Bei Bauarbeiten gefunden Grubenhaus am Wallkontor ist eine kleine Sensation

Darauf musste Dieter Bischop von der Landesarchäologie Bremen lange warten. Nun hat sich in der Baugrube des künftigen Wallkontors erstmals der vollständige Grundriss eines Grubenhauses gefunden.
20.01.2020, 20:50 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Grubenhaus am Wallkontor ist eine kleine Sensation
Von Frank Hethey

Vom Grubenhaus ist so gut wie nichts geblieben. Keine vermoderten Holzpfähle, kein Flechtwerk. Nur dunkle Verfärbungen im Erdreich zeigen an, dass an dieser Stelle einmal ein Bauwerk stand. Aus dem Boden ragt ein halber Krug, vereinzelte Scherben liegen verstreut umher. Drei mal 2,50 Meter misst die Grundfläche der einstigen Werkhütte: ein überschaubares Ausmaß. Dieter Bischop ist hellauf begeistert. „Zum ersten mal sind wir auf einen vollständig erhaltenen Grundriss gestoßen“, schwärmt der Mann von der Landesarchäologie Bremen. Bisher haben sich in der Altstadt immer nur kleine Ecken von Grubenhaus-Grundflächen gefunden, und nun also dieser Fund in der Baugrube des künftigen Wallkontors: eine kleine Sensation.

Ein bisschen muss sogar die Bremer Geschichte umgeschrieben werden. „Dieses Grubenhaus stand relativ weit außerhalb der bisher vermuteten frühmittelalterlichen Besiedlung“, sagt Bischop. Mit anderen Worten, die Besiedlung im 9. Jahrhundert war offenbar weitaus dichter als angenommen, reichte bis an die erst viel später errichtete Stadtmauer heran. Die unausweichliche Schlussfolgerung: „Bremen war größer als bisher ver­mutet.“

Arbeitsstätte kommt ans Licht

In knapp drei Metern Tiefe sind die Bauarbeiter am Donnerstag auf die Spuren des Grubenhauses gestoßen, einer üblicherweise halb im Boden eingelassenen Arbeitsstätte, die für Webarbeiten oder als Schmiede genutzt werden konnte. „Ich allein hätte das nicht erkannt“, sagt Bauleiter Stephan Seyb. Aber sensibilisiert war er schon, immerhin waren bereits im Herbst die Überreste eines alten Stadtturms ans Tageslicht gekommen.

„Wir sind dann in den gewachsenen Boden gegangen“, sagt Seyb. Heller Dünensand kam zum Vorschein, als Teil des Dünenrückens, der sich entlang der Weser bis Bremen-Nord zieht. Insgesamt zehn Meter sollen sich die Bagger ins Erdreich wühlen, um Platz zu schaffen für eine zweigeschossige Tiefgarage. Mit elf Stockwerken wird das fertige Geschäftshaus die Nachbarhäuser ein wenig überragen.

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Doch was hat es mit der kreisrunden helleren Verfärbung ziemlich genau in der Mitte der Fundstelle auf sich? „Das ist keine Feuerstelle“, sagt Bischop. Vielmehr handele es sich um die Umrisse eines Stabilisators, der rein zufällig so zentral auf dem Grundriss aufsetzte. Auch für die runden Verfärbungen außerhalb des Grubenhauses gibt es eine triftige Erklärung. „Rund um die Hütte haben früher Bäume gestanden.“ Ans Tageslicht kamen noch Reste von Mahlsteinen. „So viel können wir zumindest sagen: Es wurde hier Getreide gemahlen“, so Bischop.

Weil sich auf der Baustelle auch noch drei Brunnen angefunden haben, wurden die Grabungen bis Montag verlängert. „Das habe ich dem Bauherrn abgerungen“, sagt Bischop. Wobei der Bauherr, Marco Bremermann, keineswegs mit den Füßen scharrt. Als Kunsthistoriker habe er ein ausgeprägtes Interesse an der Stadtgeschichte, betont Bremermann. Weshalb er schon jetzt daran denkt, einzelne Fundstücke im Neubau auszustellen, nach Vorbild des Überfluss-Hotels im Stephaniviertel. Das gilt für die im Herbst gefundenen Reste eines mittelalterlichen Stadtturms wie auch für die unversehrten Sandsteinringe des freigelegten Brunnes aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. „Ich sehe eine große Chance, so etwas in das Gebäude zu integrieren.“

Für die Archäologen entpuppen sich Baugruben im Altstadtbereich immer wieder als wahre Fundgrube. Entsteht ein neues Gebäude in der City, ist die Landesarchäologie automatisch mit von der Partie. Im Fall des Wallkontors hat Investor Bremermann auf Empfehlung Bischops eine Grabungsfirma engagiert, mit der die Landesarchäologie schon länger eng zusammenarbeitet. „Als übergeordneter Grabungsleiter bin ich sozusagen der wissenschaftliche Kontrolleur“, sagt Bischop.

Muschelgrieß als Indiz für Fernhändler

Der 53-Jährige hat ein Faible für alte Keramik, Scherben machen ihn glücklich. Ganz besonders die Scherben, die im ehemaligen Grubenhaus aufgetaucht sind. Die enthielten nämlich viel Muschelgrieß, verrät Bischop. „Der Ton wurde mit verkleinerten Muscheln vermengt, damit er nicht so schnell reißt.“ Einheimische hätten ihre Keramik anders hergestellt, die Verwendung von Muschelgrieß sei ein eindeutiger Hinweis auf friesische Fernhändler aus der Karolingerzeit.

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Was für den Laien nicht sonderlich aufregend klingt, ist für den Fachmann ein wichtiges Mosaiksteinchen, um sich einen Reim auf die frühen Jahre Bremens zu machen. In der Baugrube des Atlantic Hotels an der Bredenstraße fand sich 2009 ebenfalls reichlich Muschelgrießware. Im Frühmittelalter floss dort noch ein Nebenarm der Weser, die Balge. Auf dem heutigen Hotelgrundstück erstreckte sich im 8. und 9. Jahrhundert ein großes Hafenareal. Dass an diesem Umschlagplatz so viel friesische Keramik gefunden wurde, kann laut Bischop nur eines heißen: „Dort müssen friesische Händler gewesen sein. Und zwar langwierig, sie müssen eine Dependance unterhalten haben.“ Eine Annahme, die durch den aktuellen Fund von Muschelgrießware neue Nahrung erhält.

Das Wallkontor entsteht auf dem Gelände des einstigen Modehauses Harms am Wall, das im Mai 2015 unter nie aufgeklärten Umständen abgebrannt ist. Durch das Gebäude mit einer Gewerbefläche von rund 5500 Quadratmetern soll eine Passage vom Wall zur Museumsstraße führen.

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