Vorgehen des Senats an Leichtsinn.
Nicht viel anders die Einschätzung des Virologen Andreas Dotzauer. Die Strategie der Bildungssenatorin nennt Dotzauer „ein gewagtes Unternehmen“. Denn vom Infektionsgeschehen seien alle betroffen, auch Grundschulkinder. Der Anteil der neuen Varianten habe sich in Deutschland von sechs auf 22 Prozent erhöht. Darum plädiert auch Dotzauer für Masken im Unterricht. „Das ist keine zu starke Belastung, der Unterricht muss sich darauf einstellen.“
Auf die Seite der Bildungssenatorin schlägt sich der Zentralelternbeirat (ZEB) Bremen. Als „vernünftigen Kompromiss“ bezeichnet Vorstandssprecher Martin Stoevesandt den Fahrplan der Behörde. Und weist darauf hin, dass Bogedan „keine einsame Entscheidung“ getroffen, sondern sich mit Experten abgestimmt habe. Der Infektiologe Hans-Iko Huppertz gehe von einem niedrigen bis mittleren Infektionsgeschehen in der Stadt Bremen aus, aus dessen Sicht komme es nicht nur auf die Inzidenz an.
Fachliche Grundlage des Senatsbeschlusses sei die S3-Leitline der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) gewesen, ein jüngst veröffentlichtes Maßnahmenpapier zu Prävention und Kontrolle der Sars-CoV-2-Übertragung in Schulen. „Hier ist unter anderem ausdrücklich vorgesehen, dass Grundschulen selbst bei hohem Infektionsgeschehen noch in Vollpräsenz geöffnet werden können“, betont Stoevesandt. Hinzu komme etwas anderes: „In prekären Stadtteilen sind nur zehn Prozent der Schüler anwesend. Auch deshalb die Präsenzpflicht.“
Hülskamp liest die S3-Leitlinie völlig anders. „Wenn Frau Bogedan sie als Argumentationsgrundlage heranzieht, sollte man sie auch komplett umsetzen.“ Die AWMF habe betont, die Maßnahmen wirkten nur im Paket, man könne nicht einzelne Bestandteile herausgreifen. „Genau dies passiert aber gerade in Bremen“, sagt der Urologe, der sich auch für Lüftungsanlagen in allen Klassenräumen und vorgezogene Impfungen für Lehrkräfte ausspricht.